Die Kunstsammlung der öffentlichen Bibliothek

von Otto Preuß

In: Beilage zu Nr. 156 der Lippischen Landeszeitung 1884 vom 5. Juli.

Hier online: https://digitale-sammlungen.llb-detmold.de/llb/periodical/pageview/5478061

Die bildende Kunst war bisher in unserer öffentlichen Bibliothek nur ziemlich dürftig vertreten. Für das Studium der Theorie und Geschichte der schönen Künste war allerdings durch eine Reihe der besten älteren und neuern, zum Teil mit Illustrationen versehener Werke gesorgt, aber die Anschaffung von einzelnen Kunstsachen in Nachbildungen der Meisterwerke der plastischen und zeichnenden Künste lag eigentlich außerhalb des Planes des Instituts. Erst in neuerer Zeit sind die Räume der Bibliothek durch ein Dutzend Micheli’scher Gipsabgüsse der schönsten Büsten des Altertums und einiger moderner Porträtbüsten so wie durch Abformungen einzelner Gefäße des Hildesheimer Silberfundes in Eisen- und Zinkguß geschmückt. Außerdem zählte dieselbe schon zu ihrem alten Besitzthume neben einem Vorrate seltener alter Drucke mit Bilderschmuck von Holzschnitt und Kupferstich, z.B. der Schedel’schen Chronik von 1493, dem Theuerdank von 1519, den Hulsius’schen und de Bry’schen Reisen etc., einen Folioband mit einer Sammlung seltener und kostbarer Radierungen von Adrian van der Velde, Paul Potter, Mark de Bye, Boetius Bolwert und anderen niederländischen Meistern des 16. und 17. Jahrhunderts in vortrefflichen Abdrücken, von Galeriewerken Rattier’s galérie du Luxembourg, Prestel’s Nachbildungen der v. Prannschen Sammlung, Pigage’s Düsseldorfer Galerie, so wie die Kunstbücher von Abr. Bloemart, Bern. Picart etc., eine Reihe architektonischer Kupferwerke und ferner eine Mappe mit einer Anzahl einzelner wertvoller Kupferstiche von Edelink, Masson, Rob. White etc. An diese letzteren Blätter hat die Bibliothkesverwaltung angeknüpft, indem sie seit längeren Jahren bemühet gewesen ist, durch gelegentliche Ankäufe auf Kunstauktionen das Vorhandene zu einer kleinen Kupferstichsammlung zu erweitern, welche in einer Anzahl charakteristischer Stiche den Entwickelungsgang der vervielfältigenden Kunst nachweisen sollte. Die in zwei Mappen verteilte, einstweilen noch nicht nach den Schulen, sondern alphabetisch nach den Namen der Stecher geordnete Sammlung erreichte freilich diesen Zweck bisher nur in sehr bescheidenem Maße, da von dem Ankaufe der seltenen älteren und der kostbaren größeren Blätter der modernen Meister der hohen Preise wegen Umgang genommen werden mußte. Doch war auch so schon in dieser, mit Einschluß einiger älterer Holzschnitte und Radierungen gegen 200 Blätter zählenden Sammlung wenigstens die Mehrzahl der bedeutenderen Meister des Grabstichels der verschiedenen Schulen von Albrecht Dürer’s Zeit an durch das eine oder andere, die Manier des Stechers kennzeichnende Blatt, soweit ein solches mit minderem Kostenaufwande zu erlangen gewesen, vertreten. Außerdem fand der Kunstfreund auf der Bibliothek noch die Lippert’sche Daktyliothek mit ihren in drei kleine Schränke geordneten schönen Gipsabgüssen von Gemmen und außerdem noch ein in mehreren hundert Blättern bestehendes antiquarisches Album mit Originalzeichnungen lippischer Künstler, darstellend die baulichen Altertümer unseres Landes samt Inschriften etc.

Dieser bereits vorhandene Vorrat von Kunstachen hat nun vor Kurzem einen sehr erfreulichen Zuwachs erhalten, indem eine Detmolderin, die verst. Witwe des Hofjägermeisters von Donop in patriotischer Gesinnung sich veranlaßt gefunden hat, neben der Bibliothek des Letzteren auch die von demselben während einer langen Reihe von Jahren gesammelten artistischen Schätze letztwillig der öffentlichen Bibliothek zu überweisen. Da dieselben damit jetzt dem kunstliebenden Publikum zugänglich gemacht sind, so liegt es wol in dessen Interesse, über die Gegenstände des Legats in diesem Blatte eine kurze Auskunft zu erhalten.

