Der Name tauchte in unseren Nachlass-Beständen auf: Die Dame hat zwei Werke um 1911 und 1913 veröffentlicht:
- Maerchengruß an meine kleinen Freunde und Freundinnen / von Johanne v. Mey. – Minden i.W.: Bruns, 1913.
- Das Hexenhäuschen am Jakobsberge: einer wahren Geschichte nacherzählt für meine kleinen Freundinnen / von Johanne v. Mey. – Minden i.W.: Bruns, 1911
Unter der Signatur Sammlung 45 haben wir weitere Werke in Manuskriptform. Dabei nur die Information, dass die Dame Lehrerin (bei Minden?) war und in Hausberge (=heute Porta Westfalica) gelebt hat. Der Bestand kam 2005 (Link aufs Findbuch, PDF) ins Haus. Schon damals hat eine Kollegin versucht, mehr über die Autorin herauszufinden, aber erfolglos. Da ich gerade dabei bin, zu allen unseren literarischen Nachlässen einen LippeLex-Artikel zu basteln, habe ich das Thema nochmal angepackt. Immerhin hat sich die Ausgangssituation seit 2005 verbessert, weil erheblich mehr Information im Netz verfügbar und aufzufinden ist.
So kam ich auf die Idee, die Volltextsuche des NRW-Zeitungsportals Zeitpunkt.nrw zu benutzen. Tatsächlich führt die Volltextsuche (mit Anführungsstrichen um die Phrase) auf fünf Treffer, vier davon im Herforder Kreisblatt (am 4.2.1886, 25.7.1891, 11.11.1893, 25.10.1910), einer im Minden-Lübbecker Kreisblatt (24.10.1910). Die letzten beiden, wie die zeitliche Nähe erwarten lässt, widmen sich dem gleichen Ereignis; da taucht der Name auf in einer Liste von Menschen, die mit der Roten Kreuz-Medaille 3. Klasse ausgezeichnet wurden. Und Johanne von Mey wird »Fräulein« genannt; es ist also ihr Geburtsname.
Die beiden Artikel vom 25.7.91 und 11.11.93 teilen mit, dass Johanne von Mey dem Herforder Altertumsverein für sein Heimatmuseum Stücke geschenkt hat. Auch eine interessante Information, da die Stücke aus Familienbesitz stammen und daher auf eine entsprechende Herkunft deuten. Am Interessantesten ist jedoch die Erwähnung im Herforder Kreisblatt am 4.2.1886. Die berichtet nämlich von einem 60jährigen Lehrerjubiläum der Herforder Lehrerin Charlotte Bergmann, das als Festakt mit einer Menge Aufführungen und mit 300 Gästen gefeiert worden ist. Der Abend wurde organisiert von ehemaligen Schülerinnen, sagt der Artikel, und würdigt Johanne von Mey, die eine eigene Dichtung Aus der Märchenwelt von Kindern hat aufführen lassen und den Gesang einer »singenden Kinderschule« geleitet habe. Daraus wird man wohl folgern können, dass von Mey bereits 1886 als Lehrerin tätig war, und früher mal Schülerin bei der besagten Charlotte Bergmann gewesen ist. Einen weiteren Hinweis auf von Meys Alter ergibt sich aus dem Bericht im Artikel, dass der »Landrat von Borries« als »alter Freund der Familie« von Mey bezeichnet wird und »in launiger Rede uns von seinen jugendlichen Versuchen unter Leitung eben dieser Dame erzählte«. Also wird man annehmen können, dass von Mey älter als der besagte Landrat Borries ist. Wer ist dieser Landrat Borries? Wikipedia hilft da schnell weiter. Allerdings ist bei der Ermittlung der Umstand etwas hinderlich, dass man im 19. Jahrhundert gern Titel wie „Landrat“ auch für Leute verwendet hat, die ihr Amt nicht mehr ausgeübt haben. Das ist deswegen hier von Bedeutung, weil es eine regelrechte Dynastie derer von Borries gibt, die Landrat im Kreis Herford waren.
- Von 1903 bis 1933 Franz von Borries
- von 1890 bis 1903 Georg von Borries, Bruder seines Vorgängers Rudolf
- von 1870 bis 1890 Rudolf von Borries
- von 1838 bis 1870 Rudolfs Vater Georg von Borries
- von 1832 bis 1838 Georgs Vater Philipp von Borries
Man wird also der Einschätzung zustimmen können, dass »Familie von Borries im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den politisch einflussreichsten Familien in Westfalen (gehörte)«. Welcher von denen war es nun? Es handelt sich um Rudolf, da er zum Landrat gewählt wurde, nachdem sein Vater gestorben war (d.h. der ältere kommt nicht in Frage).
Rudolf ist 1843 geboren, und wenn er in jungen Jahren schon von Johanne von Mey angeleitet wurde, muss die entsprechend älter sein.
