03. April 2020 | Blog | Joachim Eberhardt

Schaufenster 3: Mitternacht in Detmold – vor rund 180 Jahren

Anfang 1838 erschien unter dem Titel „Eine Mitternacht in Detmold“ in Franz Lewalds Zeitschrift Europa eine kleine Reisebeschreibung eines jungen Schriftstellers aus Kassel namens Franz Dingelstedt.

Dingelstedt schreibt, wie er mit dem Postwagen nachts durch Lippe reist. In Meinberg steigt eine „dunkle Gestalt“ ein, die als erstes ihm auf sein „schlimmes Hühnerauge“ tritt, um dann den Weg nach Detmold mit ihm zu teilen. Weil aus dunklen Fenstern nichts zu sehen ist, unterhält man sich. Dingelstedt mokiert sich über die Aussprache des Lippers:

Uebrigens sagte er nicht, wie andere Christen, Schade in einem Athem, sondern als Lippe-Detmolder-Ureinwohner „S-chade“. Das S und das Ch zerriß er sehr vorsichtig ebenso wie das S und das T. Man muß dieses Wälsch gehört haben, worin jeder Vokal wie eine olla potrida von den fünf deutschen Selbstlautern klingt und die Consonanten alle einzeln aufmarschiren; ein zartfühlendes Gemüth kann Zahnweh von einer solchen Conversation bekommen, wenn es auch bloß zuhört, wie ich.

Dingelstedt fragt dann

ob’s im Lande Lippe-Detmold außer Ferdinand Freiligrath noch einen Dichter gäbe oder gegeben hätte?
„Ein Dichter?“ Er besann sich. „Den Freiligrath habe ich recht gut gekannt. Ich habe einen Bruder, mit dem ist er in die Schule (sprich S-ch-ule) gegangen. Das war ein Tausend-Schwerenöther, durch und durch!“

Natürlich kommt man auch auf Grabbe zu sprechen:

„Mein Herr! haben Sie Grabbe gekannt?“ fragte ich hastig mein Gegenüber. – „Jrabbe?!“ wiederholte dasselbe in seinem Dialekte, „ach! Sie meinen gewiß den Auditeur Grabbe, dem sein Vater Gefangenwärter in Detmold gewesen ist?“ —
Süße, heilige Natur! Ich hätte dem „Lippe-Detmolder durch und durch“ im Dunkeln um den Hals fallen mögen, daß er sich auf einen, in ganz Deutschland gefeierten Namen erst dann besann, als er ihn an den seiner FAmilie und an eine bürgerliche Existenz anbinden konnte.
„Hören Sie, das war Ihnen ein eigenes Ding mit dem Grabbe. Zuletzt wollt‘ es kein Mensch mehr ‚was mit ihm zu thun haben, nicht einmal seine eigene Frau nicht.“

Und dann gibt der Reisebegleiter noch einige Anekdoten zum besten. Die ganze launige Erzählung stieß allerdings den Lippern übel auf, zumal sie durch zwei Nachdrucke in anderen Zeitschriften weitere Verbreitung fand. Grabbes Witwe wollte sogar, da sie sich verleumdet sah, eine öffentliche Gegendarstellung, und Freiligrath, als Schwerenöter tituliert, tat die Schrift als „Gewäsch“ ab.
Alfred Bergmann hat die ganze (heute belustigende) „Affäre“ in aller Ausführlichkeit nacherzählt und gibt dabei auch die Quellen wieder: im Band 31.1962 der Lippischen Mitteilungen, welcher Dank der Kooperation zwischen NHV und Landesbibliothek seit 2017 frei online zugänglich ist.


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