Der Brand der Lippischen Landesbibliothek in Detmold
von Ernst Anemüller
In: Zentralblatt für Bibliothekswesen 39 (1922), S. 25-29.
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Die Lippische Landesbibliothek wurde bei ihrer Reorganisation im Jahre 1821 in einem Pavillon der fiirstlichen Stallgebäude untergebracht, der im höchsten Maße feuergefahrlich war. Daher wurde es von allen Seiten mit großer Freude begrüßt, als im Jahre 1884 die verwitwete Fürstin Elisabeth zur Lippe, eine geborene Prinzessin zu Schwarzburg-Rudolstadt, die Prinzessin Luise zur Lippe bestimmte, ein ihr gehöriges Palais dem Staate zur Unterbringung der Bibliothek zu schenken. Im Jahre 1886 fand die Uebersiedlung in die neuen, schönen und weiten Räume statt, von denen man annahm, daß sie für absehbare Zeit genügend Platz gewähren würden.
Das neue Heim der Bibliothek war ein mächtiges Gebäude in edlen klassizistischen Formen, das ein reicher Privatmann im Anfange der vierziger Jahre für sich erbaut hatte. Später ging es in den Besitz des Fürstlich Lippischen Hauses über und diente Jahrzehnte lang dem Prinzen Woldemar bis zu seiner Thronbesteigung im Jahre 1875 als Wohnung. Mitten im Grünen, in einem parkartigen Garten gelegen, schien das Haus ganz besonders für eine Stätte stiller wissenschaftlicher Arbeit geeignet. Es enthielt drei Stockwerke. In dem im Westen gelegenen Treppenhause führte eine breite prächtige Holztreppe bis zum obersten Stockwerk.
Als die Bibliothek im Jahre 1886 das neue Heim bezog, genügte für sie reichlich das unterste Stockwerk. Man rechnete damals noch nicht mit einem Bücherzuwachs solchen Umfanges, wie wir es jetzt zu tun pflegen. So kam es, daß man gern auf den Wunsch des Naturwissenschaftlichen Vereins für Lippe einging, ihm für seine naturwissenschaftlichen Sammlungen die beiden oberen Stockwerke zu überlassen; nur im dritten Stockwerk erhielt die Bibliothek noch zwei Räume, die zur Unterbringung von wenig gebrauchten Zeitschriftenreihen benutzt wurden. Es dauerte jedoch nicht lange, so rächte sich der Fehler, daß man zwei ihrer Natur nach auf beständiges Wachstum angewiesene Anstalten in demselben Hause untergebracht hatte. Museum wie Bibliothek erhielten namentlich durch unerwartete große Schenkungen einen Zuwachs, den man früher auch nicht im entferntesten geahnt hatte, und so trat bald schon eine für die Unterbringung der Sammlungen sehr schädliche und ihre Benutzung wesentlich beeinträchtigende Wirkung ein. Das Museum nahm für sich noch die beiden, mit dem Hauptgebäude nicht zusammenhängenden einstöckigen Nebengebäude in Benutzung, während die Bibliothek gezwungen wurde, eine Anzahl Kellerräume und den Dachboden zur Aufstellung von Büchern einzurichten. Alle Bemühungen, durch den Neubau einer Bibliothek oder eines Museums Raum zu schaffen, scheiterten bei den maßgebenden Stellen zum Teil aus Mangel an Geld, zum Teil aber auch leider aus Mangel an Verständnis für die Bedeutung der beiden Institute. Endlich ergab sich nach der Revolution die Möglichkeit, Luft zu schaffen. Das von dem letzten Fürsten an den Staat abgetretene „Neue Palais“ an der Neustadt wurde dem Museum überwiesen, die Bibliothek sollte sich in dem bisherigen Gebäude ausdehnen. Zu Ostern 1921 zog das Museum aus und in der Bibliothek begannen die Vorbereitungen zur Ausbreitung in die oberen Stockwerke. Die nötigen Arbeiten waren schon im Gange, die Zentralheizung so gut wie fertig. Voraussichtlich bald nach Weihnachten sollten die neuen Räume in Benutzung genommen werden. Da wurden alle diese Hoffnungen durch die Brand- katastrophe zunichte.
