08. Februar 2012 | Blog | Joachim Eberhardt

Neues vom „Trompeter der Revolution“

Jüngst erreichte das Literaturarchiv die Anfrage, ob wohl die Quelle des Freiligrath-Zitats

„Ich bin nicht zum General geboren, ich will nur ein Trompeter der Revolution sein“.

auszumachen sei. Dieser Satz ist einigermaßen bekannt; unter anderem zitierte ihn Norbert Lammert in seiner Rede als Bundestagspräsident 2010 zum Gedenktag des 17. Juni (23.4.2022: nicht mehr online). Noch bekannter ist natürlich das Epitheton „Trompeter der Revolution“, das zum Jubiläum 2010 vielen Zeitungsartikeln die Überschrift gab. Wo kommt das her? In einem Aufsatz von Volker Grab im Grabbe-Jahrbuch (1990, S. 122; Dank an Bernd Füllner für den Nachweis) steht die Behauptung, der Satz stamme von Friedrich Engels, aber dafür bleibt Grab eine Quellenangabe schuldig.

Die früheste Quelle für die Formulierung scheint der Artikel in der ADB über Freiligrath von Moritz Carrière zu sein (Fund von Roland Götz). Er ist von 1878, und dort lautet der Satz genauso wie z.B. von Lammert zitiert:

Nun schrieb er 1848 auf dem Comptoir die freudigen Verse: „Im Hochland fiel der erste Schuß!“ und begrüßte die endlich frei entfaltete deutsche Fahne, aber mit der Deutung ihrer Farben: Pulver ist schwarz, Blut ist roth, golden flackert die Flamme! Er wollte die Republik für sein Vaterland, antwortete aber der Aufforderung, wie Herwegh eine Freischaar dafür zu bilden: „Ich bin nicht zum General geboren, ich will nur ein Trompeter der Revolution sein“. Er kehrte in die Heimath zurück und ward ein Sprecher der rheinischen Demokratie.

Die historische Einordnung scheint anekdotischen Charakter zu haben. Freiligrath soll also diesen Satz selbst geäußert haben, im spezifischen historischen Kontext nach der Februarrevolution 1848 in Paris, während er noch in London war. Aber woher weiß Carrière davon?

Löst man sich von der angebotenen genauen Formulierung, dann erbringt die Recherche (mit Google Books) einen weiteren, früheren Fund: Eduard Schmidt-Weißenfels berichtet diese Anekdote in seinem Ferdinand Freiligrath : ein biographisches Denkmal von 1876. Dort heißt es (S. 74), Freiligrath habe (in der von Carrière berichteten Situation, nämlich im Februar/März 1848 in London vor das Ansinnen gestellt, wie Herwegh eine Freischar anzuführen) gesagt:

„Meine Herren, nein. Ich bin nicht zum General geboren, mir genügt die Stellung eines Trompeters der Revolution“.

Die Umständlichkeit dieser Formulierung scheint mir schon darauf hinzuweisen, dass Schmidt-Weißenfels näher dran ist an der Quelle. Tatsächlich liefert er sogar eine Quellenangabe: „Neue Fr. Presse Ende März aus Zürich“. Da es die Neue Freie Presse erst seit 1864 gibt, wird diese Quellenangabe sich kaum auf das Revolutionsjahr beziehen. Claudia Dahl vermutete, sie bezöge sich auf das Erscheinungsjahr von Schmidt-Weißenfels‘ Buch, also auf 1876. Und tatsächlich fand sich dann für den 29. März 1876 in der Neuen Freien Presse ein entsprechender Artikel (hier das Digitalisat der ÖNB). Den Text gebe ich nachfolgend komplett wieder:

(Zur Charakteristik Freiligrath’s) Aus Zürich geht uns von vertrauenswürdiger Seite nachstehende Zuschrift zu:

