Die Entwicklung der Lippischen Landesbibliothek und des Lippischen Landesarchivs im Dritten Reich
von Dr. Eduard Wiegand
Druckfassung in: Nationalsozialistischer Heimat-Kalender für Lippe 5 (1938), S. 97-109. Scannfassung (PDF).
Disclaimer zur Onlinestellung: Bibliotheks- und Archivdirektor Eduard Wiegand (siehe LippeLex zur Biographie) war überzeugter Nationalsozialist. Seine Werturteile sind propagandistisch gefärbt; der Rassismus der nationalsozialistschen Weltanschauung wird hier offen ausgesprochen. Der Text ist historisch interessant, da er Einblick gibt, wie der Nazi-Bibliothekar sich die Bibliotheksarbeit vorstellt.
Unter allen Behörden und Instituten unserer Heimat haben die Lippische Landesbibliothek und das Lippische Landesarchiv mit am härtesten unter der Unfähigkeit der demokratischen und marxistischen Machthaber seit den Tagen der Novemberrevolution gelitten. Hat man die beiden Institute zunächst auch gewähren lassen oder gar aus Prestigegründen ihrer Entwicklung ein heuchlerisches Interesse entgegengebracht, so fiel die Maske einer angeblichen Kulturfreundlichkeit in dem Augenblicke, wo es galt, zur Erhaltung der genannten Institute bzw. ihrem weiteren Ausbau durch Einsparung unnützer, im Grunde nur parteipolitischen Belangen dienender Ausgaben das erforderliche Opfer zu bringen. Man wählte stattdessen den bequemeren Weg der langsamen Abdrosselung, sofern sich das Opfer hiergegen nicht zu wehren vermochte, da es im demokratischen Zahlenspiele nur eine hoffnungslose Minderheit für sich ins Feld führen konnte. Besonders augenfällig wird dies Verfahren durch einen Ueberblick über die der Landesbibliothek zur Anschaffung von Büchern und Zeitschriften zur Verfügung gehaltenen Mittel. Der entsprechende Titel im Staatshaushaltsplane weist folgende Zahlen auf:
In den Rechnungsjahren
1924/25 bis 1930/31 | 8000 RM |
1931/32 | 5000 RM |
1932/33 | 5000 RM |
1933/34 | 3600 RM |
Die unausbleibliche Folge dieser mehr als 50prozentigen Senkung der Etatmittel war eine katastrophale Einschränkung der Bücheranschaffungen auf nahezu allen Wissensgebieten: Große Buchbestände veraltete im Laufe der Jahre ohne Ersatzmöglichkeit, und die daraus notwendigerweise sich ergebende Leistungsminderung führte zu einer stetig sinkenden Beanspruchung der Landesbibliothek. Nur der Umstand, daß Detmold als ausgesprochene Pensionärstadt einen festen Leserstamm aufwies, und weiterhin auch die durch Arbeitslosigkeit erzwungene Muße weiter Volksschichten verhinderte ein entsprechendes sonst wohl unvermeidliches Absinken der Benutzungszahlen. Insbesondere vermochte der öffentliche Lesesaal der Landesbibliothek mit seiner erschreckenden Leere an Zeitschriften und Zeitungen keinerlei Anreiz zu einer ständigen Benutzung mehr auszuüben. Fügt man noch hinzu, daß dem der Zahl nach völlig unzureichenden, mit Arbeit überlasteten Personal schließlich auch noch die einzige bürotechnische Hilfskraft entzogen wurde, so hat man das Bild einer kulturellen Anstalt vor Augen, die sich dem allgemeinen Zuge der Zeit, d.h. dem gänzlichen Verfalle, kaum noch erwehren konnte.
Falsch und unaufrichtig wäre es jedoch, wollte man demgegenüber nun behaupten, daß jeglicher Mangel der Vergangenheit bereits behoben und ein neuer Höhepunkt der Entwicklung schon heute erreicht wäre: hierzu reicht die kurze Zeitspanne von vier Jahren bei weitem nicht aus, insbesondere dann nicht, wenn ein junger, um sein Leben ringender Staat den größten Teil der ihm zur Verfügung stehenden Mittel zunächst noch zu seiner äußeren Verteidigung sowie zur Behebung der Arbeitslosigkeit verwenden muß. Es wäre daher auch verfrüht, im Stile eines Jubiläumsartikels zu zeigen, »wie herrlich weit wir es gebracht haben«. Dagegen gebietet es die Gerechtigkeit, anzuerkennen, daß inzwischen nicht nur ein zielbewußter Wille am Werke gewesen ist, sondern in seinem Geefolge auch eine sehr beachtliche Leistung und ein entsprechender Erfolg zu verzeichnen sind. Wiederum mögen einige Zahlen aus dem Anschaffungsetat der letzten vier Jahre sowie des laufenden Rechnungsjahres 1937 dies veranschaulichen. Zu Buchanschaffungen waren verfügbar: Im Rechnungsjahre
1933/34 | 3600 RM |
1934/35 | 4800 RM |
1935/36 | 4800 RM |
1936/37 | 4800 RM |
1937/38 | 7000 RM |
Diese unscheinbare Zahlenreihe enthält für den, der sie in ihrer ganzen Bedeutung zu würdigen versteht, gleichsam in einer Nußschale die Geschichte eines Kampfes, den die Landesbibliothek als wissenschaftliches Institut von Rang und als Bewahrerin einer jahrhundertealten Tradition um ihr Leben gekämpft und gewonnen hat: An dieser Stelle genügt es jedoch, darauf hinzuweisen, daß sich in den genannten Zahlen der Wille ausdrückt, nicht nur die zahlreichen, in den Jahren der Abdrosselung entstandenen Lücken des Buchbestandes allmählich zu schließen, sondern vor allem den gewaltigen Anforderungen gerecht zu werden, die die neue Zeit mit ihrer neuen weltanschaulichen Wertung auf allen Wissensgebieten an uns stellte. Wiederum waren viele Werke gleichsam über Nacht veraltet oder als volksschädlich auszumerzen, und eine der Zahl nach schier unübersehbare neue Literatur mußte erfaßt, gesichtet und den geringen zur Verfügung stehenden Mitteln entsprechend in ihren jeweiligen Spitzenleistungen angeschafft werden: Will man die damit beginnende Erneuerung mit einem einzigen Worte kennzeichnen, so könnte man sagen: die Landesbibliothek mußte im höheren, nationalsozialistischen Sinne »politisch« werden. Sie mußte in ihrer Arbeitsweise radikal brechen mit dem L’art-pur-l’art-Standpunkte einer vergangenen, im Bereiche des Geisteslebens angeblich objektiven und leidenschaftslosen Zeit und statt dessen rückhaltlos in die Arena des Kampfes treten, der vom Nationalsozialismus um die Seele des ganzen deutschen Volkes begonnen wurde. Damit aber traten zwei mit geringen Mitteln kaum zu lösende, fundamentale Aufgaben an sie heran.
