24. Februar 2012 | Blog | Joachim Eberhardt

Traue keiner Statistik, Teil 3: Theater- und Konzertbesuche in Lippe

(Korrektur 10.5.; Dank an Herrn Ewald Ernst für den Hinweis)

Das schlechte Abschneiden Lippes im Bertelsmann-Lernatlas 2011, der im letzten Herbst vorgestellt worden war, wunderte mich sehr. Insbesondere erstaunlich fand ich, dass das kulturell nach meiner Einschätzung gut versorgte Lippe — nicht zuletzt durch den Landesverband Lippe und seine Institutionen Landesbibliothek, Landesmuseum, Kulturagentur und von ihm geförderte Einrichtungen wie das Landestheater — in der Dimension „Persönliches Lernen“, und hier in den Kennzahlen Bibliotheksentleiher, Museumsbesuche, Theater- und Konzertbesuche so schlecht abschnitt. Über die Bibliothekskennzahl habe ich das Nötige inzwischen gesagt (hier und hier). Aber Bertelsmann hat mir inzwischen auf meine Nachfrage auch erklärt, wie die beiden anderen Kennzahlen zustandekommen.
Nach dem Lernatlas sind in Lippe 0,29 Theater- und Konzertbesuche je Haushalt zu verbuchen; im NRW-Durchschnitt aber 0,57; deutschlandweit sogar 0,74. Wieso ist Lippe so schlecht, wo wir doch, unter anderem, ein Landestheater in Detmold haben und eine Hochschule für Musik, die ein außerordentlich reges Konzertleben bietet?

Die Bertelsmann-Zahlen stammen in der Regel von 2009. Wikipedia gibt für NRW für 2006 nach den Zahlen der NRW-Landesdatenbank durchschnittlich 2,12 Personen pro Haushalt an (eine aktuellere Zahl für Lippe konnte ich bisher nicht finden). 0,29 Theater- und Konzertbesuche pro Haushalt sind dann rund 14 Besuche pro 100 Einwohner, hochgerechnet auf die rund 350.000 Lipper also etwa 48.000 Theater- und Konzertbesuche in Lippe.

Das Landestheater Detmold gibt in seiner Statistik an, in der Spielzeit 2009/2010 hätten 104.607 Zuschauer die Vorstellungen in Detmold besucht (die übrigen über 58.000 Zuschauer besuchten Vorstellungen des Landestheaters in auswärtigen Spielstätten). Das sind mehr als doppelt so viele Besucher allein im Landestheater Detmold, als Bertelsmann für alle Theater- und Konzertbesuche in Lippe annimmt! Wie kommt es zu diesem geradezu grotesken Unterschied? Um das zu verstehen, muss man sich das Zustandekommen der Kennzahl der Theater- und Konzertbesuche ansehen. Ich zitiere aus einer Email von Bertelsmann vom 2.2.2012 an mich:

Die Definition im Ergebnisbericht lautet: „Die Kennzahl „Theater- und Konzertbesucher in der Region“ zeigt das Verhältnis der Anzahl der Besucher von Theatern, Konzerten und Festspielen je Haushalt im Umkreis von 50 km. Die Daten liegen für das Stichjahr 2009 auf der Ebene der Kreise vor.“
Wie wird der „Umkreis“ erhoben? Die Fläche des Kreises wird in Parzellen von 125qm eingeteilt und die Bevölkerungsdichte erhoben. Dadurch wird der  „Bevölkerungsschwerpunkt“ des Kreises ermittelt. Für die Theater wird die PLZ ermittelt. Dann wird ein Radius von 50 km um diesen Bevölkerungsschwerpunkt gezogen. Und alle HH und Theater, die in den 50km Umkreis fallen werden berücksichtigt. Im Umkreis von 50 km um den bevölkerungsgewichteten Kreismittelpunkt Lippes sind es 1149621 Haushalte und 334547 Besucher. Dabei werden 7 Theaterunternehmen mit 27 Standorten in der Berechnung berücksichtigt.

Also, die Erklärung ist einfach: Bertelsmann hat gar nicht Lippe allein betrachtet, sondern „Umkreise“ gebildet. Der Bevölkerungsmittelpunkt im Kreis dürfte in Detmold liegen, jedenfalls ist dort nach der Statistik des Kreises Lippe von 2008 die Bevölkerungsdichte am größten. Das könnte dann so aussehen:

Der rote Um-Kreis hat einen Radius von ungefähr 50 km, gezogen um den Stadtkern von Detmold (die Grafik ist erstellt mithilfe von Google Maps und Paint). Die Grenzen des Kreises Lippe sind eingetragen. Man sieht, dass der „Umkreis“ von Gütersloh bis Hameln reicht und natürlich Bielefeld und Paderborn einschließt, aber auch viel plattes Land zwischen Detmold und Höxter. Bertelsmann hat also diesen Kreis genommen und für die in ihm enthaltene Fläche den Durchschnitt an Besuchen pro Haushalt errechnet — und dies dann als Zahlen des Kreises Lippe ausgegeben. Das bedeutet im Klartext: Statistisch betrachtet ist der Kreis Lippe so schlecht, weil das dünn besiedelte Umland den Durchschnitt drückt. Der Kreis Lippe hat eine Fläche von etwa 1.250 Quadratkilometern. Der von Bertelsmann betrachtete „Umkreis“ hat eine Fläche von etwa 15.700 7.850 Quadratkilometern (die Formel der Kreisfläche ist ja 2πr2, bei einem Radius von 50km). Der Kreis Lippe hat also weniger als 1/6 der betrachteten Fläche, trotzdem stellt sein Landestheater allein fast 1/3 der von Bertelsmann betrachteten Besuche. Wenn das keine Verzerrung ist!


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