23. Februar 2012 | Blog | Joachim Eberhardt

Traue keiner Statistik, Teil 2: Wie der Bertelsmann-Lernatlas die Fakten verzerrt

Am 13.12. letzten Jahres hatte ich an dieser Stelle meiner Verwunderung über die lippischen Ergebnisse im Bertelsmann Lernatlas zum Ausdruck gebracht. Es ging mir um die Dimension „Persönliches Lernen“, und da insbesondere den Beitrag der Bibliotheken. Als Kennzahl dient dort die Zahl der „Entleiher pro 100 Einwohner“, und in Lippe soll es laut Bertelsmann bloß 6 geben, im NRW-Durchschnitt seien es 7 und deutschlandweit sogar fast 8. Das hat mich sehr erstaunt, denn der Kreis Lippe ist mit seinen Stadt- und Gemeindebüchereien, den Bibliotheken der Fachhochschule OWL und der übrigen wissenschaftlichen Institutionen nicht gerade schlecht ausgestattet, und dann gibt es ja zusätzlich noch uns, die Lippische Landesbibliothek. Nur wenige Kreise in Deutschland sind mit einer vergleichbaren Institution gesegnet, und unsere Bestände und Dienstleistungen zielen mehr noch als die der Stadt- und Gemeindebüchereien auf Lernen und Bildung. Gehen wirklich nur so wenig Leute in die Bibliothek?
Ähnliche Fragen ergeben sich für zwei weitere Kennzahlen der Dimension „Soziales Lernen“, nämlich die Museumsbesuche und die Theater- und Konzertbesuche. Laut Bertelsmann ist der Kreis Lippe in seiner Vergleichsgruppe mit rd. 58 Museumsbesuchen pro 100 Einwohner echt schlecht, denn der Durchschnitt NRW-weit sind rd. 82 Besuche, deutschlandweit sogar 130. Dabei hat Lippe eine lebendige Museumslandschaft, und mit dem Freilichtmuseum in Detmold auch ein richtiges Besucher-Schwergewicht.

Bei den Theater- und Konzertbesuchern in der Region steht Lippe nach Bertelsmann sogar noch schlechter dar, denn hier seien nur 0,29 Besuche je Haushalt zu verbuchen, NRW-Durchschnitt ist 0,57; deutschlandweit seien es sogar 0,74 Besuche pro Haushalt. Auch hier: wie kann das sein? Wir haben ja schließlich ein eigenes Landestheater in Lippe, und außerdem eine Hochschule für Musik in Detmold, die mit einer Fülle von Aktivitäten überaus lebendig zum kulturellen Leben hier beiträgt, um wieder nur die Schwergewichte zu nennen. Das heißt, hier im Kreis Lippe passiert kulturell viel mehr als im Durchschnittskreis — wieso steht Lippe trotzdem so schlecht in der Bertelsmann-Bewertung da?
Das ist eine Frage, die ich dann Bertelsmann selbst gestellt habe. Natürlich nicht so direkt, sondern ich wollte von dem Team des Lernatlas‘ wissen, wie die Zahlen zustandekommen. Das war kurz vor Weihnachten, und ich erhielt rasch eine telefonische Antwort, die allerdings nicht alle Details klären konnte; weiteres sollte nach den Weihnachtsferien folgen. Da auch Bertelsmann, die zum Teil die statistischen Zahlen, welche die Grundlage ihrer Bewertung sind, bei Drittanbietern eingekauft haben, selbst weitere Informationen einholen musste, hat dieser Antwortprozess bis Anfang Februar gedauert (und ich finde erst jetzt Zeit, darüber zu berichten).

Für die seltsamen Bibliothekszahlen, die ich schon im Dezember monierte, gibt es eine einfache Erklärung: Bertelsmann hat die Lippische Landesbibliothek gar nicht mit berücksichtigt. Tatsächlich meint die Rede von „öffentlichen Bibliotheken“ im Bertelsmann-Bericht: Bibliotheken, die in der Deutschen Bibliotheksstatistik „öffentlich“ genannt werden. Und das sind nur Stadt- und Gemeindebüchereien. Die Lippische Landesbibliothek ist, in der Deutschen Bibliotheksstatistik, eine „wissenschaftliche Bibliothek“, so wie Universitäts- und Fachhochschulbibliotheken, oder wie andere Landes- und Regionalbibliotheken außerhalb NRWs. Da es in Lippe keine Bibliothek gibt, die mehr als die Lippische Landesbibliothek für das „soziale Lernen“ und die „kulturelle Bildung“ der Bürger in der Region da ist, hat’s Bertelsmann hier klarerweise vermasselt. — Auch für die Frage nach dem Alter der Bibliotheksbenutzer habe ich eine Antwort bekommen. So schrieb mir Bertelsmann (Email vom 2.2.2012):

Die „Nutzung von Bibliotheken“ zeigt den Anteil (in %) der aktiven Nutzer (Entleiher) der öffentlichen Bibliotheken eines Kreises an ALLEN Einwohnern AB 6 Jahren  (es gibt also keine Altersobergrenze).

Will sagen: Bertelsmann hat die Gesamtzahl der Entleiher im Kreis lt. Statistik auf eine Teilmenge der Einwohner, nämlich die Über-6-Jährigen bezogen. Ich habe an dieser Stelle eine Alterspyramide für den Kreis Lippe gefunden, aus der hervorgeht, dass nach den Daten des Statistischen Bundesamtes von 2009 etwas über 20.000 Kinder 0-5 Jahre alt waren. Von der Gesamteinwohnerzahl wird man diese abziehen, um zu Bertelsmanns Betrachtungsweise zu kommen. Bertelsmann hätte also rechnen müssen mit ca. 29.000 Entleihern im Kreis Lippe, bezogen auf geschätzte 325.000 Einwohner älter als sechs Jahre. Mit diesen Zahlen komme ich auf rund 9 Entleiher pro 100 Einwohner (über 6 Jahre) in Lippe statt die von Bertelsmann ermittelten 6 Entleiher. Differenz nach oben um 50%! Wie ich oben schon sagte: Das hat Bertelsmann vermasselt.

Und wie stehts mit Theater- und Museumsbesuchen? Dazu ein andernmal mehr!


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