In memoriam Ernst Fleischhack

von Joachim Eberhardt

In: Grabbe-Jahrbuch (2021), 176-178.

Ernst Fleischhack lernte ich 2009 kennen, als ich nach Detmold kam – und zwar zunächst über seine Bibliographien, da er seit 1988 im Ruhestand war. Der zweite Band der Lippischen Bibliographie, den er 1982 besorgt hatte, stand bereits ebenso in meinem neuen Büro wie die Freiligrath-Bibliographien, Freiligraths Gedichte in Lied und Ton von 1990 und die Bibliographie Ferdinand Freiligrath 1829-1990 von 1993. Die Erscheinungsdaten zeigen, dass Fleischhack auch im Ruhestand noch tätig war.

Geboren wurde Ernst Fleischhack am 8. Januar 1926 in Chemnitz als Sohn eines Pfarrers. Seine Jugend verbrachte er in Oberlungwitz und Waldenburg im Landkreis Zwickau. In Waldenburg besuchte er die staatliche Oberrealschule und wurde zum Luftwaffenhilfsdienst, dann zum Arbeits- und Militärdienst eingezogen. 13 Monate verbrachte er in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, erst 1946 erlangte er die Hochschulreife. Die sowjetische Militäradministration verwehrte ihm das Jurastudium in Leipzig, und so bewarb er sich auf einen Ausbildungsplatz für den gehobenen Dienst in Bibliotheken. Am 26. Mai 1947 stellte er sich einer „Vorprüfung“ in der Deutschen Bücherei in Leipzig. In einer Erinnerung schreibt Fleischhack, dass er auf die Frage der Aufnahmekommission, wie er zur Einheit der Arbeiterklasse stehe, nur stotternd habe antworten können. Vom Juni 1947 bis Mai 1949 absolvierte er die Ausbildung zum Diplom-Bibliothekar. Danach wurde er in den Dienst der Deutschen Bücherei übernommen.

Nach der Gründung der DDR erweiterte die SED ihren politischen Einfluss. Auch in der Deutschen Bücherei musste die Belegschaft an Schulungen teilnehmen. Fleischhack erinnert sich, dem Druck, sich „gesellschaftlich stärker einzusetzen“, durch Eintritt in den Freien Deutschen Gewerkschaftsbund nachgekommen zu sein; der „Nötigung, der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft beizutreten“, widersetzte er sich. In den Schulungen nahm er kein Blatt vor den Mund. Im Januar 1951 wurde Fleischhack der bibliographischen Abteilung der Deutschen Bücherei zugewiesen, wo er mit der „einseitigen fließbandartigen Arbeit“ der Fahnen-korrektur des Jahresverzeichnisses des deutschen Schrifttums beschäftigt war.

Seit 1952 arbeitete Ernst Fleischhack in der Thüringischen Landesbibliothek in Weimar (heute Herzogin Anna Amalia Bibliothek). Die Tätigkeit in ihrer Zeitschriftenstelle war vielfältiger; es blieb auch Gelegenheit, seinen literarischen und kulturellen Interessen nachzugehen. Währenddessen verschärfte sich die politische Situation. Fleischhack bekam die strengere Kontrolle auch dadurch zu spüren, dass die Westzeitschriften nicht mehr lückenlos den Weg nach Weimar fanden. Er beschwerte sich darüber brieflich. Im Sommer 1955 warf man ihm sogar die Teilnahme an einer „konterrevolutionären Verschwörung“ vor.(1) Das führte am 2. August 1955 zur Kündigung, die anderthalb Monate später aus formalen Gründen für ungültig erklärt wurde. Doch fortan stand er unter Beobachtung, ein Disziplinarverfahren endete mit einer „strengen Rüge“. Am 9. November 1955 überquerte er in Berlin die deutsch-deutsche Grenze und erlangte Anerkennung als politischer Flüchtling. Seine Frau und die ein Vierteljahr alte Tochter folgten im Dezember nach. Es gelang Fleischhack schnell, eine neue Stelle zu finden. Am 2. Januar 1956 trat er in den Dienst der Niedersächsischen Landesbibliothek in Hannover ein, wo er sieben Jahre tätig war. Das Abgangszeugnis bescheinigt ihm überdurchschnittliche Tüchtigkeit, große Gewissenhaftigkeit und Genauigkeit, ein stark ausgeprägtes Arbeitsethos und umfangreiche bibliographische, bibliothekarische und literarische Kenntnisse, die verbunden seien mit einer vorbildlichen menschlichen Haltung, Objektivität und Gerechtigkeitssinn.

1963 wechselte Fleischhack nach Detmold an die Lippische Landesbibliothek, der er bis zu seinem Ruhestand die Treue hielt. Zusätzlich zu seinen Aufgaben in der Katalogabteilung war er seit 1966 verantwortlich für das Projekt Neues Schrifttum über das Lipperland und seine Bewohner. 1979 wurde er Leiter der neu gebildeten Lippe-Abteilung und zum Bibliotheksamtsrat befördert. In seiner Freizeit arbeitete er am zweiten Band der Lippischen Bibliographie, in der er mehr als 15.000 Titel verzeichnete, und zwischen 1983-1985 an den 653 Kurzbiographien und -Bibliographien des Lippischen Autorenlexikons, erster Band. Überhaupt galt seine Liebe der Literatur, davon zeugen auch zahlreiche Rezensionen sowie Beiträge über Autorinnen und Autoren wie Peter Hille, Dorothee Theopold, Luise Küchler, Simon Albert oder Friedrich Wienke.

Als 1986 der stellvertretende Direktor Hans-Peter Adler starb, übernahm Fleischhack auch diese Funktion. Die Fülle der Aufgaben allerdings zehrte an seinen Kräften, so dass er schließlich zum 1. April 1988 um die vorzeitige Versetzung in den Ruhestand bat. Das aus diesem Anlass von den Kolleginnen der Lippe-Abteilung zusammengestellte Schriftenverzeichnis Ernst Fleischhack umfasst 97 Einträge. Nicht wenige davon galten Grabbe, Freiligrath und Weerth. Hervorzuheben ist die Bibliographie zu Alfred Bergmann, die er 1967 zu dessen 80. Geburtstag vorlegte. 1972 hatte er einen ersten Literaturüberblick zu Georg Weerth in den Lippischen Mitteilungen erarbeitet. Von 1982-1988 erstellte er die im Grabbe-Jahrbuch erscheinenden Bibliographien zu Freiligrath und Weerth. Insbesondere Freiligrath hatte es ihm angetan, zu ihm schrieb er den Artikel im Westfälischen Autorenlexikon (1994). Seine Freiligrath-Aufsätze fasste er in dem 1999 in dem Band Bemühungen um einen in Vergessenheit geratenen Dichter zusammen.

Am 15. Mai 2021 ist Ernst Fleischhack in Detmold gestorben. Er war ein ungeheuer fleißiger Bibliothekar, Bibliograph und Autor, ein genauer und belesener Kollege, der stets bescheiden hinter seine Themen zurücktrat. Die Grabbe-Gesellschaft wird ihn in ehrender Erinnerung behalten.

Anmerkung

1 Vgl. Michael Knoche (Hrsg.): Herzogin Anna Amalia Bibliothek –Kulturgeschichte
einer Sammlung. München, Wien 1999, S. 194f. (Bibliothek und Politik: der Fall
Fleischhack).