23. April 1998 | Blog | Harald Pilzer

Aus den Vorbereitungen zur Ausstellung Lippe 1848

Am Abend des 5. März (1848) wird in der Detmolder Ressource darüber geredet, daß man dem lippischen Fürsten eine Petition, eine Bittschrift überreichen wolle. Zehn Tage zuvor war in Paris der Bürgerkönig Louis Philippe gestürzt worden. „Revolution“! Dieser Ruf hallte schließlich in den Märztagen selbst im bis dahin eher beschaulichen Fürstentum Lippe wider.

Die Detmolder Ressource war der erste Verein der Stadt und gesellschaftlicher Mittelpunkt. In ihren Räumen in der Bel Etage des Rathauses versammelten sich vor allem Bildungsbürger und Detmolder Honoratioren, um allabendlich die auswärtigen Zeitungen zu lesen und über die neuen Nachrichten zu debattieren. Auch hier war das Interesse an Veränderungen des politischen Systems groß. In den nun folgenden Tagen überschlagen sich die Ereignisse in der Residenzstadt.

Am 6. März versammeln sich auf Einladung des örtlichen Gewerbevereins über 300 Bürger im Rathaus. Es werden flammende Reden über die Revolution in Frankreich gehalten. Ein vom Juristen Karl Vette vorgetragener Entwurf für eine Petition an Leopold II. wird mit Begeisterung angenommen. Diese soll einige Tage später mit einer großen Demonstration, einem „Volkszug“, wie es in der Sprache der Zeitgenossen hieß, dem Fürsten überreicht werden. Doch einigen der Akteure wird diese Geschichte „zu heiß“. Vor allem die anwesenden Vertreter des Magistrats und die Detmolder Stadtverordneten möchten die Entwicklung in geordnetere Bahnen lenken.

Eine der Hauptpersonen in diesen Tagen ist der Justizrat und Stadtverordnetenvorsitzende Moritz Leopold Petri. Er war es vor allem gewesen, der in den Jahren des Vormärz die Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft in der Stadt vorangetrieben hatte. Petri hatte zu den Gründern der Ressource, des Gewerbevereins und des Landwirtschaftlichen Vereins gehört, hatte eine juristische Lesegesellschaft, die später in die Leseanstalt der Ressource überging, und die erste bürgerliche Zeitung Lippes, das Lippische Magazin, ins Leben gerufen.
Selbst der Hermannsdenkmalverein war auf seine Initiative zurückgegangen: Petri war einer der aktivsten Förderer des als nationales Monument geplanten Hermannsdenkmals, für dessen Bau in einer großangelegten Aktion in ganz Deutschland Spenden gesammelt wurden und das schon 1841, drei Jahre nach der Grundsteinlegung und mehr als drei Jahrzehnte vor seiner Vollendung, mit einer imposanten Festinszenierung als Nationaldenkmal gefeiert worden war.

Petri war geprägt von den national-liberalen Überzeugungen der studentischen Burschenschaften, denen er in den 20er Jahren angehört hatte. Eine offene Gegnerschaft zum lippischen Herrscherhaus und öffentliche Protestaktionen zur Durchsetzung demokratischer Rechte waren dagegen nicht seine Sache. Auch er hatte auf der Versammlung am 6. März 1848 eine Petition vorgetragen, die wegen ihrer maßvollen Forderungen jedoch keinen besonderen Anklang gefunden hatte.

Nun aber beschlossen der Magistrat und die Stadtverordneten, auf der Basis der „Volkspetition“ und der Petris eine weitere, maßvolle Bittschrift zu formulieren. Am nächsten Morgen wurde diese in einer Bürgerversammlung verlesen und bekanntgegeben. Dennoch wurde in der gleichen Versammlung die „Volkspetition“ von vielen Anwesenden unterzeichnet und von Detmold aus im ganzen Land verbreitet. In den Dorfkrügen fanden Versammlungen statt, in denen die Forderungen und das weitere Vorgehen diskutiert wurden.

Der Magistratsentwurf wurde derweil schon am folgenden Tag feierlich dem Fürsten überreicht. Leopold II. gab daraufhin zunächst nur eine sehr vage Erklärung ab: Die Stände habe er ohnehin bald einberufen wollen, dann werde man die Anliegen der Bittsteller beraten; im übrigen versichere er, daß ihm das Wohl seiner Untertanen sehr am Herzen liege und er alles zum Wohle des Volkes zu tun gedenke.

