Rote Rose in Silber, silberne Rose in Rot

Zum lippischen Wappen in früherer Zeit

von Detlev Hellfaier

Druckfassung in: Heimatland Lippe 112 (2019) H. 1-2, S. 4-6.

Das lippische Wappenbild, die fünfblättrige Rose, ist wiederholt Gegenstand heraldisch-landesgeschichtlicher Untersuchungen gewesen. Obgleich kein unmittelbares Zeugnis dafür vorliegt, wird sie gemeinhin auf den Edelherrn Bernhard II. zur Lippe († 1224) als Wappenstifter und damit zeitlich in das ausgehende 12. Jahrhundert zurückgeführt. Vermutlich liegt man damit richtig, denn die Rose findet sich bekanntlich bereits auf nachgeprägten Lippstädter und Lemgoer Silberpfennigen aus der Zeit um 1195 und 1210/15, beide Städte führten wohl früh die Rose im Wappen, auch weist ihre Spur ins ferne Baltikum. Darüber hinaus korrespondiert die Rose als Mariensymbol auffallend mit Bernhards Affinität zur Gottesmutter.

Erste fünfblättrige Rose

Was ihre Verwendung als Wappenbild angeht, betritt man allerdings erst seit der folgenden Generation der Edelherren zur Lippe gesicherten Boden. Hermann II. zur Lippe († 1229), der auf seinen Vater Bernhard 1194/95, spätestens aber seit dessen Eintritt in das von ihm mit gegründete Zisterzienserkloster Marienfeld in der Herrschaft folgte, führte offenbar als erster die fünfblättrige Rose als gemeine Figur im Schild seines Siegels. Dessen älteste bekannte Ausprägung rührt aus dem Jahre 1218. Seither begleitet das Rosenwappen die Herrschaft Lippe und alle ihr folgenden politischen Körperschaften sowie die gleichnamige Adelsfamilie bis in die Gegenwart.

Älteste Farbgestaltung

Der Tristan-Teppich im Kloster Wienhausen, 1. Viertel 14. Jahrhundert, Ausschnitt. Unten Mitte wahrscheinlich das Wappen der Edelherren zur Lippe. Foto: DI 76, Taf. 7.

Da das in den Siegeln überlieferte Wappen farbneutral ist und man die heute üblichen Schraffuren zur Farbkennzeichnung noch nicht kannte, blieb die frühe Farbgebung (Tingierung) des lippischen Wappens ungewiss. Bisher gilt das Wappen auf dem Fuß eines zum Kirchenschatz der Jakobikirche in Lippstadt zählenden Kelches aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts als ältestes Zeugnis der farblichen Wappengestaltung. Der Kelchfuß zeigt im nachträglich aufgetragenen Wappenschildchen auf silbernem Grund die fünfblättrige rote Rose mit goldenem Butzen. Daneben befinden sich auf eigenen Schilden das rote Kreuz in Silber des Bischofs von Paderborn mit zusätzlicher kleiner Rose und der achtstrahlige schwarze Stern in Gold der Grafen von Waldeck. Diese Wappentrilogie spiegelt die Stiftung des Kelches aus unbekanntem Anlass zwischen 1321 und 1341 durch den Edelherrn Simon I. zur Lippe († 1344), seine Gemahlin Adelheid von Waldeck und deren Sohn, den Paderborner Bischof Bernhard V. († 1341). Etwa zeitgleich im 1. Viertel des 14. Jahrhunderts taucht das Wappen in der gleichen Tingierung zudem auf dem Tristan-Teppich (I) im Zisterzienserinnenkloster Wienhausen auf. In wechselnder Folge lösen sich dort waagerechte Bildstreifen mit Figurenszenen und Textzeilen aus dem Tristanepos mit zwischengeschalteten Wappenleisten ab. Wenn auch ein zugrunde liegendes Programm derzeit nicht zu erkennen ist und etliche Wappenzuweisungen eher fraglich sind, so tauchen doch mit den Wappen der Herzöge von Braunschweig und von Lüneburg, der Grafen von Anhalt, Oldenburg-Bruchhausen, Wohldenberg und Wernigerode (nieder-)sächsische Adelsfamilien auf, in die sich die Edelherren zur Lippe einreihen ließen. Eine eingehende Untersuchung dazu steht noch aus.

