Briefe

aus der Fürstin

Feder

Briefe aus der Fürstin Feder

von Christine Rühling

Druckfassung in: Heimatland Lippe 114 (2021) 5, S. 32-34.

Die Lippische Landesbibliothek digitalisierte im Pauline-Jahr 2020 rund 110 Dokumente aus der Korrespondenz zwischen Pauline zur Lippe (1769–1820) und dem Regierungsrat Friedrich Simon Leopold Petri (1774–1850). Sie stellt die Digitalisate und, zur leichteren Lektüre, jeweils eine Transkription online bereit. Die Briefe geben einen spannenden Einblick in den Arbeitsalltag der Fürstin und ihres Verwaltungsbeamten.

Am 30. Oktober 1820 schrieb Fürstin Pauline zur Lippe an den lippischen Regierungsrat Friedrich Simon Leopold Petri: „Freylich ist bey mir von Genesung noch keine Rede, aber selbst meine Erhaltung bey den vielen Kranckheiten die sich nun entwickelten ein Wunder. In vielen Tagen war mir so wohl nicht als heute, und da Sie, lieber Herr Regierungsrath so treu und innig Theil nehmen, so ist mir eingefallen, Sie würden mich gern einmaal eine halbe Stunde selbst sehen – Täusche ich mich nicht, wollen Sie darum an Ihrer gewohnten Toilette nichts ändern und ist Ihnen die Zeit bequem, so erwarte ich Sie nach ½ 3 Uhr, aber ich bin ein scheuslich Gerippe.“ (Slg 74 Nr 1,96) Nur wenige Wochen vor ihrem Tod erlebte die Fürstin, die an einem Lungenleiden litt, einen der wenigen guten Tage, der einen Besuch ihres Vertrauten Petri zuließ. Obwohl Pauline ihn in ihren Briefen aus dem Jahr 1820 über ihren Gesundheitszustand, über das Auf und Ab von Fieber, Husten und Schwäche auf dem Laufenden hielt, fand sie sich so verändert, dass sie glaubte, Petri vorwarnen zu müssen: Sie, die doch nach der Geburt ihrer Kinder zunehmend von recht stattlicher Gestalt war, bereitete ihr Gegenüber auf ihren abgemagerten Zustand, das „scheuslich Gerippe“, vor, um einen Schock zu vermeiden. Sein Besuch in Detmold mag eine der letzten Begegnungen zwischen Pauline und Petri gewesen sein.

Der Petri-Nachlass in der Lippischen Landesbibliothek

Der oben zitierte Brief stammt aus der Korrespondenz zwischen dem späteren lippischen Regierungspräsidenten Petri und Fürstin Pauline, die im Teilnachlass der Familie Petri in der Landesbibliothek überliefert ist. Friedrich Simon Leopold wurde am 2. Oktober 1774 in Lemgo geboren und stammte aus einer alteingesessenen Familie, deren Mitglieder über mehrere Generationen in der lippischen Landes- und Kommunalverwaltung tätig waren. Nach einem Studium der Rechte in Göttingen war er von 1797 bis 1805 als Syndikus in Lage und ab 1805 als Stadtrichter von Lemgo tätig. Unter Pauline diente er ab 1810 als Kanzleirat und Regierungsassessor; 1814 wurde er zum Regierungsrat ernannt. Da die Dokumente zu unterschiedlichen Zeiten abgegeben wurden, wird der Nachlass der Familie Petri zum Teil im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen Abteilung Ostwestfalen-Lippe (Signatur: D 72 Petri, Familie) und der Lippischen Landesbibliothek (Signatur: Slg 74) aufbewahrt. Er ist nur ein Beispiel dafür, wie eng die Bestände der beiden Einrichtungen zum Teil aufeinander bezogen sind.

Die Briefe Paulines und Petris sowie andere Dokumente zur Familiengeschichte befinden sich vermutlich seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Bibliothek und waren zuvor im Besitz der Familie Petri. Sie umspannen den Zeitraum 1802 bis 1820, wobei der überwiegende Teil nach 1814 verfasst wurde, also zu der Zeit, in der Petri Regierungsrat war. Die Korrespondenz gibt einen Einblick in die (Arbeits-)Beziehung zwischen der Fürstin und ihrem leitenden Beamten. Auf den ersten Blick erscheint das Bild ein wenig einseitig, sind doch hauptsächlich Briefe aus Paulines Feder erhalten. Schreiben Petris finden sich nur vereinzelt und immer dann, wenn Pauline diese kommentierend an den Absender zurückschickte. Dennoch: Aufgrund der verhandelten Themen, des Tons und der von Petri vorgebrachten Anliegen entsteht bei der Lektüre das Bild einer fruchtbaren Arbeitsbeziehung und eines Vertrauensverhältnisses, das auf beiden Seiten durch Sympathie und Respekt bestimmt war. Pauline überschrieb ihre Briefe – geschult in zeitgenössischer Verwaltungskunde – P. M. (pro memoria), im Bewusstsein, dass diese als „quasi“ Aktenstücke „zur Erinnerung“ aufzubewahren seien. Eine Forderung, die nicht nur Friedrich Simon Leopold Petri, sondern auch seine Nachfahren befolgten.

