Ein Beitrag von Projektmitarbeiterin Isabelle Christiani
Es ist nun schon einige Monate her, dass wir hier auf dem Blog über das neue Forschungsprojekt an der Lippischen Landesbibliothek berichtet haben. Zur Erinnerung: Es wird die Herkunft von 28 Handzeichnungen untersucht. Diese sollen Ende des zweiten Weltkriegs in die Lippische Landesbibliothek gekommen sein.
Erste Schritte
In den letzten Monaten hat mich die Archivrecherche vor Ort und die Objektautopsie am meisten beschäftigt. »Autopsie« heißt, man nimmt das Objekt, in diesem Fall die Zeichnung und ihr Passepartout, genauestens unter die Lupe. Was man dabei findet, Merkmale und Daten, verzeichnet man in einem Datenblatt. Wichtig sind nicht nur die exakten Maße der Blätter und der Passepartouts, sondern auch die Motive und die Technik sowie Künstlerin bzw. Künstler des Werks.
Nachdem ich die Grunddaten der Objekte erfasst habe, konzentriere ich mich auf zusätzliche Spuren auf der Zeichnung an sich oder auf dem Passepartout. Dabei achte ich vor allem auf Stempel, Etiketten, Signaturen oder handschriftlichen Nummern, denn diese Provenienzmerkmale können dabei helfen, die Geschichte eines Objektes nachzuvollziehen.
Erste Anhaltspunkte
Bei der Untersuchung wurden drei Sammlerstempel gefunden. Zwei befinden sich auf dem Stück mit der Inventarnummer S 1965/1190,9. Dieses Blatt wird der Hand von Camillo Procaccini (1561-1629) zugeschrieben. Es zeigt Skizzen von Körpern und Gesichtern, wahrscheinlich Studien für ein Gemälde des italienischen Künstlers. Die Stempel (L.544, L.1131) befinden sich auf der Vorderseite in der rechten unteren Ecke am Rand und in der Mitte des unteren Randes.
Eine dritte Marke habe ich auf der Zeichnung eines Mädchenkopfes gefunden, die dem italienischen Künstler Sebastiano Ricci (1659-1734) zugeschrieben wird (Inv. Nr. S 1965/1190,18). Hier befindet sich die Sammlermarke kaum sichtbar auf der Rückseite des Blattes in der oberen rechten Ecke.
Sammlerstempel bzw. -marken sind wie Ex Libris eine Form der Besitzmarkierung. Sie halten fest, wem das Kulturgut einmal gehört hat. Das bedeutet, dass sich anhand der gefundenen Markierungen ehemalige Besitzer herausfinden lassen können.
Wie lassen sich Sammlerstempel zuordnen?
Zunächst das Positive: Mittlerweile gibt es für alles eine Datenbank. Wo man früher dicke Wälzer Seite für Seite nach etwas Übereinstimmenden zu durchsuchen hatte, gibt man heute schnell die gewünschten Suchkriterien ein und freut sich über ein schnell gefundenes Ergebnis. Stimmt doch, oder?
So leicht ist es leider nicht. Zwar existiert mit der Online-Datenbank Frits Lugt. Les Marques de Collections de Dessins & d’Estampes (kurz: „Frits Lugt“) der Fondation Custodia in Paris ein gutes Hilfsmittel, trotzdem gehört eine große Menge an Vorstellungskraft, Zeit, Geduld, Erfahrung und Glück dazu, um unter den rund 9000 Einträgen das Richtige zu finden. Da ist es gut, dass die Mitarbeiter:innen der Datenbank Frits Lugt ihre Sammlung kennen und bei Nachfragen aushelfen können. So konnte ich mit ihrer Hilfe alle drei Stempel einem Sammler zuordnen.
Aufgrund der beiden Sammlermarken auf der Zeichnung von Procaccini (Inv. Nr. S 1965/1190,9) lässt sich vermuten, dass die Zeichnung Mitte bzw. Ende des 19. Jahrhunderts zu den beiden Sammlungen der Brüder Charles und Amédée-Paul-Emile Gasc in Paris gehörte. Die beiden Brüder boten ihre Sammlungen in mehreren Verkäufen in den 1860er Jahren in Paris an. Die Zeichnung wurde möglicherweise im April 1861 zum Verkauf gelistet.
Der Stempel auf der Rückseite der Zeichnung von Ricci (Inv. Nr. S 1965/1190,18) weist das Objekt dem Dresdner Sammler Christian Gottlieb Crusius zu. Wahrscheinlich wurde sie in der Nachlass-Auktion im März 1785 unter dem Los 3504 angeboten (Link zum Auktionskatalog).
Woher die Werke in die genannten Sammlungen kamen und wohin sie danach gelangten, konnte bisher nicht ermittelt werden. Dennoch sind dies erste Ansatzpunkte für die Geschichten der beiden Blätter. Ab hier wird nun weiter geforscht.
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