Rechtslastige Literatur im Bestandsaufbau
Der Umgang der öffentlichen Bibliotheken. [Rezension]
von Joachim Eberhardt
Druckfassung in: BuB 74 (2022) 5, 270-271.
Grantz, Kirstin: Sachbücher des rechten Spektrums in Öffentlichen Bibliotheken: Handlungsempfehlungen zum Umgang mit umstrittenen Werken; Innovationspreis 2021. Wiesbaden:
b.i.t. verlag, 2021. 244 Seiten (b.i.t. Innovativ; 81) ISBN 978-3-9821824-4-5 – Softcover: EUR 29,50
Die Studie von Kirstin Grantz präsentiert sich zwischen Einleitung und Literaturbericht (Kapitel 1) und den versprochenen Handlungsempfehlungen und einem Fazit (Kapitel 12 und 13) in drei Teilen: einer theoretisch-begrifflichen Einführung (Kapitel 2-5), der rechtlich-moralischen Durchdringung (Kapitel 6-10) und der Darstellung der Experteninterviews als »empirische Forschung zum Umgang mit rechten Sachbüchern« (Kapitel 11).
Einführung
Im zweiten und dritten Kapitel erläutert Grantz definitorisch im Anschluss an die Politikwissenschaftler Tom Mannewitz und Armin Pfahl-Traughber, was sie unter »Extremismus«, »Radikalismus« und »Populismus« sowie deren rechte Spielarten verstanden wissen will. Während »Extremismus« »in der Wissenschaft und in Sicherheitsbehörden« als demokratiefeindlich ausbuchstabiert wird (S. 48), sei »Radikalismus« in diesem Verständnis und in Abgrenzung zum »Extremismus« eine Position, die nicht auf die Beseitigung der Verfassung ziele (ebd). In diesem Verständnis ist »rechtsextrem« weiter rechts als »rechtsradikal«, was seinerseits weiter rechts ist als etwa »rechtskonservativ«.
Das kurze vierte Kapitel stellt fünf Verlage dar, die in der Literatur »rechts« genannt werden (unter anderem Antaios, Hohenrain) und skizziert, in welcher Form diese dem rechten Spektrum zuzuordnen sind bzw. wie sich hier die vorher entfalteten Begriffe »Radikalität« oder »Extremismus« äußern. Der Teil endet mit einem ersten Zwischenfazit (Kapitel 5), der die gewonnene begriffliche Klarheit übersichtlich zusammenfasst.
Bibliotheken im Umgang mit rechter Literatur
Das sechste Kapitel stellt die einschlägigen Rechtsvorschriften vor, zwischen denen sich Bibliotheken im Umgang mit rechter Literatur bewegen, vor allem das Verbot der Volksverhetzung und die Vorschriften des Jugendschutzes. Kapitel 7 fasst die Stellungnahmen der Berufsverbände (IFLA-Ethikkodex und die Papiere des BID) zusammen.
Kapitel 8 gilt dem bibliotheksfachlichen »Stand der Diskussion zum Umgang mit rechten Sachbüchern«. In diesem Kapitel abstrahiert Grantz die Literatur zu zwei einander gegenüberliegenden bibliothekarischen Strategien, nämlich einer »restriktiven« und einer »offensiven« Strategie. Dabei macht sie deutlich, dass ihrer Ansicht nach und im Anschluss an die Position von Hermann Rösch nur die »offensive« Strategie einer Aufnahme von rechter Literatur in den Bibliotheksbestand mit den Ethikkodizes des Berufsstandes vereinbar sei (S. 116 und an anderen Stellen).
Gleichwohl gilt es, den Spagat zwischen demokratisch gebotenem freien Zugang zur Information einerseits und der Demokratiefeindlichkeit der Literatur andererseits Lösungen anzubieten. Grantz’ Rezept in Anschluss an Rösch ist die »Kontextualisierung« der Literatur des rechten Spektrums. Das Begriffspaar restriktiv / offensiv ist wenig glücklich gewählt, da es sich nicht um Gegensätze handelt und Grantz zu erläutern unterlässt, was an der anderen Strategie »offensiv« ist.
Kapitel 9 zeigt als Exkurs unter anderem mit »Medienerziehung« und »Integrationsarbeit« Handlungsfelder von Bibliotheken, die demokratiefördernd wirken, ohne sich als direkte Auseinandersetzung mit rechter Literatur im Bestand zu verstehen. Kapitel 10 bietet eine kurze Zusammenfassung des zweiten Teils.