Die erste betrag die bereits erwähnte Wertung und Auswahl der anzuschaffenden Bücher und Zeitschriften unter Zugrundelegung der neuen nationalsozialistischen Wertordnung. Welche Fülle von Schwierigkeiten auf diesem Gebiete zu überwinden war, ergibt sich aus folgender Erwägung: Die nationalsozialistische Weltanschauung wertet bekanntlich alle Erscheinungen dieser Erde einzig und allein danach, inwieweit sie der Erhaltung der rassischen, körperlich-seelischen Substanz unseres Volkes dienen und darüber hinaus die ungehinderte Erhaltung seiner guten Anlagen ermöglichen und fördern. Hieraus ergibt sich ein schwer zu überschauendes, in sich selbst wirkendes System von Werten, deren Rangordnung mit Ausnahme der Höchstwerte Rasse und Volk von Fall zu Fall wechselt und daher immer aufs neue bestimmt werden muß. So kann z.B. die Wissenschaft als reine Wahrheitserforschung einen sehr höhen Wert darstellen, ja sogar an den Höchstwert heranreichen, insofern sie der Entfaltung einer der edelsten Anlagen unserer Rasse, des ernsten Strebens nach Erkenntnis, darstellt. Es gibt jedoch auch Zeiten und Lagen, in denen die reine Wahrheitsforschung für unser Volk an Wert entscheidend verliert, weil die von ihr beanspruchten Kräfte erforderlich sind zur Rettung und Erhaltung unserer rassischen Substanz und unseres völkischen Daseins, deren Vernichtung ja auch die Ausschaltung jeder wissenschaftlichen Betätigung zur Folge haben würde. Hier zeigt es sich somit besonders deutlich, daß den sittlichen Charakterwerten der Vorrang einzuräumen ist, der ihnen unter allen Umständen gebührt, während der Wert der Wissenschaft in diesem Falle nur noch nach der Nützlichkeit ihrer Erkenntnisse für den Daseinskampf unseres Volkes bemessen werden kann. Aehnlich, nur noch verwickelter, liegen die Verhältnisse bei der Kunst als einem zugleich freien und naturgebundenen, aus den Tiefen der Rassenseele schöpfenden Gestaltungstriebe im Bereiche des Schönen und Erhabenen sowie beim künstlerischen Genusse als Freude an der schönen Erscheinung. Auch die Technik als Ausdruck des menschlichen Herrscherwillens über die Naturkräfte sowie als Bestandteil einer dem völkischen Lebenskampfe dienenden Zivilisation könnte hier als Beispiel herangezogen werden. Allen schwankenden Bewertungen gemeinsam ist jedoch die ständige Beziehung auf die obengenannten Höchstwerte: Rasse und Volk, sowie auf deren höchste und edelste Lebensäußerungen, die unter Umständen an die Würde des Höchstwertes heranreichen und alsdann nur schwer von diesem zu trennen sind. Denn es fällt schwer, unser Volk und seine rassische Substanz als Höchstwert einzusetzen, ohne gleichzeitig die Entfaltung seiner edelsten Anlagen auf sittlichem, kulturellem und zivilisatorischem Gebiete mit einzubeziehen. Die nationalsozialistische Wertordnung gleicht demnach in ihrem Aufbau der Natur, deren einheitliche Gesetzgebung Starrheit in den großen Linien mit Elastitzität in der Anpassung im einzelnen zu verbinden weiß. Durch die Bestimmung von Rasse und Volk als unverrückbar festen Höchstwert und durch die auf diesen bezogene, veränderten Verhältnisse sich anpassende elastische Rangordnung der Werte unterscheidet sich die nationalsozialistische Wertordnung auch von allen vergangen Wertordnungen, welche entweder andere Höchstwerte aufweisen oder in falscher Liberalität bzw. innerer Unsicherheit es jedem freistellen, sich einen eigenen, sozusagen privaten Höchstwert zu wählen und alles andere diesem unterzuordnen.
Als Träger und Vermittler wissenschaftlicher Erkenntnisse sowie sittlicher und künstlerischer Anschauungen unterliegt auch das Buch diesem Prozesse einer durch den Nationalsozialismus herbeigeführten radikalen Umwertung aller Werte. (S. 99)