T 1972-3 Situation und Funktion

Situation und Funktion der Lippischen Landesbibliothek Detmold

Referat anlässlich der Tagung der Regionalbibliotheken vom 15. bis 15. März 1972 in Detmold

von Karl-Alexander Hellfaier

Druckfassung: L 1316.4°

Ich will kurz und schnell berichten und erhoffe mir am Schluss meines Berichtes einen Rat, für den ich sehr dankbar wäre.

Die Situation der Lippischen Landesbibliothek ist deshalb eine besondere, weil sie eine Landesbibliothek ohne Land ist, denn ein Land Lippe gibt es seit über 20 Jahren nicht mehr. Vielleicht ist ihre Situation mutalis/mutandis mit Coburg oder mit Speyer zu vergleichen; denn auch die Detmolder Bibliothek wird nicht von ihrem „Land“, vom Land Nordrhein-Westfalen, unterhalten, das lediglich mit einem Zuschuss beteiligt ist.

Der Unterhaltsträger der Lippischen Landesbibliothek ist der Landesverband Lippe, der am 5.11.1948 gegründet wurde, als das Land Lippe als letzter deutscher Kleinstaat seine Selbständigkeit aufgibt und in das Land Nordrhein-Westfalen eingemeindet wird. Der Landesverband Lippe ist eine Vermögensverwaltung; verfassungsrechtlich figuriert er als eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die das 1918 verstaatlichte fürstliche Vermögen, zu dem auch die Bibliothek gehört, verwaltet. Zu der Vermögensmasse gehören: Grund- und Waldbesitz, die Staatsbäder Salzuflen und Meinberg, Domänen, Kiesgruben, Gaststätten und Schlösser. Auch das Lippische Landesmuseum gehört dazu. Diese Vermögensmasse wurde bei der Inkorporierung des Landes Lippe in das Land Nordrhein-Westfalen nicht eingebracht, sondern unter eine eigene Verwaltung, den Landesverband Lippe, gestellt, der, wie bereits bemerkt, eigens dafür durch ein besonderes Gesetz, das „Lippe-Gesetz“, errichtet wurde. Die Situation dieses Landesverbandes ist wiederum deshalb eine besondere, weil er als einzige Körperschaft des öffentlichen Rechts in der Bundesrepublik keine Steuereinnahmen erheben kann. Er besteht aus einem zehnköpfigen Parlament (5 Abgeordnete kommen aus dem Kreis Detmold und 5 aus dem Kreis Lemgo) und einem Verbandsvorsteher, der im Parlament der Verbandsversammlung Sitz und Stimme hat. Die Dienstaufsicht führt der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen.

Durch das genannte „Lippe-Gesetz“ ist der Landesverband verpflichtet, im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten die kulturellen und sozialen Belange der Lippischen Bevölkerung zu fördern.

Während der nunmehr über zwei Jahrzehnten währenden Trägerschaft durch den Landesverband hat die Lippische Landesbibliothek ohne Zweifel einen bemerkenswerten Aufschwung genommen, ein Umstand, der auch für alle anderen Bibliotheken ins Feld geführt werden kann, so dass der zitierte „Aufschwung“ in der entsprechenden Relation zu werten ist. Über die Funktion der Bibliothek und die finanzielle Belastung des Landesverbandes, die diesem durch seine Trägerschaft erwachsen, sagte der Verbandsvorsteher in seiner Etatrede am 20.11.1970:

„Es ist erfreulich zu berichten, dass im vergangenen Jahr mit über 9.600 Bänden der auswärtige Leihverkehr seine bisher höchste Ziffer erreicht hat. Es erfüllt auch mit Stolz, dass sich darunter 91 ausländische Bibliotheken befinden. Aber die Zahl der einheimischen Benutzer ist in den letzten zehn Jahren nicht gestiegen, obwohl der Landesverband Lippe gerade für diese Einrichtung sehr viel getan hat. Der Personalbestand wurde in diesem Zeitraum von 15 auf 22 erhöht. Der Vermehrungsetat ist von 20.100 DM im Jahre 1951 über 45.000 DM im Jahre 1961 auf 120.000 DM im vorliegenden Entwurf angestiegen. Während der Zuschuss des Landesverbandes zur Bibliothek im Jahre 1951 nur 95.000 DM betrug und 1961 etwa 156.000 DM ausmachte, ist er für 1971 bereits mit 455.000 DM veranschlagt. Damit ist ein Stand erreicht, welcher zu der Frage Anlass gibt, ob es Sache des Landesverbandes ist, eine Einrichtung in diesem Grade zu fördern, die in so starkem Masse nicht allein der Literaturversorgung der lippischen Bevölkerung dient. Da Detmold nicht Sitz einer Universität geworden ist, hat unsere Bibliothek m.E. zur Zeit keine ihrer Bedeutung entsprechende Funktion; dies um so mehr, weil sich in Detmold in den Nachkriegsjahren weitere Bibliotheken entwickelt haben, wie z.B. bei der Landeskirche, bei der Bundesforschungsanstalt für Getreideverarbeitung, bei der Regierung, beim Archiv, und zur Zeit wird eine große Bibliothek der Musikakademie gebaut.“

