13. Juni 1998 | Blog | Harald Pilzer

Aus den Vorbereitungen zur Ausstellung Lippe 1848

Das neue Medium Zeitung in der Revolution von 1848/49 : „… samt dem Gift, das sie und ihre gott- und heillose Presse in die Adern unseres Volkes zu bringen so eyfrig beflissen sind.“

Ein Pfarrer im lippischen Brake drückte so seine Empörung aus über den Einfluß, den die auf einen Umsturz der bestehenden Verhältnisse hinarbeitenden Democraten durch das neue Medium „Zeitung“ so schnell erreicht hatten. Ein anderer schrieb von der verführerischen Wirkung der democratischen Blätter. Meldungen von aktuellen politischen Ereignissen, Kommentare und öffentliche politische Stellungnahmen – aus unserem Leben heute nicht mehr wegzudenken – gehörten 1848 zu den wichtigsten Errungenschaften. Neue Drucktechniken und schnellere Transportmöglichkeiten hatten zu ihrer raschen Verbreitung beigetragen. Vor Ort lagen die Zeitungen in Dorfkrügen und Vereinslokalen aus, wurden laut vorgelesen und veranlaßten die Anwesenden, über die aktuellen Nachrichten oftmals heftig zu debattieren.

Am 25. März 1848 erschien bei Wagener in Lemgo die erste Ausgabe der Wage, das „Probeblatt“ einer, so der Untertitel, Zeitschrift zur Besprechung der Angelegenheiten des Volkes. Als Redakteure zeichneten die Detmolder Karl Vette und Carl Volckhausen sowie Gustav Adolf Wolff aus Lemgo. Auf vier Seiten, etwa DIN A 4 groß, standen in diesem Erstlingsheft unter der Rubrik „Tagesereignisse“ Kurzberichte über den Sturz des französischen Königs, über die Aufhebung der Pressezensur im Deutschen Bund, über die Unruhen in Wien, den Rücktritt des österreichischen Kanzlers Metternich und über die Straßenkämpfe vom 18. und 19. März in Berlin und die Ehrung der maerzgefallenen durch den preußischen König.

Die neue Freiheit: keine Zensur

Die „Preßfreiheit“ und die Eröffnung des Lippischen Landtags waren jedoch die beiden Hauptthemen dieser Ausgabe. Am 8. März hatte auch der lippische Fürst Leopold II. die Pressefreiheit erklärt. Nach dem Fürstlich-Lippischen Regierungs- und Anzeigeblatt, und den Vaterländischen Blättern für Cultur und Gemeinwohl ist die Wage nun das dritte periodisch erscheinende Blatt im Fürstentum Lippe und das erste, das von der neu errungenen Pressefreiheit profitiert und diese konsequent nutzt.

Politische Ausrichtung

Die schon 1835 gegründeten Vaterländischen Blätter, die von Moritz Leopold Petri zunächst unter dem Titel Lippisches Magazin für vaterländische Cultur und Gemeinwohl herausgegeben wurden, paßten sich der neuen Zeit an, indem sie ihr Gesicht veränderten. Vom 1. April 1848 an erschienen die Vaterländischen Blätter zweimal wöchentlich – wie die Wage – und im größeren Format als bisher. Zum neuen inhaltlichen Programm gehörten auch hier nun politische Berichte und Stellungnahmen. Die Redakteure der Vaterländischen Blätter, ab April ohne Petri, der für die Regierung nach Frankfurt ging, wollten sich keiner parteipolitischen Richtung verpflichten, blieben im wesentlichen jedoch bürgerlich-liberal und auf der Seite einer konstitutionellen Monarchie.

Kontrolle durch Öffentlichkeit

Anläßlich der ersten allgemeinen und gleichen Wahl in Lippe, der Wahl des lippischen Abgeordneten für die Nationalversammlung in Frankfurt, ist es besonders die Wage, die nun die ersten demokratischen Gehversuche kritisch beobachtet und Unzulänglichkeiten der Wahlpraxis – in Lippe wurde indirekt, d.h. über Wahlmänner gewählt – öffentlich bemängelt.

Die Redakteure der Wage gehörten zu den Revolutionären der ersten Stunde: Karl Vette, der junge Advokat, hatte sich am Abend des 6. März mit großem Engagement für eine Petition an den Fürsten eingesetzt, in der die Freiheit der Presse, die Öffentlichkeit der Landtagsverhandlungen und eine allgemeine gleiche Wahl zu einer neuen Volksvertretung gefordert werden sollte. Im Mai gründete Vette in Detmold mit einigen Weggenossen den ersten „Volksverein“.

Demokrat erhielt Berufsverbot

Carl Volckhausen war „Candidat“ am Detmolder Gymnasium und ebenfalls Mitglied des Volksvereins. Er sollte wegen seiner redaktionellen Tätigkeit für die Wage und seiner Mitgliedschaft im Volksverein seine Lehrerstelle in Detmold verlieren. Aus der Redaktion der Wage mußte er noch auf Druck der Schulbehörde vorzeitig ausscheiden. Der Lemgoer Verleger Gustav Adolf Wolff hatte sich schon früher von der Redaktion getrennt. Sein Nachfolger wurde der Detmolder Advokat Otto Dresel. Bis zuletzt war die Wage eng verwoben mit den demokratischen Volksvereinen, über die das Blatt häufig berichtete.  Zweimal wöchentlich, mittwochs und sonnabends, erschien die Wage bei F.L. Wagener in Lemgo. Bestellungen konnten bei allen Postämtern im In- und Ausland oder direkt beim Verleger aufgegeben werden.

Konkurrenz im Wahlkampf

Am 28. September 1848 erschien erstmalig eine weitere Zeitung in Lippe, in der von der ersten Ausgabe an heftig gegen die Verfechter der revolutionären Ideen und vor allem gegen die Wage polemisiert wurde. Das Lippische Volksblatt war ein Produkt der Konservativen und polemisierte gegen die Revolution. Fortan fanden zwischen den beiden Konkurrenzblättern heftige Wortgefechte statt, so daß sich schon allein bei der Lektüre der Zeitungen ein interessanter Einblick in den im Frühjahr 1849 stattfindenden Wahlkampf für den neuen Landtag gewinnen läßt.

Für unsere heutigen Lesegewohnheiten mögen die oft langen Zeitungsberichte schon rein optisch – für ein raffiniertes Layout fehlten noch die technischen Möglichkeiten – nicht einfach zu erfassen sein. Doch mit einem Blick auf die Zeitumstände läßt sich die immense Bedeutung, die dem damals neuen Medium „Zeitung“ in einem langwierigen Prozeß der Demokratisierung und Politisierung zukam, schnell ermessen.
Siehe auch: 1. Ausstellungsankündigung.


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