Johannes Brahms weilte bekanntlich jeweils die letzten drei Monate der Jahre 1857 bis 1859 in Detmold. Er unterrichtete hier die Prinzessin Friederike zur Lippe, Laura von Meysenbug und andere Damen der High Society Detmolds im Klavierspielen, spielte private und öffentliche Konzerte und leitete einen sog. „Singverein“. Wer in diesem Chor mitgesungen hat, wurde von Hanns-Peter Fink 1997 detailliert beschrieben. Welche Werke Brahms mit dem Chor einstudiert hat, ist bereits seit den Forschungen von Willi Schramm aus dem Jahre 1933 bekannt. Hierunter befinden sich auch zwei Kantaten von Johann Sebastian Bach: Christ lag in Todesbanden BWV 4 und Ich hatte viel Bekümmernis BWV 21. Für diese beiden Kantaten interessierte sich jetzt erneut die Brahms-Forschung, da im Rahmen der Gesamtausgabe an der Universität Kiel die von Brahms aufgeführten Kompositionen Bachs in dessen Einrichtung herausgegeben werden sollen. Es war deshalb von Interesse, ob die in der Landesbibliothek erhaltenen Materialien zu diesen Kantaten Eintragungen von Johannes Brahms aufweisen. Nach einer ersten Sichtung der Materialien durch Dr. Irmlind Capelle, die nachträgliche handschriftliche Eintragungen in den Abschriften der Stimmen und in der gedruckten Partitur der sogenannten alten Bach-Ausgabe (1851-1899) – bei der (nebenbei bemerkt) Prinzessin Friederike zu den ersten Subskribenten zählte – feststellte, war nun der Herausgeber der Kantaten, Prof. Dr. Robert Pascall (Nottingham), zu einem Forschungsaufenthalt in Detmold. Er bestätigte, dass die Eintragungen in der Tat von Johannes Brahms stammen, so dass die Lippische Landesbibliothek jetzt um zwei authentische Brahms-Dokumente, die dessen Umgang mit dem musikalischen Erbe Bachs belegen, reicher ist. Genau genommen sind es sogar drei Dokumente, denn zufällig wurde entdeckt, dass auch die gedruckte Partitur der Motette Jesu, meine Freude BWV 227 von Johann Sebastian Bach Eintragungen von Johannes Brahms enthält.
21. Mai 2012 | | Irmlind Capelle