Ich erlaube mir, Ihnen folgende kleine Beiträge zu beliebiger Verwendung mitzutheilen: Obschon 17 Jahre jünger als Freiligrath, stand ich während meines Aufenthaltes in London (1846/48) auf sehr freundschaftlichem Fuße mit ihm. Er war damals Foreign Correspondent bei Huth und Comp. in der City, und ich wohnte im Westend. Wenn mich nun mein Weg in die City führte, was wöchentlich wenigstens Einmal geschah, so holte ich Freiligrath ab und nahm gemeinschaftlich mit ihm ein bescheidenes Mittagessen in einem nahegelegenen Speisehause ein, an dem öfters auch der jetzt berühmte deutsche Londoner Buchhändler Tr…… sich beteiligte. So geschah es auch am 25. Februar 1848. Unter dem Eindrucke der Ereignisse in Paris saßen wir in erregter Stimmung beisammen, als Freiligrath ein Stück mit Bleistift beschriebenen Papiers au sder Tasche nahm und zu uns sagte: „Seht, Freunde, da habe ich heute Vormittags trotz der vielen Correspondenzen, die ich zu erledigen hatte, doch noch Muße gefunden, meinen Gefühlen Luft zu machen und sie in einigen Strophen zu Papier zu bringen; ja, es ward mir sogar möglich, eine Abschrift derselben noch mit der heute abgehenden amerikanischen Post an Karl Heinzen für die Deutsche Schnellpost in Newyork zu senden“. Und nun las er uns die „Februar-Strophen“: „Im Hochland fiel der erste Schuß“ vor. Der Eindruck, den dieselben auf uns machten, war überwältigend. Ich nöthigte Freiligrath, mir das Manuscript zu überlassen, eilte damit in die Druckerei und ließ mir eine größere Anzahl Abzüge davon machen, die ich sofort an eine Menge Blätter in Deutschland und der Schweiz versendete. Nach den März-Ereignissen in Wien, Berlin etc. wurden auch die Deutschen in London vom Revolutions-Fieber angesteckt; sogar die Kaufleute. Als nun die Kunde nach London kam, daß der Dichter Herwegh in Paris eine deutsche Legion organisire, um mit derselben zur Unterstützung der republikanischen Bestrebungen nach Deutschland zu ziehen, munterten mehrere Deutsche in meiner Gegenwart Freiligrath auf, in London Aehnliches zu unternehmen; er sei berufen, eine solche Rolle zu spielen etc. Da antwortete er lächelnd: „Nein, meine Herren, ich bin nicht zum General geboren; mir genügt die Stellung eines Trompeters der Revolution!“

An diesen Fund schließt sich die Frage an: Wer ist der 1876 aus Zürich korrespondierende Anonymus, der 1846/48 in London mit Freiligrath wöchentlich verabredet war und 1827 geboren wurde?


Kommentare zu "Neues vom „Trompeter der Revolution“"

Ach herrjeh! Was hat da der Carrière da zusammengeschrieben:
Freiligraths Gedicht „Im Hochland fiel der erste Schuß“ enthält keineswegs die zitierten Verse: „Pulver ist schwarz, Blut ist roth, golden flackert die Flamme!“ Das entsprechende Gedicht heißt „Schwarz – Roth -Gold“ (März 1848).
Erstdruck: „Deutsche Londoner Zeitung“, 24. März 1848. Unmittelbar danach in verschiedenen separaten Drucken, die als Flugschriften in Deutschland zirkulierten.
Am 4. April 1848 vertonte Robert Schumann Gedicht nach einer Flugschrift, die ihm ein Freund aus Leipzig hatte zukommen lassen, für vierstimmigen Männerchor und Harmoniemusik (ad libitum), berücksichtigte jedoch nur vier der zwölf Strophen.
Lieber Herr Eberhardt, ich habe noch einen Film der Deutschen Londoner Zeitung“,
auch mit Artikeln von Georg Weerth.

Wenn Sie sich von dem Film trennen wollten, wäre der bei uns sehr willkommen!

Danke für den Hinweis! Auf Schabelitz war ich inzwischen auch schon gekommen, aber Trübner war mir neu.
Schabelitz selbst hat Briefe mit Freiligrath gewechselt, auch während seiner Zeit in London, die im Briefrepertorium nachgewiesen sind, und dort sieht man dann, dass sie in der Zeit der revolutionären Begeisterung sich mit „Bürger“ anreden. Von Schabelitz gibt es sogar ein Tagebuch seiner Londoner Zeit, das aber leider Januar 1848 endet (nach Auskunft des Bundesarchivs, in dem eine Kopie liegt). Freiligraths Äußerung kann darin also nicht bezeugt sein.

Zunächst kann die Frage beantwortet werden, wer der „jetzt berühmte deutsche Londoner Buchhändler Tr…… “ war.
Es handelt sich dabei zweifelsfrei um Nikolaus (Johann Nicolaus) Trübner (* 12. Juni 1817 in Heidelberg; † 30. März 1884 in London) Trübner war im Frühjahr 1843 nach London gekommen und begann als Verlagsbuchhändler für den Verlag Longman zu arbeiten. (http://de.wikipedia.org/wiki/Nikolaus_Tr%C3%BCbner).

Leider sind im publizierten Text der Korrespondenz die m.E. für eine Identifizierung des Autor wichtigen Buchstaben „J.S.“ nicht gebracht worden – Gott sei Dank aber auf dem Digitalisat. Sie dürften die Antwort liefern:

J.S. = Jacob Lukas Schabelitz (1827-1899), […] war in den Jahren 1845-1848 in London gewesen und in den ‚Deutschen Bildungsverein für Arbeiter‘ aufgenommen worden; hatte in London Marx, Engels und Freiligrath kennengelernt. [Siehe Freiligraths Briefwechsel mit Marx und Engels / hrsg. von Manfred Häckel. Berlin [DDR]: Akad.-Verl., 1976, Bd. II, S. 56].

Mit freundlichen Grüßen
Erhard Kiehnbaum

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