Die Sachsenspiegel-Handschrift der Lippischen Landesbibliothek wurde am heutigen Tage zur Restaurierung nach Marburg gebracht. Sie wird dort in den nächsten Wochen auf Kosten der Gesellschaft der Freunde und Förderer der Lippischen Landesbibliothek e.V. gereinigt und instandgesetzt.
[Update 27.4.2022] In den Beitrag wurde die Projektdarstellung integriert:
Die Gesellschaft der Freunde und Förderer finanziert die Restaurierung einer Handschrift des niederdeutschen Sachsenspiegels aus dem Jahr 1408, die vermutlich aus der alten Blomberger Ratsbibliothek stammt und 1862 als Geschenk des Blomberger Magistrats in die Lippische Landesbibliothek gelangt ist.
Die Sachsenspiegel-Handschrift der Lippischen Landesbibliothek wurde am 9. März 2005 zur Restaurierung nach Marburg gebracht. Sie konnte am 2. September 2005 anlässlich des Aktionstages Bestandserhaltung in der Landesbibliothek bereits im restaurierten Zustand präsentiert werden.
Der Sachsenspiegel ist das erste bedeutende deutschsprachige Prosawerk des Mittelalters und zugleich das älteste deutsche Rechtsbuch überhaupt. Sein Verfasser, der Schöffe und Edelfreie Eike von Repgow, stammte aus der Nähe von Dessau, er wird zwischen 1209 und 1233 mehrfach urkundlich erwähnt. Eike hat als ausgezeichneter Kenner des seinerzeit praktizierten Rechts seiner Heimat zu gelten. Nach dem Selbstzeugnis in der Vorrede hatte er zunächst eine lateinische Fassung seines Rechtsbuchs angefertigt, die er dann auf Veranlassung seines Lehnsherren, des Grafen Hoier von Falkenstein, ins Niederdeutsche übertrug. Die erste niederdeutsche Fassung wird um 1224/25 entstanden sein. Vorgelesen waren die Rechtssätze damit für jedermann zu verstehen.
Der Sachsenspiegel zeichnet das bestehende und durch Gerichtsgebrauch überlieferte Gewohnheitsrecht der elbostfälischen Heimat seines Verfassers auf, also etwa des Raumes zwischen Dessau und Quedlinburg. Den Titel hat Eike ihm selbst gegeben. In der Vorrede heißt es: Spegel der sassen scal dit buk sin genant, vent Sassen recht is hir an bekant, alse an eneme spegele de vrowen er antlite scowen.
Inhaltlich gliedert sich das Werk in zwei Teile: in das Landrecht, also Grundstücks- und Erbrecht, Ehegüter-, Nachbar-, Straf- und Gerichtsverfahrensrecht, und in das Lehnrecht, worunter die Heerschildordnung, Lehenspyramide und Lehensgericht zu verstehen sind. Der Sachsenspiegel erlangte in kurzer Zeit Gesetzescharakter und nahm entscheidenden Einfluss auf das Rechtsdenken weit über Deutschland hinaus bis nach Ost- und Südosteuropa; in Thüringen und Anhalt blieben seine Grundsätze sogar bis zum Jahr 1900 in Kraft.
Die Verbreitung des Sachsenspiegels im Mittelalter war enorm. Heute sind noch 341 Landrechts- und 94 Lehnrechtstexte in Handschriften erhalten. Wegen ihrer umfangreichen Illustrationen ragen die Exemplare in den Bibliotheken in Dresden, Heidelberg, Oldenburg und Wolfenbüttel aus der Menge der überlieferten Handschriften heraus. Die Mehrzahl der Sachsenspiegelhandschriften aber ist eher bescheiden ausgestattet oder überhaupt schmucklos, denn das Rechtsbuch war in erster Linie ein Gebrauchstext.
Um einen solchen handelt es sich auch bei der Detmolder Sachsenspiegelhandschrift, die im Jahr 1408 in ostfälisch-südniedersächsischer Mundart aufgezeichnet wurde. Die Datierung ergibt sich aus dem Kolophon auf Blatt 90, das mitteilt: Alsus is dat boc gheendet unde is gheschein na der gebord unses heren dusent jar verhundert jar in deme achteden jare uppe sunte Urbanus dage des hilligen pavys. Das war der 25. Mai 1408.