Bettler, Dirnen, lose Weiber: Unsitten in Lippe

Die Briefe Paulines an Petri sind auf den ersten Blick nicht besonders spektakulär: Sie handeln zumeist von Vorgängen in der lippischen Verwaltung, von tagespolitischen Fragen, die von den Briefpartner geklärt werden mussten. Nicht immer sind die Inhalte ohne weitere Kontexte verständlich. Dennoch: Eine Lektüre lohnt sich. Die Briefe geben Einblicke, wie weit Pauline in das Regierungshandeln involviert war, vermitteln das Bild einer Herrscherin, die nicht nur die großen Linien lippischer Politik bestimmte, sondern bis ins kleinste Detail über die Vorgänge in ihrem Fürstentum informiert war. Die behandelten Themen reichen von alltäglichen Amtsgeschäften, der Einführung technischer Neuerungen in Lippe, der Beobachtung zu einzelnen Personen im Verfassungsstreit bis hin zu außergewöhnlichen und auch alltäglichen familiären Ereignissen – etwa der Konfirmation der Kinder oder dem Verlust naher Angehöriger.

Paulines Regierungsstil wurde von der Forschung als eingreifend, dirigistisch bzw. als typisches Beispiel für „Vielregiererei“ bezeichnet – eine nicht untypische Herrschaftsform im absolutistischen Kleinstaat des 18. Jahrhunderts. Heute würde man vielleicht von „Mikromanagement“ sprechen. Um dies zu verdeutlichen, lässt sich sicher Paulines Reaktion auf „unsittliches“ Treiben ihrer Untertanen anführen. Sie schreibt an Petri: „Dann soll in Hiddesen eine höchst verwerfliche Dirne Luise Ribbentropp seyn, die gestern das dritte unehlige Kind taufen ließ und zum Kirchenbuch angab bey der Obermühle von einem Unbekannten überfallen zu seyn – man wünschet daß dieses Weibsbild nicht der gesezlichen Strafe entzogen werde“. Besorgt zeigt sich Pauline auch über weitere „Schändlichkeiten“, die ihr zu Ohren gekommen sind: Etwa der Fall der Frau des Boten Bax, die ihren Mann betrogen und einen Papiermachergesellen ins Haus gelockt und mit ihm „gezecht“ haben soll, sie habe mit ihm „solche viehische Schändlichkeiten verübt, daß die Kinder zusahen und es auf der Straße ausriefen“. Empört bricht Pauline ab – „ist die Hälfte deßen wahr was erzählt wird, und womit ich meine Feder nicht besudeln mag so müßte das ihrem Mann alles verkaufende Weib zur Haft kommen.“

In Lippe ist es mit der Moral nicht so weit her, davon ist die Fürstin überzeugt: Besorgt bemüht sie die Statistik, um ihre These über den Einzelfall hinaus zu belegen: „überhaupt nimmt in den nahen Dörfern um Detmold, die Unsittlichkeit so abscheulich zu, daß in den lezten 3/4 Jahren von 139 Kindern 20 unehlig gebohren sind, also das 7te Kind der Sünde gehört.“ In einer bemerkenswerten Wendung macht Pauline ihre Verwaltungsträger mit verantwortlich: „Das ist vorzüglich Folge des Beamten, der alles Gute zerknickt, und wir sind mit der Verantwortung schuldig wann die Greuel fortdauern.“ Und damit ist die Aufforderung, zu handeln, erteilt. (alle Zitate: Slg 74 Nr 1,31)

Pauline geht hier, aber auch in anderen Fällen den Verstößen gegen Sitte und Moral nach: Bettler, Musikanten und Dirnen waren ihr ein Dorn im Auge. Immer erscheint sie überaus im Bilde und klar in ihrem Urteil: gegen sittliche Verstöße sei entschieden vorzugehen. So sozial engagiert Paulines Handeln im Bereich der Sozial- und Armenfürsorge war, folgt sie hier doch der Moral ihrer Zeit: Hilfe sollte nur dem zukommen, der sie auch verdient. Und so ist sie in Bezug auf eine in Gasthäusern aufspielende und so ihren Lebensunterhalt verdienende, arme Musikerfamilie eindeutig: „daß die Musicanten Familie weg muß“ (Slg 74, Nr 1,29). An diesem Fall lässt sich erkennen, dass Pauline „durchregierte“. Sie ging Gerüchten nach, die ihr zu Ohren gekommen waren, und stellte sich in ihrem Urteil durchaus auch gegen den lippischen Verwaltungsapparat: die genannte Musikerfamilie hatte die Erlaubnis des Magistrats (vermutlich der Stadt Detmold) zu musizieren.

Die aufgezeigten Beispiele zeigen, wie gewinnbringend die Lektüre der Paulinen-Briefe in Bezug auf die Rekonstruktion ihres konkreten Regierens in Lippe sein kann. Die Lippische Landesbibliothek hat die rund 110 Dokumente im vergangenen Jahr in ihren Digitalen Sammlungen online zugänglich gemacht und zur besseren Lektüre jeweils mit einer Transkription versehen. Eine zukünftige Veröffentlichung und tiefere Erschließung des Teil-Nachlasses über die Paulinen-Korrespondenz hinaus versprechen einen leichteren Zugang zur Geschichte der Familie Petri.