Das Wappenkästchen

Deckelansicht des Quedlinburger Wappenkästchens mit dem Rosenwappen rechts unten. Quedlinburg, Ev. Domgemeinde St. Servatii. Foto: Ann Münchow, Aachen.

Für die Farbigkeit des lippischen Wappens – in Silber die rote Rose – sind damit zwar erste Anhaltspunkte gegeben, doch verbietet sich in dieser frühen Phase des Heroldswesens ein Rückprojizieren auf das beginnende 13. Jahrhundert. Aufschluss über die frühe Tingierung vermag allerdings eine heraldische Quelle zu vermitteln, die in der hiesigen Diskussion um das lippische Wappen bis zur Stunde keinen nennenswerten Niederschlag gefunden hat. Es handelt sich dabei um das sogenannte „Quedlinburger Wappenkästchen“, das zu den ältesten überlieferten heraldischen Denkmälern des deutschen Mittelalters gehört. Um das zentrale Wappen des Kaisers Otto IV. († 1218), eines Sohnes Heinrichs des Löwen, gruppieren sich auf dem Deckel und auf den Seiten weitere 32 farbige Wappen in spitzovalen Schilden nach Normannenart von Reichsfürsten, Grafen, Edelherren und Ministerialen des sächsisch-westfälisch-thüringischen Raumes, die mit dem Herrscher aus dem Welfenhaus in enger Verbindung gestanden haben oder deren Anhängerschaft man zu dieser Zeit ausdrücklich postulierte. Unter diesen befindet sich zweifellos auch das Wappen eines Edelherrn zur Lippe, nämlich auf rotem Grund die fünfblättrige silberne Rose mit goldenem Butzen. Da die Ausgestaltung des Kästchens mit den Wappen für das Jahr 1209 wahrscheinlich gemacht werden kann, liegt mit dieser Darstellung das bisher früheste Zeugnis für das lippische Wappen vor. Für die Mehrzahl der hier versammelten Adelswappen gilt das Kästchen gleichfalls als älteste heraldische Quelle.

Das Quedlinburger Wappenkästchen, 1209, Vorderansicht rechts. Quedlinburg, Ev. Domgemeinde St. Servatii. Foto: Ann Münchow

Das „Quedlinburger Wappenkästchen“, das man erst 1951 im dortigen Rathaus aufgefunden hat, wird heute gemeinsam mit weiteren Kleinodien des „Quedlinburger Schatzes“ in der Schatzkammer der Stiftskirche St. Servatius ausgestellt. Der ovale Kasten in den Maßen H. 16,3; B. 35,5; T. 21,9 cm wurde aus Flechtwerk in sog. Wulstwickeltechnik hergestellt und von außen mit Kreidegrund sowie einer von Rot und Silber erstellten Lüsterfassung versehen. Der Deckel wird an der Rückseite von zwei geschmiedeten geschwungenen Eisenscharnieren gehalten, vorn ist ein wappenförmiges Kastenschloss mit Sperrhaken aufgesetzt, die Mitte des Deckels ziert ein schlichter Bügelgriff. Es ist nicht bekannt, welchem Zweck das vermutlich aus dem fatimidischen, d.h. nordafrikanisch-islamischen Kunstkreis des 12. Jahrhunderts stammende Behältnis ursprünglich gedient hat.

