Gemeinsam Kulturgut sichern

Der Detmolder Notfallverbund kooperiert mit Stadt, Kreis und Bezirksregierung

von Christine Rühling

Druckfassung in: Heimatland Lippe 112 (2019) 6/7, S. 160-161.

Dr. Johannes Burkardt (Landesarchiv NRW, Abtl. OWL), Uwe Lukas (Stadt Detmold), Karsten Weber (Bezirksregierung Detmold), Dr. Christine Rühling (Lippische Landesbibliothek) mit einem frühen Druck mit handgemalten Illuminationen aus den Beständen der Bibliothek

Das Handy klingelt und auf dem Display erscheint der Kontakt „Alarmruf Notfallverbund“. In diesem Moment lassen die Kolleginnen und Kollegen des Detmolder Notfallverbundes alles andere stehen und liegen, um zum Telefon zu greifen. Die abgehörte Ansage lautet: „Notfall in der Landesbibliothek. Wir haben einen Wasserschaden. Bitte kommen Sie mit möglichst vielen Helfern um 10 Uhr vor den Haupteingang!“ Und dann: einmal durchatmen, denn der nächste Satz lautet: „Dies ist eine Übung.“

So läuft es auch im Ernstfall ab. Auf den telefonischen Alarm können die Kolleginnen und Kollegen mit einer simplen Tastenkombination antworten. Das elektronische Alarmierungssystem ist zuverlässiger als jede Telefonkette. Diese schnelle und effektive Form der Benachrichtigung wird dem Notfallverbund von der Abteilung Bevölkerungsschutz des Kreises Lippe zur Verfügung gestellt. Es ist ein Beispiel dafür, wie die örtlichen Behörden bzw. Einsatzkräfte den Detmolder Notfallverbund bei seiner Arbeit unterstützen.
Im Notfallverbund haben sich 2015 das Landesarchiv NRW, Abt. OWL, das Kreisarchiv Lippe, das Stadtarchiv Detmold, das Archiv der Lippischen Landeskirche, die Bibliothek der Hochschule für Musik, das Lippische Landesmuseum und die Lippische Landesbibliothek zusammengeschlossen, um gemeinsam präventive Notfallvorsorge zu leisten und sich im Ernstfall gegenseitig zu helfen. Deutschlandweit ist der Kulturgutschutz mittlerweile als Arbeitsfeld und genuine Aufgabe von Museen, Archiven und Bibliotheken etabliert. Nicht zuletzt Ereignisse wie das Hochwasser im Sommer des Jahres 2002 in Ost- und Norddeutschland, der Brand der Weimarer Herzogin Anna Amalia Bibliothek 2004, der Einsturz des Kölner Stadtarchivs 2009 sowie jüngst der Brand von Notre-Dame haben nicht nur bei den Einrichtungen selbst, sondern auch bei ihren Trägern und der Politik das Bewusstsein dafür geschärft, dass historisches Kulturgut gefährdet ist: Alte Urkunden, wichtige Akten, teure Gemälde und historische Kleider, einzigartige Handschriften und alte Drucke sind Überlieferungen, die von der Vergangenheit zeugen und unsere kulturelle Identität ausmachen. Zu ihrem Schutz gründete sich auch der Detmolder Notfallverbund.

Wichtig für seinen Erfolg ist die enge Kooperation mit den ansässigen Behörden, der Feuerwehr Detmold, dem Kreis Lippe und der Bezirksregierung Detmold. Gerade im organisatorisch-logistischen Bereich verfügen diese Partner über Ressourcen und Erfahrungen, von denen der Detmolder Notfallverbund profitieren kann. Die Stadt Detmold zum Beispiel hat im vergangenen Jahr die zum großen Teil aus Drittmitteln erworbenen Notfallcontainer des Verbundes auf dem städtischen Bauhof untergebracht. Diese Container enthalten Materialien wie Verpackungsfolien, Transportkisten, Werkzeug und Schutzkleidung, die zur Bergung von beschädigten Beständen benötigt werden. Die Feuerwehr Detmold hat jederzeit Zugang zu den Containern und kann sie im Notfall zum jeweiligen Einsatzort bringen. So ist sichergestellt, dass im Ernstfall die Kommunikation funktioniert, das benötigte Material zugänglich ist und in kurzer Frist am Einsatzort zur Verfügung steht.

