29. April 2020 | Blog | Christine Rühling

Schaufenster 29: Theater für die Fürstin

Unterhaltung in zwei Akten: In der Handbibliothek der Fürstin Pauline zur Lippe (1769-1820) findet sich ein kurzes, handgeschriebenes Manuskript aus dem Jahr 1804 mit dem Titel „Der kleine Linnenhändler“. Wer es verfasst hat, ist nicht bekannt. Umso interessanter sind seine Entstehungskontexte. Das Stück wurde offensichtlich am Hof Fürstin Paulines als Liebhabertheater aufgeführt, d.h. von Mitgliedern der fürstlichen Familie und der Hofgesellschaft zur allgemeinen Unterhaltung. Das Personenverzeichnis gibt Auskunft, wer welchen Part übernommen hat. Das Stück diente auch dazu, die lippische Fürstin und ihr kleines Territorium in höchsten Tönen zu loben. Ausdruck dieses Fürsten- bzw. besser: Fürstinnenlobs ist der Schlusschor am Ende des Stückes. Dabei greift der unbekannte Autor auf ein großes literarisches Vorbild zurück, nämlich auf das Gedicht „Kennst du das Land? wo die Citronen Blühn“ aus Goethes „Wilhelm Meister“. Die Italiensehnsucht, die die Figur Mignon in diesen Zeilen so eindrucksvoll formuliert, regt jedoch eher zum Schmunzeln an, wenn man sie auf Lippe überträgt. Überzeugen Sie sich selbst. Im Schlusschor heißt es:

Kennt ihr das Land, das Herrmanns Eiche kränzt,
wo segensvoll die reife Aehre glänzt,
wo froher Jubel auf zum Himmel schallt,
wenn reich der Flachs in blauen Fluhten wallt?
Kennt ihr es wohl! Dahin! Dahin!
Laßt alle uns, Geliebte! ziehn.

Kennt ihr das Land, das stille Bürger nährt,
wo Unterwerfung die Gesetze ehrt;
wo jedes Herz für seine Fürstin schlägt
für sie die treuste Lieb‘ im Innern trägt,
Kennt ihr es wohl! Dahin! Dahin!
Laßt freudig uns, Geliebte, ziehn.

Kennt ihr das Land, wo Niemand hülflos weint,
Wo schnell zu helfen Alles sich vereint.
Wo ungehört der Aermste selbst nicht klagt
Nicht trostlos vor der dunklen Zukunft [kl; gestrichen][z]agt!
Kennt ihr es wohl? Dahin! Dahin!
Geht unser Weg, Geliebte laßt uns ziehn!

Mehr zur Handbibliothek Fürstin Paulines: hier


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