Lanzen und Heroldszeichen

Die Bemalung auf der Vorderseite zu beiden Seiten des Schlosses zeigt zwei mit eingelegten Lanzen während eines Turniers („Tjost“) gegeneinander anreitende, mit Schilden und Topfhelmen der Zeit um 1200 gerüstete Ritter. Nach deren Heroldszeichen auf Schilden, Waffenröcken und Decken der Pferde handelt es sich links mit dem Turnierkragen im Wappen um den Grafen Heinrich I. von Wohldenberg und rechts mit dem achtendigen Hirschgeweih im Wappen um den Grafen Adolf I. von Dassel. Auf den übrigen Seitenflächen des Kästchens befinden sich 19 farbige Wappen in zwei Reihen, auf dem Deckel in drei Reihen zwölf Wappen, davon mittig das kaiserliche Wappen, das im gespaltenen Schild rechts den halben Reichsadler, links die drei Leoparden der Welfen aufweist. Die nachvollziehbare Datierung der Wappen auf das Jahr 1209 erfolgte vor dem Hintergrund, dass nur um Pfingsten dieses Jahres auf den Hoftagen in Altenburg, eher aber in Braunschweig eine so große Zahl der welfentreuen Gefolgsleute letztmalig versammelt gewesen ist; auf diesen Hoftagen wurde der anstehende Italienzug zur Kaiserkrönung Ottos IV. vorbereitet.

Anhängerschaft Ottos IV.

Die meisten Wappen lassen sich dank der dichten urkundlichen Überlieferung namentlich bekannten Angehörigen der ritterlichen Hofgesellschaft und der Anhängerschaft Ottos IV. zuweisen, in einigen Fällen ist die Identifizierung aufgrund der Wappenähnlichkeit nicht ganz eindeutig. Eine ständische Reihenfolge gemäß der Heerschildordnung erkennt man nicht, auch bleiben andere Ordnungskriterien verborgen. Nimmt man sich die Wappendarstellungen auf dem Deckel des Kästchens vor, so steht das Wappen des Kaisers umgeben von denen der Reichsfürsten und seiner engsten Vertrauten. Hinter ihm befindet sich das Wappen seines älteren Bruders Heinrich, des Pfalzgrafen bei Rhein, flankiert wird dieser vom Landgrafen Hermann I. von Thüringen und vom Herzog Bernhard I. von Sachsen, den Kaiser begleiten der Graf Ludolf II. von Hallermund und der Markgraf Dietrich von Meißen; beide zeichnen sich durch besondere Nähe zum Kaiser aus. Bis auf das Wappen des Schenken des Pfalzgrafen Heinrichs, des Ministerialen Jusarius II. von Blankenburg, der ebenfalls zur nächsten Umgebung des Kaisers zählte, zeigen die weiteren Wappen des Deckels Vertreter edelfreier Geschlechter an. Es handelt sich bei ihnen um die Grafen Siegfried II. von Osterburg, Albrecht I. von Arnstein, einen Grafen von Blankenburg-Regenstein sowie die Edelherren Hermann IV. von Lobdeburg und Hermann II. zur Lippe; sein Wappen befindet sich rechts unterhalb des kaiserlichen Wappens und damit an prominenter Stelle.

Hermann II.

Siegel Hermanns II., 1218. Foto: Landesarchiv NRW, Abt. OWL.

Zur Zeit der Ausstattung des „Quedlinburger Wappenkästchens“ war Hermann II. der einzige weltliche Protagonist der Edelherren zur Lippe. Sein Vater Bernhard II. hatte sich um 1198, spätestens 1201 in Marienfeld dem Zisterzienserorden angeschlossen und schickte sich an, einen Livlandkreuzzug vorzubereiten, an dem er 1211 in führender Position teilnahm. Drei Brüder Hermanns bekleideten auf dem Weg an die Spitze der (Erz-)Bistümer Utrecht, Paderborn und Bremen hohe geistliche Dignitäten, ein weiterer war Propst in Deventer. Wie Bernhard II., bis zuletzt Parteigänger Heinrichs des Löwen, stand auch Hermann auf Seiten der Welfen, nahm an Feldzügen Ottos IV. teil, wirkte 1202 in Paderborn an dem Vertrag mit, in dem die welfischen Brüder Heinrich, Otto und Wilhelm ihr väterliches Erbe aufteilten, und ist urkundlich wiederholt als Lehnsmann und Zeuge in seinem unmittelbaren Umfeld nachgewiesen. Im Zuge des Thronstreits zwischen Otto IV. und Philipp von Schwaben hob selbst Papst Innozenz III. die besondere Treue des Lippers gegenüber dem Thronprätendenten aus dem Welfenhaus hervor. Mithin überrascht es nicht, dass Hermann II. 1209 auf den Hoftagen zugegen war und sein Wappen das Kästchen ziert. Gelegentlich in der Literatur zu findende Versuche, das Wappen als das der Grafen von Kirchberg oder der Burggrafen von Altenburg aufzulösen, sind vor dem Hintergrund der Nähe Hermanns zu Otto IV. und des hohen Ansehens, das er am welfischen Hof genossen haben muss, abzulehnen. Seit 1211 entfaltete Hermann eine intensive Tätigkeit im liv- und estländischen Missionsgebiet und avancierte dort vermutlich mit kaiserlicher Unterstützung um 1213 zum Inhaber höchster weltlicher Gewalt. Zahlreiche Indizien weisen darauf hin, dass für den Edelherrn zur Lippe in Analogie zu einer Reihe von Kreuzfahrerstaaten sogar eine Königserhebung durch den Kaiser im Baltikum in Aussicht genommen wurde. Dazu kam es nicht, denn Otto starb 1218 entmachtet auf der Harzburg und Hermann II. fiel 1229 im Kampf für die Bremer Kirche gegen die aufständischen Stedinger Bauern. Als Inhaber der Vogtei Rheda, Erbe der dortigen Edelherren und Angehöriger einer der Stifterfamilien fand er sein Grab in der Klosterkirche Marienfeld.