Was die Erhöhung des Personalbestandes angeht, so ist lediglich zu bemerken, dass in der genannten Ziffer 22 der Hausmeister und 5 Putzfrauen eingeschlossen sind, die für die bibliothekarischen Dienstleistungen, um die es in jeder Bibliothek geht, überhaupt nicht in Betracht kommen. Für 1972 wurde ein Zuschuss von 700.000 DM veranschlagt, ein Umstand, der in der letzten Etatrede den Sprecher der SPD-Fraktion zu der Feststellung veranlasste, dass nunmehr die „Schallmauer“ erreicht sei; was wohl so zu verstehen ist, dass mit einer Steigerung des Unterhaltszuschusses nicht mehr gerechnet werden könne. In der vom zitierten Sprecher gebrauchten Formulierung sollten wohl die Grenzen der Leistungsfähigkeit und der Belastung des Landesverbandes deutlich gemacht werden.

Die Lippische Landesbibliothek ist mit rund 250.000 Bänden und über 900 laufenden Zeitschriften in Ostwestfalen die größte Büchersammlung und nach den Universitätsbibliotheken Münster und Bochum und der Stadt- und Landesbibliothek Dortmund in Westfalen die viertgrößte Bibliothek. 1971 zählte sie 2.056 eingetragene Benutzer, die sich vorwiegend aus Studierenden und Schülern der in Detmold und näheren Umgebung domizilierten Fach- und Oberschulen zusammensetzen. Erziehungs- und Lehrberufe, Angehörige von Behörden und Körperschaften sind weitere Benutzer, die deutlich in Erscheinung treten.

Die Funktion der Lippischen Landesbibliothek ist aber auch deshalb eine besondere, weil sie neuerdings die Literaturversorgung der in Lemgo (10 km von Detmold) stationierten Fachhochschule Lippe übernommen hat, die auf eine eigene Hochschulbibliothek verzichtet, obwohl eine solche im Modell konzipiert ist. Die genannte Fachhochschule hat im Oktober vergangenen Jahres ihren Lehrbetrieb aufgenommen; sie ist technisch-naturwissenschaftlich und wirtschafts- und sozialwissenschaftlich ausgerichtet. Ihre „Bereiche“ Wirtschaft und Innenarchitektur hat sie hier in Detmold etabliert. Ein weiterer Bereich befindet sich in Lage (8 km von Detmold). Die Lippische Landesbibliothek fungiert also als Zentralbibliothek für die gesamte Hochschule und als Bereichsbibliothek für die beiden in Detmold stationierten Bereiche mit zwei weiteren bibliothekarischen Kontaktstellen in Lage und Lemgo.

Die Voraussetzungen für diese zusätzlichen Dienstleistungen der Bibliothek wurden dahingehend gelöst, dass die Bucherwerbung und die haushaltsmäßige Abrechnung grundsätzlich eine Angelegenheit der Fachhochschule Lippe bleibt. Die Personalfrage wurde in der Weise geregelt, dass Fach- und Hilfskräfte von der Fachhochschule zur Dienstleistung an die Bibliothek delegiert werden.

Nun sind wir uns alle einig in der Tatsache, dass Regionalbibliotheken Bibliotheken sind, die der Literaturversorgung außerhalb der Hochschulen dienen, es sind also Bibliotheken ohne Hochschulbereich. Meine Frage: Bricht die Detmolder Bibliothek aus dieser Verpflichtung durch die eben geschilderte Funktion aus, oder lässt sich beides miteinander vereinbaren?