Freilich – von dem Ideal einer modernen Bibliothek war das Gebäude auch nach dieser Umgestaltung noch weit entfernt. Das Erdgeschoß und das obere Stockwerk hatten eine Höhe von 4m und darüber. Das mittlere Stockwerk, in dessen schöne Räume die Lese- und Verwaltungsraume kommen sollten, war mehr als 5 m hoch. Die Folge dieser Geschoßhöhe war, daß überall in der Bibliothek hohe Repositorien und dementsprechende Leitern verwendet werden mußten, sowie daß der Rauminhalt des Gebäudes nicht genügend ausgenutzt werden konnte. Da indessen ein Neubau nicht zu erreichen gewesen war, so mußte man sich schon mit diesem Gebäude begnügen und daraus zu machen suchen, was eben möglich war. Im Erdgeschoß befanden sich die Verwaltungsräume und die meisten der etwa 20 Abteilungen der Bücherbestände in denkbar gedrängtester Aufstellung. Auch Handschriften, Inkunabeln und andere Seltenheiten waren hier untergebracht. Im mittleren Stockwerk befanden sich noch keine Bücher oder sonstige Einrichtungsgegenstände. Im obersten Geschoß waren eine Anzahl Zimmer ganz oder teilweise mit Büchern schon gefüllt. Dort befanden sich die Abteilungen Mathematik, Kriegswissenschaft, ferner zahlreiche Zeitschriften, fast sämtliche Dubletten und eine große Anzahl von geschenkten und bisher noch nicht katalogisierten Büchern, auch viele Zeitungen, z. B. die Augsburger (Münchener) allgemeine Zeitung vom 1. Bande ab bis in die letzten Jahre hinein, lange Reihen der Kölnischen Zeitung, des Reichsanzeigers u. a., endlich auch die von dem Reichsminister a. D. Dr. Rosen früher geschenkte Rosensche Familienbibliothek. Auf dem Dachboden endlich standen die Abteilungen Medizin, Naturwissenschaft, Landwirtschaft und die Reichstagsverhandlungen, sowie die Offizierbibliothek des früheren Detmolder Regiments Nr. 55.
Der Brand entstand am Nachmittage des 22. November augenscheinlich dadurch, daß einer der acht mächtigen Schornsteine des Gebäudes schadhaft geworden war, auf der Nordostseite des Dachbodens. Es stellte sich beim Niederreißen der Schornsteine heraus, daß, wie dies bei alten Gebäuden oft der Fall ist, die Balkenköpfe an manchen Stellen in die Schornsteinwand eingemauert waren. Der herrschende Ostwind trieb das Feuer nach Westen über das ganze Dach hin, und sehr bald schon, als noch Berufene und Unberufene aus dem obersten Stockwerke zu retten suchten, was möglich war, gab die Decke des Treppenhauses nach, stürzte auf die Treppe und riß diese mit in die Tiefe. Fast wunderbar ist es, daß die drinnen befindlichen Personen sich noch durch Leitern retten konnten, und daß diejenigen, die mit der brennenden Treppe abstürzten, mit dem Leben, ja mit verhältnismäßig geringen Verletzungen davon kamen. Die Feuerlöschvorrichtungen erwiesen sich bei der Höhe des Gebäudes und dem herrschenden Wassermangel als unzureichend. Die in den einzelnen Stockwerken befindlichen Hydranten gaben wohl Wasser, aber es fehlte der nötige Druck. So kam es, daß, trotzdem die Detmolder freiwillige Feuerwehr und eine Abteilung der Bielefelder städtischen Feuerwehr ihr Möglichstes taten, nicht nur das ganze Dachgeschoß, sondern sehr bald auch schon das dritte Stockwerk in Flammen stand. Und damit nicht genug, sogar das mittlere Stockwerk brannte aus, und auch die starke Holzdecke des Erdgeschosses hielt in einem Raume nicht stand. Es war ein Glück, daß sehr bald schon daran gegangen wurde, wenigstens das Erdgeschoß anszuräumen. Lange Ketten wurden gebildet, durch die Bücher, Kunstgegenstände, Mappen, Handschriften, Inkunabeln, Bilder und Büsten, nicht zuletzt auch die Kataloge teils in die Nebengebäude, teils in das gegenüber liegende, zufällig leer stehende Gebäude der bisherigen staatlichen Forstdirektion, teils auch in die ebenfalls gegenüberliegende Turnhalle des Gymnasiums mit vielem Eifer und oft wirklich großer Sorgfalt in Sicherheit gebracht wurden. Mit Anbruch der Dunkelheit etwa war dem Fortschreiten des Feuers so ziemlich Einhalt getan. Am andern Tage wurden die noch nicht in Angriff genommenen Räume ebenfalls geleert.