Die Datierung

Darf die Datierung der Ausmalung des „Quedlinburger Wappenkästchens“ mit Pfingsten 1209 als weitgehend gesichert gelten, so bleibt der unmittelbare Anlass, ein solches heraldisches Kleinod anzufertigen, bisher verborgen. Von der anfangs geäußerten Vermutung, es läge ein Brautgeschenk zur Verlobung Ottos IV. mit Beatrix von Schwaben vor, ist man vor allem aufgrund der ikonographischen Gestaltung mit den beiden Turnierkämpfern bald abgerückt, auch scheidet eine Verschwägerung der Grafenfamilien von Wohldenberg und von Dassel aus. Angesichts dieser Situation gewinnt die Vorstellung, es handele sich bei dem Kästchen um das pittoreske Relikt einer Rittergesellschaft, die Otto IV. und seine Entourage nach französischem Vorbild gebildet haben, oder eines anlässlich des Hoftages in Braunschweig abgehaltenen Turniers an Plausibilität; beides schließt einander nicht einmal aus. Während für die Rittergesellschaft vor allem die Anzahl von 33 Wappen und deren Aufteilung spricht, bilden 16 ständisch nicht differenzierte Paarungen um den gastgebenden Otto IV. das Turnierfeld. Greift man diese Idee auf, so wäre Graf Albrecht von Arnstein der Turniergegner Hermanns II. gewesen. Unter den beiden Grafen von Wohldenberg und von Dassel dürfte vermutlich der Sieger des Treffens ausgefochten worden sein.

In Silber die rote Rose

Über den einstigen Inhalt des Kästchens weiß man nichts, zu denken wäre an Insignien der Rittergesellschaft oder aber an ein Geschenk für den Turniersieger, selbst Heiligenreliquien bewahrte man, wie ein Beispiel aus dem 14. Jahrhundert im Welfenschatz zeigt, gelegentlich in Wappenkästchen auf.

Die einzigartige heraldische Quelle aus Quedlinburg vermittelt neben weiteren 32 Wappen mit der silbernen Rose auf rotem Grund die älteste und zugleich farbige Wiedergabe des Wappens der Edelherren zur Lippe überhaupt. In späteren Jahren dürfte die permutierte Form der Tingierung – in Silber die rote Rose – gebräuchlicher gewesen sein. Diese Farbvariante überliefern rund ein Jahrhundert später der Kelch aus Lippstadt und der Tristan-Teppich im Kloster Wienhausen, beide aus der 1. Hälfte des 14. Jahrhunderts. Die Permutation der Farben stellt gerade in der frühen Zeit des Wappenwesens kein außergewöhnliches Phänomen dar und kann ebenfalls bei anderen auf dem Wappenkästchen vertretenen Adelsgeschlechtern beobachtet werden, so u.a. bei den mit den lippischen Edelherren verschwägerten Grafen von Wohldenberg und den Edelherren von Plesse.