Eine Einengung ihrer Funktion hat die Lippische Landesbibliothek vor einem Jahr erfahren, als sie auf Anordnung ihres Unterhaltsträgers, des Landesverbandes Lippe, an ein neu gegründetes Institut, das Institut für Lippische Landeskunde, folgende Bestände abgeben musste:

  1. Die gesamte heimatkundliche Sammlung mit Ausnahme der inventarisierten und katalogisierten Zeichnungen;
  2. die Fotosammlung einschließlich der nach 1945 erworbenen Bestände;
  3. die Zeitgeschichtliche Sammlung aus der Zeit nach 1945.

Für die Unterbringung des Instituts, das mit einem Leiter und einer Halbtags-Schreibkraft besetzt ist, musste die Bibliothek zwei Räume abgeben. Vorstellungen auch bei den Abgeordneten der Verbandsversammlung, die genannten Bestände im Organisations- und Verwaltungsbereich der Bibliothek zu belassen, blieben ohne Erfolg.

Diese Maßnahme bedeutet einen Tiefpunkt in der geschichtlichen Entwicklung der Lippischen Landesbibliothek. Er wird übertroffen von dem Versuch Graf Simon Augusts, die Bibliothek mit Strafgeldern zu halten. Es gelang ihm auch nicht, einen Bibliothekar zu etatisieren, so dass von einigen Jahrzehnten abgesehen, Landesarchiv und Landesbibliothek in Personalunion vom Archivdirektor verwaltet werden. 1932 empfiehlt der Reichssparkommissar der Lippischen Staatsregierung Archiv und Bibliothek von einem beim Archiv beschäftigten Regierungsoberinspektor mitverwalten zu lassen. Doch auch dieser Tiefpunkt reicht an den oben geschilderten nicht heran, da die Regierung die Empfehlung des Sparkommissars nicht befolgte.

Situation und Funktion der Lippischen Landesbibliothek werden z.Zt. und künftig weitgehend von der bibliothekspolitischen Konzeption bestimmt, die in Nordrhein-Westfalen, das bibliothekspolitisch sehr aktiv ist, von verschiedenen Gremien entwickelt wird.

Hierzu gehört auch die Frage bzw. Forderung nach einer echten, vom Land getragenen Landesbibliothek, über die Nordrhein-Westfalen nicht verfügt. Die Frage nach einer solchen Landesbibliothek hatte Werner Krieg auf der 20. Jahresversammlung des Verbandes der Bibliotheken NW in Köln 1968 als eine echte Aufgabe des Landes bezeichnet, das keine eigene Landesbibliothek unterhält. Das Land spart vielmehr auf Kosten der Kommunen und im Falle Detmold auf Kosten des Landesverbandes Lippe die Ausgaben für eigene Landesbibliotheken. Krieg meinte, man könnte Düsseldorf (damals noch!), Dortmund und vielleicht auch Detmold durch eine angemessene finanzielle Beteiligung des Landes zu wirklichen Landesbibliotheken für Westfalen und das Rheinland ausbauen.

Bereits im Frühjahr 1969 hatte sich in Witten die Arbeitsgemeinschaft der Großstadtbüchereien für drei Landesbibliotheken: Düsseldorf, Dortmund, Detmold ausgesprochen und einen entsprechenden Beschluss einstimmig gefasst.

Die Frage der Landesbibliothek stand auch 1969 auf der 61. Jahresversammlung des Verbandes der Bibliotheken NW in Detmold in zwei Referaten auf der Tagesordnung (Hans M. Meyer, Dortmund und Drehmann, Saarbrücken).

Und schliesslich fasste Ende des vergangenen Jahres die ÖTV-Bezirksverwaltung Nordhrhein-Westfalen II eine Resolution zur gesetzlichen Regelung des öffentlichen Bibliothekswesens im Rahmen des künftigen Erwachsenenbildungsgesetzes. In dieser Resolution wird gefordert, Detmold als Regionalbibliothek für Ostwestfalen-Lippe auszubauen, Dortmund für das Ruhrgebiet und das übrige Westfalen. „Das Land NW muss diese Bibliotheken für ihre zentralen Funktionen ausstatten, unterhalten und entwickeln“, heisst es in dieser Resolution. Das ist die interessante Situation der Lippischen Landesbibliothek in den verschiedenen Planungen und im bibliothekspolitischen System des Landes, das ebenfalls an einem Bibliotheksentwicklungsplan arbeitet, ein Gesetz zur Förderung öffentlicher Bibliotheken vorlegen wird, mit dem sich auch der Städtetag von Nordrhein-Westfalen befasst.