Ein besonders glücklicher Zufall war es, daß das bisher von der Lippischen Forstdirektion inne gehabte Gebäude sofort der Bibliothek durch den derzeitigen Besitzer, Fabrikbesitzer Alex Hofmann, in hochherziger Weise kostenfrei zur Verfügung gestellt wurde. So erhielt die Bibliothek sofort wenigstens ein vorläufiges Heim, das mit möglichster Beschleunigung für ihre Zwecke hergerichtet wurde. Freilich reichen die Räume bei weitem nicht zur Aufnahme so großer Büchermassen aus, so daß ein großer Teil der Bibliothek noch in einem Saale eines der beiden Nebengebäude des bisherigen Bibliotheksgebäudes, der bisher noch vom Museum benutzt war und nunmehr geräumt wurde, untergebracht werden mußte. Es ist freilich ein arger Notbehelf, aber man muß froh sein, daß man auf diese Weise sämtliche Bücher unter Dach und Fach hat, wenn auch an zwei verschiedenen, glücklicherweise nicht weit voneinander gelegenen Stellen. Die nächste Aufgabe, die schon ziemlich weit fortgeschritten ist, und bei der namentlich die Detmolder Seminaristen und die Schuler der oberen Klassen des Gymnasiums und der Oberrealschule eifrige Mitarbeiter sind, ist die Entwirrung der wüsten Bücherhaufen und die Neuaufstellung der Bestände. Dann erst kann daran gegangen werden, die Verluste an der Hand der glücklicherweise erhalten gebliebenen Kataloge (nur von den Gießener Kapseln sind einzelne zerstört oder die Katalogzettel durcheinander geworfen) genau festzustellen. Der Ausleihebetrieb kann freilich vor der Hand nur in unvollkommener Weise wieder aufgenommen werden.
Am Tage nach dem Brande, der in allen Kreisen Lippes die größte Teilnahme auslöste, wurden sofort auf Veranlassung des Landespräsidiums die nötigen Schritte unternommen, um den Wiederaufbau der Bibliothek in die Wege zu leiten. Ein großer Ausschuß wurde gebildet, um in der Oeffentlichkeit zu Spenden für den Neubau anzuregen. Zugleich bildete sich eine „Vereinigung der Freunde der Lippischen Landesbibliothek“, die dasselbe Ziel verfolgt, aber auch späterhin noch der Bibliothek helfend zur Seite stehen will. Denn, wenn auch vorauszusehen ist, daß der Landtag für den Neubau alles bewilligen wird, was irgendwie in den Kräften des kleinen Staates steht, so sind die Verluste doch so groß, daß private Hilfstätigkeit nicht zu entbehren ist. Und tatsächlich sind auch schon von vielen Seiten große und kleine Spenden zu diesem Zwecke eingegangen. Ich möchte hoffen und wünschen, daß im ganzen deutschen Vaterlande auch die Bibliotheken und die Bibliothekare in echtem Gemeinschaftsgefühle sich an dem Hilfswerke beteiligen.