Doch nicht nur in logistischer Hinsicht profitiert der Detmolder Notfallverbund von der Kooperation. Die Einsatzkräfte der Feuerwehr und die Mitarbeiter des Bevölkerungs- und Katastrophenschutzes verfügen über Erfahrungen bei der Bewältigung von Krisensituationen, die in Museen, Archiven und Bibliotheken in der Praxis – und man sollte vielleicht sagen: „Gott sei Dank“ – fehlen. Gerade bei der präventiven Notfallvorsorge, der Risikoanalyse, die über die routinemäßig stattfindenden Begehungen hinausgeht, und bei der Vorbereitung auf die Rettung von Kulturgut im Ernstfall beraten sie die Kultureinrichtungen. Das Dezernat für Gefahrenabwehr bei der Bezirksregierung Detmold stellte im Frühjahr 2019 die Aufgaben eines Krisenstabs und die Abläufe im Katastrophenfall vor. Natürlich ist der Einsatz beim Schaden in einer Kultureinrichtung nicht mit den „Großschadenslagen“ zu vergleichen, auf die sich der Katastrophenschutz vorbereitet, aber bestimmte Grundprinzipien der Krisenreaktion sind durchaus auf die Bergung von Kulturgut übertragbar: Man braucht eine hierarchische Organisationsstruktur, eindeutige Zuständigkeiten und Entscheidungsbefugnisse, klare Kommunikation und nicht zuletzt Führung in schwierigen Situationen. Der Notfallverbund hat daher einiges gelernt über die Optimierung von Abläufen und will die gewonnenen Erkenntnisse bei der nächsten Übung im Herbst 2019 erproben.

Nicht zuletzt beruht die Zusammenarbeit der beteiligten Partner auf dem Wissen um die Arbeit des Gegenübers: Während die kulturbewahrenden Institutionen sich beispielsweise über die Abläufe bei einem Feuerwehreinsatz informieren, ist es für die Feuerwehr wichtig, die Prioritäten der Kultureinrichtungen kennenzulernen. Entsprechend bemüht sich der Notfallverbund, für die Besonderheit von Kulturgut zu sensibilisieren: Wer weiß, dass nass gewordene historische Handschriften bei ungünstigen Bedingungen innerhalb von 48 Stunden nach Durchfeuchtung anfangen zu schimmeln, begreift die Bedeutung des Zeitfaktors nach einem Schadensfall. Informationen auszutauschen, feste Ansprechpartner und ein gutes Netzwerk vor Ort zu etablieren, sind somit zentrale Voraussetzungen, um im Ernstfall noch größere Folgeschäden zu vermeiden.

Wie wichtig die Abstimmung verschiedener Akteure ist, betonte zuletzt das diesjährige bundesweite Arbeitstreffen der Notfallverbünde, das vom 29. bis 30. April 2019 unter dem Thema „Weimar – Köln – Rio – Paris. Kulturgutschutz in Zusammenarbeit mit den Einsatzkräften“ in Köln stattfand. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und der Kölner Notfallverbund luden ein, um – wie es treffend in der Einladung hieß – „gemeinsam mit Kulturgutspezialisten und Vertretern der Einsatzkräfte über Erfahrungen aus den Katastrophen der Vergangenheit, aber auch aus der täglichen Arbeit der Notfallverbünde zu beraten und über Konsequenzen und Perspektiven nachzudenken“. Nicht zuletzt der Vortrag von Professor Alexander Kellner (Leiter des Museu Nacional, Rio de Janeiro) über Ursachen und Nachwirkungen des verheerenden Brandes, der im September 2018 große Teile der Bestände im größten Natur- und Völkerkundemuseum Lateinamerikas zerstörte, führte noch einmal eindrucksvoll vor Augen, wie entscheidend eine funktionierende Infrastruktur, präventiver Brandschutz und eine gute Zusammenarbeit zwischen Behörden und Kultureinrichtungen sind. Nur so lassen sich Schadensfälle verhindern bzw. im schlimmsten Fall gemeinsam bewältigen.