Experteninterviews
Das umfangreiche Kapitel 11 präsentiert die Ergebnisse der Experteninterviews, wobei eine erkleckliche Zahl von Seiten mit der Darstellung der Interviewmethode gefüllt wird. Spannender ist, was die fünf Kolleginnen und Kollegen tatsächlich auf die Fragen zu antworten haben. Befragt wurden Frank Seeger von der ekz, Arend Flemming von den Städtischen Bibliotheken Dresden, Marion Mattekat von der Stadt- und Landesbibliothek Potsdam sowie Birgit Lotz und Christian Reusch von der Zentralbibliothek der Stadtbücherei Frankfurt. Es zeigt sich: Für große Öffentliche Bibliotheken ist »rechte Literatur« im Bestand kein gewichtiges Thema. Demokratiefördernde Veranstaltungsarbeit bieten sie alle, ebenso wie beispielsweise Angebote zur Schulung von Medienkompetenz und Auseinandersetzung mit der Fake-News-Thematik. Alle kennen und schätzen die Ethikkodizes der Berufsverbände, auch wenn diese nicht als konkrete Ratgeber genutzt werden. Da das Handeln einer Bibliothek von vielen Faktoren abhängt, nicht zuletzt vom jeweiligen Bestandsprofil, Erwerbungsetat, vom Profil ihres Publikums etc., kann eine national vereinheitlichte Behandlung des Themas nicht empfohlen werden.
Bestandspolitik
Nach der empirischen Bestandaufnahme schließen die Handlungsempfehlungen (Kapitel 12) und ein kurzes Fazit (Kapitel 13) den inhaltlichen Part der Studie ab. Literaturverzeichnis und ein Anhang (unter anderem mit Dokumentation der Interviewfragen) folgen.
Grantz greift die von Hermann Rösch in verschiedenen Veröffentlichungen vertretene Position auf, dass Literatur des rechten Spektrums aus moralischen Gründen in den Bestand aufgenommen werden sollte (an den vorgetragenen Argumenten habe ich an anderer Stelle Kritik geübt (Anmerkung 1). Da sich alle einig sind, dass Literatur des rechten Spektrums gefährlich wirken kann, geht es darum, wie diese gefährliche Wirkung zu bändigen ist. Dafür entwickelt Grantz den von Rösch eingeführten Begriff der »Kontextualisierung« weiter und entfaltet drei einander ergänzende Varianten: a) über den Bestand, b) »eng«, c) »weit«; genau so ist das auch zusammenfassend nachzulesen in Grantz’ Beitrag auf der Webseite des BIB (Anmerkung 2). Das eigentlich Neue in der Debatte ist Vorschlag b) der »engen« Kontextualisierung. Er meint, dass Bibliotheken auf verschiedenen Wegen direkt Warnmechanismen für ihr Publikum etablieren könnten – beispielsweise durch Aufkleber am physischen Buch oder durch kritische Links oder Labelung im Katalogisat. Das scheint in Zeiten von Twitter-, Facebook- oder Youtube-Kennzeichnungen von fragwürdigen Tweets und Posts keine abwegige Idee. Doch bleibt nicht nur die Frage, wer die Verantwortung für diese Form der Markierung übernehmen sollte oder könnte (und ob man damit nicht eine Form der Zensur oder Bevormundung wieder einführen würde), sondern auch, warum eine Bibliothek nicht lieber auf den Erwerb bestimmter Medien verzichten sollte, statt sie zu kaufen und dann vor der Benutzung zu warnen.
Abschließend: Das Werk ist flüssig geschrieben und bietet begriffliche Differenzierungen, die erhellend sind, wenn auch nicht unbedingt von alltagssprachlicher oder praktischer Bedeutung (etwa die Unterscheidung von »rechtsextrem« und »rechtsradikal«). Einige ausführliche methodische Ausführungen Grantz’ sind dem Genre »Abschlussarbeit« geschuldet und können in der Lektüre überflogen oder ausgelassen werden. Die Handlungsempfehlungen basieren auf Röschs moralischem Rigorismus und wären vor allem in größeren, städtischen und großstädtischen ÖBs umzusetzen.
Am Rande: Dass in einer Abschlussarbeit zwei Präsenzbibliotheken als Fernleihquelle zum Bezug rechtsextremer Werke empfohlen werden (S. 189), hat mich etwas erstaunt. Und dass dort zur Markierung der politischen Orientierung von Medien u.a. vorgeschlagen wird, ausdrücklich mit Verweis auf die Praxis von WBs, man könnte zu diesem Zweck Schlagworte wie zum Beispiel »Neue Rechte« verwenden (S. 117), zeigt, dass die Sacherschließung in der Ausbildung wohl nicht hinreichend behandelt worden ist.