Damit sind jedoch nicht einmal die gemäßigten Revolutionäre in Detmold zufrieden. Noch einmal wenden sie sich an den Fürsten, um die wichtigsten ihrer Forderungen zu bekräftigen und Leopold II. aufzufordern, alles zu genehmigen, was er ohne die Mitsprache der Ständevertretung zusichern könne, da ansonsten mit großen Unruhen im ganzen Land zu rechnen sei. Daraufhin erläßt Leopold II. eine Proklamation, in der er den Forderungen weitgehend nachgibt. Die Freiheit der Presse wird erklärt, die Öffentlichkeit der landständischen Verhandlungen, die geforderte personelle Trennung von fürstlicher Regierung und der für die Finanzen zuständigen Rentkammer, und die verfassungsmäßigen Rechte der Landstände in Finanzangelegenheiten und die ihnen zustehende entscheidende Stimme bei der Gesetzgebung werden zugesichert. Offen bleiben zunächst die Forderungen nach allgemeinen Wahlen und der Ablösung des Ständelandtags mit den eindeutigen Privilegien des Adels und der Besitzenden. Immerhin sagt der Fürst auch seine Unterstützung bei der Einberufung eines gesamtdeutschen Parlaments zu. Der geplante Volkszug wird nun in der Tat abgesagt, der Fürst wegen seiner Zugeständnisse gefeiert. Der liberale Moritz Leopold Petri wird vom Fürsten in die Regierung geholt. So scheint in Detmold nach wenigen Tagen wieder Ruhe eingekehrt zu sein.
Doch neben Dankadressen aus allen Landesteilen treffen weitere Petitionen aus den ländlichen Gemeinden bei der Regierung ein, Delegationen stehen vor dem Detmolder Schloß und wollen beim Fürsten vorgelassen werden. Auch kuriose Fälle sind darunter: so z.B. der Mann aus Grastrup, der einen Antrag auf Verkürzung seines Witwenjahres stellen möchte, um schon kurze Zeit nach dem Tod seiner Frau wieder heiraten zu dürfen. Das Lippische Volksblatt, im September 1848 ins Leben gerufen, veröffentlichte 1849, im zweiten Jahr der Revolution, anläßlich eines Demonstrationszuges von Lemgoer Bürgern nach Detmold, eine spöttische Karikatur zur auch in Lippe verbreiteten Petitionsbewegung.

Zeitungen waren es vor allen Dingen gewesen, die neben Flugblättern, Maueranschlägen, Karikaturen und anderen Bilddarstellungen in den ersten Monaten der Revolution wie Pilze aus dem Boden schossen, Nachrichten und Meinungen kolportierten und damit nicht nur Errungenschaften der revolutionären Forderungen waren, sondern im weiteren Verlauf in das Geschehen eingriffen und es mitbestimmten. Neue Drucktechniken, die eine wesentlich schnellere Produktion hoher Zeitungsauflagen ermöglichten, und nicht zuletzt die neuen Eisenbahnlinien, die größere räumliche Distanzen schneller zu überbrücken halfen, gehörten zu den Voraussetzungen der Revolution. Vor Ort, in kleineren Dörfern und Gemeinden prägte häufig noch ein anderes Medium die Kommunikation: das Gerücht. Immer wieder wird es zitiert, bahnt es Vorurteilen gegen Vertreter der Unterschichten und gegen Akteure von außen, jenseits der lippischen Grenzen, den Weg in die Wirtshäuser und Amtsstuben, in die Nachbargemeinden.

Heute, das heißt 150 Jahre nach diesen Ereignissen, die in Lippe ganz ähnlich wie in vielen anderen kleinen Territorien verliefen, wissen wir viele Einzelheiten über die damaligen Vorgänge aus den archivierten Akten der Fürstlichen Regierung, einzelner Ämter und Städte, aus wenigen überlieferten Briefen von Zeitgenossen sowie Tagebuchnotizen des o.g. Moritz Leopold Petri. Besonders spannend an der Beschäftigung mit diesen inzwischen so weit zurückliegenden Vorgängen ist neben der sich teilweise überschlagenden Ereignisgeschichte vor allem die Frage nach den verschiedenen Kommunikationsformen und -räumen der einzelnen Handlungsträger, ihren Möglichkeiten und Grenzen, Formen und Foren für ihre politischen und sozialen Forderungen. Die Bandbreite der Aktivitäten reichte immerhin von den ganz offiziellen Sitzungen der Stadt- und Gemeinderäte, den Neugründungen von Vereinen, dem öffentlichen Tragen schwarz-rot-goldener Fahnen und Kokarden in bürgerlichen Kreisen bis hin zum Holzdiebstahl und Straßentumulten der Einlieger, die sich in der Regel kaum anders ihrer Not zu wehren wußten.

In der Lippischen Landesbibliothek wird derzeit eine Ausstellung vorbereitet, die den Titel „Lippe 1848. Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu überreichen“ trägt und vom 4. Oktober bis zum 18. Dezember 1998 in den Räumen der Bibliothek zu sehen sein wird. Neben einer Darstellung der Ereignisse im Fürstentum Lippe geht es um Fragen nach den Hintergründen und um die Entstehung öffentlicher Kommunikation im revolutionären Prozeß. Gezeigt werden neben Zeitungen, Karikaturen, Bildern und Büchern aus dem bibliothekseigenen Bestand auch Briefe und Texte von Malwida von Meysenbug, Georg Weerth und Ferdinand Freiligrath.