Neben den Lebensdaten ist auch interessant, an welcher Schule denn von Mey Lehrerin war. Zunächst habe ich mit der Vermutung begonnen, dass es sich um eine (oder mehrere) Töchterschule(n) handeln müsste; dafür kommen im Raum Minden / Herford die 1826 gegründete Städtische Mindener Töchterschule in Frage (Vorgängerin des Caroline-von-Humboldt-Gymnasiums) und die Private Töchterschule in Herford, eine Vorgängerin des dortigen Königin-Mathilde-Gymnasiums. Besonders die Mindener Schule schien mir passend, denn wenn Charlotte Bergmann 1886 60jähriges Jubiläum feiert, muss sie ja mit dem Unterrichten 1826 angefangen haben — das schien in Herford nicht zu gehen, aber eben in Minden. Dann bin ich auf die Idee gekommen, die Volltextsuche bei Zeitpunkt NRW auch mit Bergmann zu probieren, und fand noch mehr Artikel zum Jubiläum. In einem wird Bergmann als »Kindergärtnerin« bezeichnet, und aus einem Nachruf geht hervor, dass Bergmann »eine Privatschule von Knaben und Mädchen« gegründet, in welcher die Kinder bis zum 8. Lebensjahr unterrichtet wurden und die ziemlich erfolgreich war. Also nix Töchterschule, sondern Schule für Kinder bis acht Jahre. Dort wird von Mey wohl auch Lehrerin gewesen sein, denn zu ihrem Jubiläum1886 war Bergmann noch Leiterin dieser Schule. Das passt zu den eingangs zitierten Veröffentlichungen, denn die schrieb von Mey ja für ihre »kleinen Freunde und Freundinnen«, wie es im Untertitel heißt.
Ein Kollege aus dem Kommunalarchiv des Kreises Herford hat freundlicherweise ermittelt, dass diese Schule im ersten Verwaltungsbericht der Stadt Herford von 1865 genannt ist, dort heißt es »Die Schule von Fräulein Bergmann wurde Ende vorigen Jahres von 13 Knaben und 25 Mädchen besucht, sie dient dem Bedürfnis derjenigen Kinder, welche das schulpflichtige Alter noch nicht erreicht haben, und dieselben für die verschiedenen anderen Schulen vorbereiten sollen.« Er hat außerdem herausgefunden, dass als Gründungsdatum der 28.2.1848 in Frage kommt. Das ist seltsam, weil es nicht zum 60jährigen Jubiläum passt. Da es in Bergmanns Nachruf außerdem heißt, sie habe keine Ausbildung gehabt, kann sie wohl kaum an einer anderen (staatlichen) Schule unterrichtet haben. Ein Rätsel.
Über von Meys Ausbildung wissen wir auch noch nichts. Immerhin habe ich, auf anderem Weg, dann doch noch Geburts- und Sterbedatum herausbekommen, da die Familie von Mey im “Gothaischen Taschenbuch der briefadligen Häuser“ hin und wieder erwähnt wird, nämlich erstmals 1911, und das Todesdatum geht aus einem späteren Eintrag im Jahrgang 1936 hervor. Ihr Vater war Christian von Mey (1798-1878), preußischer Amtmann in Hausberge, geboren in Minden, ihre Mutter die erste Frau des Vaters, Charlotte geb. Punge (1805-1842), aus Herford. Johanne war die älteste Tochter, geboren am 5. Januar 1830 in Dielingen, und gestorben in Hausberge am 20. April 1919. Sie hatte 9 Geschwister. Ihre Schwester Charlotte (1843-1924) war Lehrerin in Herford an dem späteren Königin-Mathilde-Gymnasium (ebenfalls Auskunft des Kommunalarchivs!).


Das Foto mit den vier Frauen stammt aus dem genannten Bestand. Es ist auf der Rückseite beschriftet, aber ich kann nicht alles lesen. Ich entziffere
»Hausberge
Betty, Johanne
T. (?) Johanne
Isabel (?)«.
Das Foto ist nicht datiert. Qualität, Vergilbung, Szenerie, bringen mich auf eine geschätzte Datierung um 1910. Da wäre Johanne 80 Jahre alt gewesen, ihre Schwester Betty 70, daher nehme ich an, dass das die beiden alten Damen in der Mitte sind. Aber vielleicht hat auch jemand eine andere Idee?
Der LippeLex-Artikel zur Person hat jedenfalls inzwischen ein paar Informationen.
Da es hier keine Vergleichsinstanz für das große „A“ gibt, nicht so leicht zu entscheiden. Ich tendiere aber dazu, den Anfangsbuchstaben als „I“ zu lesen, weil dem J von Johanne so ähnlich.
Könnte der Name Annabel sein? Auch wenn es orthografisch nicht richtig geschrieben scheint. Aber z.B. bei Johanne wurde auch Johame geschrieben und es fehlt eigentlich ein weiterer Bogen für „nn“
Ja, „Tante“ Johanne könnte sein — allerdings gibt es leider keine „Tante“ im Stammbaum an passender Stelle, siehe https://lippelex.de/index.php?title=Mey,_Familie,_1450- bzw. überhaupt, von daher vielleicht eine Nenn-Tante? Auf der anderen Seite deutet das Foto ja vielleicht auf Zusammenleben hin, was doch eher für Verwandte spricht …
das T. Johanne lese ich auch und würde es als „Tante Johanne“ deuten. Bei Isabel bin ich mir nicht so sicher (für ein a ist es ein Bogen zu viel), weiß aber auch nichts plausibleres. Die Kleidung der alten Damen ist schon sehr traditionell, aber um 1910 könnte noch passen.