Die Handschrift ist in der damals üblichen Buchkursive zweispaltig in brauner Tinte von einem einzigen Schreiber geschrieben worden. Abbildungen enthält sie nicht, dafür aber einen recht abwechslungsreichen Schmuckformenschatz: Die einzelnen Artikel sind durch rote Paragraphenzeichen hervorgehoben, über zwei Zeilen gehende rote Initialen markieren den Anfang eines neuen Kapitels. Am Beginn des Werkes und am Beginn jedes seiner Bücher stehen große vergoldete Initialen, die mit Füllmustern in Ranken-, Spiralen- und Schneckenform rot, grün und blau ausgestaltet sind. Die Initialen an den Kapitelanfängen ziehen sich oft bis an den Blattrand, um sich dort in Spiralen und Ranken aufzulösen.
Bemerkenswert sind auch die spiral- oder rankenförmig in den Rand hineinreichenden Initialen mit menschlichen Köpfen in Vorder- oder Profilansicht, die auf Fantasie und Humor des Rubrikators schließen lassen.
Die redaktionelle Fassung des Detmolder Sachsenspiegels war der Forschung bis 1970 unbekannt. Sie enthält verschiedene, sonst nicht überlieferte Textstellen, deren nähere Untersuchung noch aussteht. Leider kann man daraus nicht auf spezifisch lippisches Recht schließen, denn wenn auch die Überlieferungsgeschichte der Handschrift nicht hinreichend geklärt ist: in Lippe entstanden ist sie nicht.
Die Detmolder Sachsenspiegelhandschrift (Signatur: Mscr 60) besteht aus 91 Blättern von Pergament und Papier. Das Pergament stammt überwiegend aus billigen Abfallstücken vom Rand oder von schadhaften Stellen der Häute; es weist Löcher – vielfach vom Schreiber mit roter Tinte umrandet –, genähte Risse und Seiten mit Fehlstellen am Rand auf. Vier Pergamentblätter allerdings stammen von einer älteren liturgischen Handschrift, deren Beschriftung sauber abgeschabt wurde und selbst unter UV-Licht nur noch geringe Spuren erkennen lässt. Das verwendete Papier ist ebenfalls verschiedener Herkunft; es sind drei Sorten mit verschiedenen Wasserzeichen nachweisbar.
Der Buchblock hat die Maße 29,5 x 20,5 cm. Eingebunden ist er in zwei lederbezogene Holzdeckel; diese tragen auf der Außenseite an den Ecken und in der Mitte je fünf Eisenbuckel, die das Leder vor mechanischer Beschädigung schützen sollten, inzwischen aber zum Teil nach innen durchgerostet sind. Am Rückendeckel sind außerdem zwei Messingplättchen befestigt, an denen je ein Lederstreifen hing. Der obere ist zu einem Drittel, der untere ganz abgerissen, jedoch erhalten. Er endet in einer Messingschließe, die auf einem aus dem Holz des Vorderdeckels ragenden Eisenstift befestigt werden konnte. Leder und Buchblock zeigen Spuren einer Schwärzung, die auf einen Brand zurückgeht. Wasserflecken am oberen Rand des Buchblocks lassen ebenfalls auf einen Brand schließen, vor dem die Handschrift in letzter Minute gerettet wurde.
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Literatur
Hellfaier, Detlev: Eike von Repgow: Sachsenspiegel. – In: Manuscripta pretiosa & incunabulae illuminatae : Auswahl aus den Sammlungen der Lippischen Landesbibliothek Detmold und der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn. Detmold 1995, S. 30-32.
Oppitz, Ulrich-Dieter: Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters. Bd. 2: Beschreibung der Handschriften. Köln 1990, S. 463-464.
Hellfaier, Karl-Alexander: Vom Sachsenspiegel zu den Reichsjustizgesetzen und zum Bürgerlichen Gesetzbuch : Rechtsbücher und Rechtsdenker in einer Buchauslage mit einer Einführung. Detmold 1979.
Wehlt, Hans-Peter: Die Blomberger Sachsenspiegelhandschrift in der Lippischen Landesbibliothek. In: Heimatland Lippe 63 (1970) S. 24-30.