Ausstellung

Caritas

Nr. 100 Barmherziger Samariter

Nr. 100. Gleichnis vom barmherzigen Samariter

von Joachim Eberhardt

Druckfassung in: Caritas. Nächstenliebe von den frühen Christen bis zur Gegenwart. Katalog zur Ausstellung im Erzbischöflichen Diözesanmuseum Paderborn. Hg. von Christoph Stiegemann. Petersberg: Imhof, 2015, S. 538-539.

Jost Amman (* 1539, † 1591), in: Biblia Teutsch, Band 2: Psalter und Neues Testament, Frankfurt am Main: Sigmund Feyerabend, Georg Rab, Weigand Han Erben, 1564.

Farbiger Holzschnitt – Buchmaße: H. 40 cm; B. 26 cm; T. 9,5 cm.
Detmold, Lippische Landesbibliothek / Theologische Bibliothek und Mediothek,
Sign. Th 79.2° Simon.

Die nach ihrem Drucker sogenannte Feyerabend- oder nach dem Holzschneider sogenannte Amman-Bibel von 1564 ist ein prächtiges Beispiel der reformatorischen Bibeldruckkunst außerhalb Wittenbergs. Erst spät entstand 1559 mit der Verlagsgründung des Formschneiders Sigmund Feyerabend in Frankfurt am Main den Wittenberger Druckern eine ernstzunehmende Konkurrenz. 1560 begann Feyerabend im Verbund mit den Druckern David Zöpfel und Johann Rasch mit dem Nachdruck des Luthertextes. Er stattete die Ausgabe mit Bilder von Virgil Solis und reichen Schmuckleisten aus, was – sicher befördert durch den geschäftlichen Erfolg der Ausgabe, die 1561 und 1563 neu aufgelegt wurde – die Wittenberger Drucker zum Protest provozierte: der Bilderschmuck möge nicht „in der Biblia, neben Gottes wort stehen“, und die Bilder taugten nicht als Textillustration, da die Figuren zu klein seien; mithin wäre das Bildgeschehen nicht zu erkennen. Vielleicht als Reaktion ließ Feyerabend ab 1564 im Verbund mit den Druckern Georg Rab und Weigand Han (Erben) den Bibeltext mit neuen Illustrationen erscheinen. Er hatte sie bei dem Holzschneider Jost Amman eigens zu diesem Zweck in Auftrag gegeben. In der Vorrede schreibt Feyerabend, die Bilder möchten „dem gemeinen Mann, und der lieben Jugend, die Historien desto eigentlicher und verstendiger für die augen stellen“ – das ist angesichts des reformatorischen, vor allen wortorientierten Schriftverständnisses bemerkenswert. Damit hatten die Holzschnitte eine ähnliche Funktion wie bemalte Glasfenster in den Kirchen.

Amman widmete nicht allen Bibeltexten dieselbe Aufmerksamkeit. Von den insgesamt 144 verschiedenen Holzschnitten begleiten allein 27 den sprachbildreichen Apokalypse-Text; das Lukas-Evangelium zieren hingegen nur drei: das Evangelistenporträt am Anfang sowie die Samariter- und Lazaruserzählungen.

In der exegetischen Tradition des Mittelalters wird die Beispielerzählung häufig allegorisierend christologisch interpretiert: Jesus sei der Samariter, der mit seiner Barmherzigkeit dem alten Adam (das heißt dem den Überfallenen) das Leben wiedergebe und so sein Nächster sei. In der reformatorischen Theologie beginnt sich demgegenüber eine stärker ethische Deutung der Erzählung durchzusetzen. Levit und Priester werden im Kontext der Erzählung über das „höchste Gebot“ als Gesetzeskundige verstanden, die dessen Anwendung nicht zu erkennen vermögen, im Unterschied zu dem seinem natürlichen Gesetz folgenden Fremden.

Diese exegetischen Entwicklungen scheinen sich in Ammans Bildkomposition wiederzufinden. Dabei besteht durchaus Ähnlichkeit zu anderen zeitgenössischen Ausführungen (wie etwa bei Heinrich Aldegrever, Kat.-Nr. 101). Amman hat das Geschehen in einen in Architektur und Vegetation vage mitteleuropäisch wirkenden Raum übertragen. Der Akt der Barmherzigkeit steht zentral im Vordergrund: hier versorgt der Samariter die Wunden des seiner Kleider Beraubten mit Öl. Rechts wandert der Levit vorüber, begleitet von einem Hund; links im Bildhintergrund der lesende Priester. Im rechten Hintergrund sieht man die Herberge, der Verwundete wird gerade hineingebracht.

Interessant ist die Kleidung: Die orientalische Kopfbedeckung, Pluderhosen und Krummsäbel markieren den Samariter als Orientalen und damit als Nichtchristen, also in größtmöglicher religiöser Distanz zu den beiden anderen. Der Priester ist an seinem weiß-schwarzen Habit als Zisterziensermönch zu erkennen, der Levit trägt ein knöchellanges und gürtelloses Gewand – vielleicht auch, um ihn als katholischen Geistlichen zu kennzeichnen, da die protestantischen Geistlichen im Gefolge Luthers begonnen hatten, weltliche Kleidung (wie die Schaube) zu tragen. Trifft die Deutung zu, dann wäre die Samariter-Illustration der reformatorischen Feyerabend-Bibel zugleich Kritik an der römisch-katholischen Geistlichkeit, als deren Angehörige die Vorübergehenden gezeigt sind.

Literatur

  • Martha Bringemeier: Priester- und Gelehrtenkleidung. Ein Beitrag zur geistesgeschichtlichen Forschung. Münster 1974 (Rheinisch-westfälsiche Zeitschrift für Volkskunde. Beiheft ; 1). →Hier online (pdf).
  • Julia Hiller von Gaertringen: Die Bibel mit Holzschnitten von Jost Amman (Frankfurt am Main 1564). Bibel des Monats Juni. In: Heimatland Lippe 96 (2003), S. 117 – 119. →Hier online.
  • Ilse O’Dell: Jost Ammans Buchschmuckholzschnitte für Sigmund Feyerabend. Zur Technik der Verwendung von Bildholzstöcken in den Drucken 1563-1599. Wiesbaden: Harrassowitz 1993.
  • Hans Gunther Klemm: Das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Grundzüge der Auslegung im 16./17. Jahrhundert. Stuttgart: Kohlhammer, 1973 (Beiträge zur Wissenschaft vom Alten und Neuen Testament ; 3).
  • Werner Monselewski: Der barmherzige Samariter. Eine auslegungsgeschichtliche Untersuchung zu Lukas 10, 25-37. – Tübingen: Mohr (Siebeck), 1967. (Beiträge zur Geschichte der biblischen Exegese ; 5).