Die Lippische Landesbibliothek Detmold erhielt eine Erstausgabe des „Phantasus“ von Arno Holz aus dem Nachlass des Künstlers Rudolf Jahns. Sie nahm die sogenannte „Große Insel-Ausgabe“ des Werkes von 1916 aus der Hand der Künstlertochter Barbara Roselieb-Jahns dankbar im Empfang. Roselieb-Jahns bewahrt als Vorsitzende der Rudolf-Jahns-Stiftung in Detmold Andenken und Werk ihres 1983 verstorbenen Vaters. Der künstlerische Nachlass des Konstruktivisten ist in Teilen im Sprengel Museum Hannover der kunstinteressierten Öffentlichkeit zugänglich.
Der später fünfmal für den Literaturnobelpreis nominierte Schriftsteller und Kunsttheoretiker Arno Holz (1863-1929) war beherrschend in der Szene des frühen Naturalismus seit 1885 und schon seinen Zeitgenossen als provokativer Selbststilist bekannt. Sich selbst sah er als Opfer des ökonomischen Problems der Industriegesellschaft und beschrieb seine Situation so: „Wenn Goethe seiner Zeit auf die Honorare angewiesen gewesen wäre, die ihm seine ‚Kunstwerke’ brachten, und nicht, wie es der Fall gewesen, auf diverse andere Dinge – er wäre krepiert und vor die Hunde gegangen noch ehe er den hundertsten Teil geworden von dem, der er geworden!“
An seinem Gedicht-Zyklus „Phantasus“ hat Holz seit dessen erstem fragmentarischem Erscheinen in zwei Heften 1898/99 lebenslang weitergearbeitet. Phantasus, in der antiken Mythologie ein Sohn des Schlafs, ist der Erzeuger menschlicher Träume mittels vielfältiger Verwandlungskünste und bei Holz ein Sinnbild für die dichterische Existenz. Das lyrische Ich bewegt sich durch das kontrastierende Geflecht aus Berliner Alltagsleben und wilhelminischer Bourgeoisie. Holz selbst bekannte autobiographische Bezüge: „Ich finde, ich entpuppe mich mehr und mehr zum typischsten ‚Phantasus’-Fall der gesamten Weltliteratur!“
Der „Phantasus“ ist berühmtes Beispiel einer experimentellen Lyrik, die die traditionellen Gesetze der Metrik sprengt und den Rhythmus zum absoluten Formelement pointiert. Auch die Typographie ist beteiligt: die Gedichte sind aus Gründen der besseren Lesbarkeit auf eine Mittelachse zentriert gesetzt – ein von Holz erstmals und konsequent verwendetes Stilprinzip.
Die 1916 im Leipziger Insel-Verlag erschienene Ausgabe mit 131 Gedichten wurde auf Bütten gedruckt und hat das Format eines Folianten der Shakespeare-Zeit. Jahns hat das teure Werk – in der vorliegenden Halbleinenausgabe kostete es damals 24 Mark – 1919 im Alter von 23 Jahren erworben und zeitlebens hochgeschätzt.