Ueber den erforderlichen Neubau steht noch nichts Genaues fest. Wie stets bei solchen Gelegenheiten, werden verschiedene Pläne eifrig erwogen. Zunächst der Plan einer eventuellen Instandsetzung des bisherigen Gebäudes für Bibliothekszwecke. Hierzu zeigt sich mit Recht am wenigsten Neigung, da die Lage des Gebäudes am Ende der Stadt und weit ab vom Bahnhofe wenig günstig ist, und da auch außerdem das Gebäude der Fensterstellung wegen für den Einbau moderner Büchergeschosse so ungeeignet wie möglich ist. Das Hans aber mit seinen hohen Stockwerken wieder in der bisherigen Weise für Bibliothekszwecke nutzbar machen zu wollen, wäre denn doch geradezu unsinnig. Ein zweiter Plan ist der, einen noch frei liegenden, schmalen Geländestreifen in dem von dem Regierungsgebäude, der Landesbank, dem Landtagsgebäude und dem Landgerichtsgebäude gebildeten Häuserblock zur Errichtung der Bibliothek zu verwenden. Dabei würde das neue Gebäude weder selbst genügend Licht haben, noch den anderen dort schon stehenden Gebäuden genügend Licht lassen. Außerdem wäre nicht genug Platz für ausreichende Lese- und Verwaltungsraume vorhanden. Endlich fehlte für die Zukunft jede Erweiterungsmöglichkeit, und zu allerletzt würde die Feuersicherheit infolge der unmittelbaren Nähe der anderen Gebäude nur sehr gering sein. Und da nun die Kosten dieses Projektes nicht einmal erheblich geringer sind, als die Kosten eines Neubaues auf einem frei gelegenen Platze, so ist zu hoffen, daß man sich zu einem völligen Neubau entschließen wird. Für einen solchen hat sich auch schon unser erfahrener Kollege Keysser, den man um ein Gutachten anging, mit großer Entschiedenheit ausgesprochen.* Ein schöner, in staatlichem Besitz befindlicher Bauplatz in bester Lage, zwischen Theater und Dresdner Bank, ist vorhanden. Hoffentlich kommt es dazu, daß dieses Projekt zur Ausführung gelangt.
Endlich noch ein Wort über die Folgerungen, die aus dem verhängnisvollen Ereignis zu ziehen sind. Es handelt sich dabei um zweierlei.
Der Brand zu Detmold hat deutlich wieder einmal gelehrt, welchen Gefahren eine Bibliothek ausgesetzt ist, wenn sie in einem nicht dafür nach modernen Grundsätzen aufgeführten Gebäude Unterkunft gefunden hat. Noch heute aber finden wir in deutschen Landen Bibliotheken in alten Schulen oder Schlössern untergebracht, deren bauliche Beschaffenheit die in ihnen untergebrachten Schätze mit den größten Gefahren bedroht. Möge das Detmolder Unglück Veranlassung geben, daß überall an solchen Stellen die nötigen Vorsichtsmaßregeln getroffen, daß vor allem die Schornsteine in gutem Stande erhalten, und hölzerne Treppen durch steinerne ersetzt werden, falls die Sammlung nicht an einem sichereren Orte aufbewahrt werden kann.
Dann noch ein anderes. Durch den Brand sind wohl zehntausend Bände vernichtet worden, die durch Schenkung im Laufe der letzten 15-16 Jahre an die Bibliothek gelangt, aber aus Mangel an Arbeitskräften noch nicht katalogisiert, ja sogar nur zum kleinen Teil in die Zugangsverzeichnisse eingetragen worden waren. Alle meine wiederholten Bemühungen, zur Katalogisierung dieser Bestände die nötigen Arbeitskräfte zu erhalten, scheiterten an unüberwindlichen Widerständen. Diese unentschuldbare Versäumnis hat sich nun bitter dadurch gerächt, daß für die zu Grunde gegangenen Bücher keinerlei Entschädigung seitens der Feuerversicherung beansprucht werden kann. Möge auch dies zur Warnung und Mahnung dienen, wo es nötig ist!
(*) In einem Aufsatz in der Lippischen Landeszeitung Nr. 18 vom 21. Januar 1922 tritt Bibliotheksdirektor a.D. Prof. Dr. A. Keysser dafür ein, die Bibliothek weder als Anbau an das Staatsarchiv noch als Wiederaufbau des abgebrannten Gebäudes, sondern als vollkommenen Neubau auf einem der vorhandenen freiliegenden Bauplätze, etwa in der Nähe des Theaters, wieder erstehen zu lassen. (Red.)