Erwerbung der Lortzing-Sammlung Georg Richard Kruses

von Eduard Wiegand

In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 59 (1942) H. 9, S. 288-289.

Die Lortzing-Sammlung Georg Richard Kruse, die größte im Privatbesitz befindliche Sammlung von Dokumenten aus dem Leben und Schaffen Albert Lortzings, verdankt ihre Entstehung dem bekannten Lortzing-Biographen und Bahnbrecher der Lortzingschen Muse, Direktor Georg Richard Kruse, Berlin. Sie ist das Ergebnis einer ebenso sachkundigen wie aufopferungsvollen Sammeltätigkeit und gibt gleichzeitig Zeugnis von der Lebensarbeit ihres Schöpfers, die sich außer Lortzing auch anderen Komponisten wie z. B. Nicolai zuwandte und in einer äußerst fruchtbaren wissenschaftlichen und publizistischen Tätigkeit im Dienste der Musikforschung ihren Niederschlag fand. Daneben ist Georg Richard Kruse auch als Herausgeber zahlreicher Kompositionen sowie als erfolgreicher Schöpfer eigener musikalischer Werke vielfach hervorgetreten.

Die Lortzing-Sammlung verdankt ihre Hauptanregung dem Umstande, daß ihr Schöpfer im Jahre 1889 als Kapellmeister am Detmolder Hoftheater wirkte, wo eine gewisse Lortzing-Tradition bereits heimisch war. Denn hier wirkte der Komponist in den Jahren 1826-1833 als Schauspieler und Sänger, hier auch schuf er eine stattliche Anzahl von Jugendwerken, die lange Zeit so gut wie verschollen waren und deren Wiederentdeckung und bühnenmäßiger Bearbeitung sich Georg Richard Kruse besonders annahm. So haben wir es seiner unermüdlichen Sammeltätigkeit in erster Linie zuzuschreiben, daß diese ebenso melodiösen wie für den musikalischen Werdegang des Komponisten aufschlußreichen Frühwerke uns erhalten geblieben sind.

Im Laufe der Jahre ist die Lortzing-Sammlung zu einem stattlichen Umfang angewachsen. Sie enthält vor allem:

  1. Zahlreiche Originalhandschriften, darunter insbesondere die Partitur zu „Don Juan und Faust“, „Yelva“, Finale zu „Hans Sachs“, Hymne, Entre-Act I und II zur „Jagd“, Jubel-Ouvertüre, sowie zu verschiedenen Arien und Einzelszenen aus seinen Opern – ferner die Texte bzw. Textentwürfe zur „Opernprobe“, zu „Regina“, zum „Amerikaner“, zu „Caliostro“.
  2. Eine Anzahl Erstdrucke, u. a. Klavierauszüge zu „Der Pole und sein Kind“, „Zar und Zimmermann“, „Casanova“, „Undine“, „Waffenschmied“ und „Wildschütz“, sowie Lieder.
  3. Originaldokurnente aus Lortzings Leben wie z. B. Briefe, Urkunden, Bilder u. a.

Georg Richard Kruse entwickelte bereits in einem an den regierenden Fürsten zur Lippe gerichteten Schreiben aus dem Jahre 1907 ein ausführliches Programm, worin er für eine dauernde würdige Ehrung Lortzings und Christian Dietrich Grabbes in Form von alljährlich wiederkehrenden Festspielen am Detmolder Hoftheater sich einsetzt. Dieser Plan, der unter der Ungunst der damaligen Verhältnisse scheiterte, soll nun in den wesentlichen Punkten durch die tatkräftige und weitschauende Initiative des Gauleiters Dr. Alfred Meyer verwirklicht werden. Das große Ziel: „Detmold ein Bayreuth der deutschen Spieloper“, wie es Direktor Kruse in dem oben erwähnten Briefe bereits formulierte, hat in vielen Herzen gezündet und schon heute manchen alten und neuen Mitarbeiter auf den Plan gerufen. Zur Förderung dieser weitgesteckten Zielsetzung hat nunmehr Direktor Kruse die Bestimmung getroffen, daß seine Lortzing-Sammlung, die erstmalig während der diesjährigen Grabbe-Woche in einer von der Lippischen Landesbibliothek veranstalteten Lortzing-Ausstellung in ihren wertvollsten Teilen gezeigt wurde, in Detmold verbleibt, um als „Lortzing-Archiv Georg Richard Kruse“ den Beständen der Lippischen Landesbibliothek eingegliedert zu werden. Den Sammlungen der Lippischen Landesbibliothek ist damit neben dem „Grabbe-Archiv Alfred Bergmann“ eine weitere Forschungsstätte angeschlossen, der auch die bereits vorhandenen Lortzing-Dokumente der Landesbibliothek eingeordnet werden und deren weiterer Ausbau im Geiste ihres Schöpfers geplant ist. Die Lippische Landesbibliothek übernimmt damit auch die Aufgabe, anläßlich der vom Reichsdramaturgen Dr. Rainer Schlösser in Detmold geplanten größeren Ehrungen Lortzings die in ihrem Besitze befindlichen Lortzing-Dokumente in Ausstellungen der breitesten Öffentlichkeit immer wieder zugänglich zu machen und dazu beizutragen, daß auch die lange verschollenen oder noch niemals erklungenen Lortzingschen Weisen im Kreise alter und neuer Freunde der Lortzingschen Muse zur Aufführung gelangen.