Am wenigsten reichhaltig ist der neue Erwerb an plastischen Kunstsachen. Nur einige kleine Schnitzwerke in Holz und Elfenbeinmasse, ein Par Alabaster- und Gipsfiguren und eine Anzahl hübscher Vasen sind vorhanden, dagegen keine Nachbildungen antiker Bildwerke.

Auch die Anzahl der Ölgemälde ist nicht groß, sie besteht nur aus 18 größeren und kleineren Bildern, aber darunter sind mehrere wertvolle Stücke. Es finden sich neben den beiden großen Landschaften zweier lippischer Künstler schöne Kopien des Bildes der h. Jungfrau mit dem Christuskinde aus der Dresdener Sixtinischen Madonna, der Rafaelschen Madonna di Loretto und der büßenden Magdalena von Vattoni, ferner je zwei Landschaften von Franz Michelis und Karl Aubel, eine Vedute von Heinr. Crola, eine Ansicht des Innern der Markuskirche in Venedig von einem nicht genannten Meister und zwei weibliche Bildnisse, das eine von Jos. Stieler, das andere von dessen Sohne.
An die Ölgemälde reihen sich drei Bilder der neueren Glasmalerei, von denen das der Rafaelschen Madonna della sedia in seiner leuchtenden Farbenpracht den Beweis giebt, bis zu welchem Grade der Vollkommenheit diese neuerweckte Art der alten Kunst in München es gebracht hat.

Einen ziemlichen Reichtum enthält das Legat an Original-Handzeichnungen und Aquarellen neuerer Meister. Den ersten Platz nimmt hier ein großer, von früherem Besitzer für 1800 M angekaufter Originalkarton Lessing’s ein, der erste Entwurf in Kohlezeichnung zu dem später vom Künstler ausgeführten, jetzt im Berliner Nationalmuseum befindlichen Gemälde: Huß auf dem Gange zum Scheiterhaufen. Von Düsseldorfer Künstlern sind durch sehr hübsche Aquarelle aus dem Landschafts- und Genrefache ferner vertreten: Andreas Achenbach, Scheuren, Aug. Weber, Vautier, Mevius, Gust. Süs u. A. Außerdem finden sich zwei Vedutenskizzen in Wasserfarben von Karl Rottmann, eine saubere Bleifederzeichnung von Theodor Mintrop, eine solche von Joh. Adam Klein, ein reizendes Aquarell des Bremer Meier und einige Genrebilder französischer Künstler, ebenfalls Aquarelle. Aus älterer Zeit sind zwei als Originale bezeichnete Blätter vorhanden: ein Jagdstück in Bleifederzeichnung von Lukas Cranach und die farbige Skizze einer Eberjagd von Franz Snyders, dem Freunde und Gehülfen des großen Peter Paul Rubens.

Sehr erfreulich ist ferner die Ergänzung, die die vorhin erwähnte kleine Kupferstichsammlung durch mehr als hundert teils in Mappen befindlicher, teils eingerahmter, viel Wertvolles bietender Bläter erhalten hat. Allerdings ist es dem früheren Besitzer beim Erwerbe dieser Blätter nicht gerade auf Anlegung einer systematischen Sammlung abgesehen gewesen, als solche würde das Vorhandene sehr lückenhaft sein – einzelne hervorragende Meister sind gar nicht vertreten, aus der englischen Schule ist kein Blatt, weder ein Strange noch ein Woollet, vorhanden. Aber es finden sich dafür von einer Reihe der ersten Meister der italienischen, deutschen und französischen Schule einzelne ihrer Hauptblätter in guten, teilweise vorzüglichen Abdrücken, welche zeigen, daß der Sammler bei der Wahl der angeschafften Blätter mit Geschmack zu Werke gegangen und durch Rücksichten auf den Kostenpunkt nicht beschränkt gewesen ist. Als einige Stiche ersten Ranges in Linienmanier, die in den hier vorhandenen Abdrücken jeder Kunstsammlung zur Zierde gereichen würden, sind zu nennen: Friedrich Müller’s Sixtinische Madonna, Rafel Morghen’s Abendmal nach Leonardo da Vinci, Toschi’s beide gleich meisterhafte Stiche der Kreuztragung (lo spasimo di Sicilia) nach Rafael und der Kreuzabnahme nach Daniele die Volterra, Desnoyer’s Belle jardinière nach Rafael, Longhi’s Madonna del velo nach dems., Garavaglia’s Magdalena nach Carlo Dolie, und aus neuerer Zeit: Jos. Keller’s Disputa nach Rafael’s Stanzenbilde, Merz’s Zerstörung Jerusalems nach Kaulbach, Abbema’s Stiche nach Lessing’s Landschaften, sowie schöne Stiche von Barthelmeß, Staug, Dinger, Forster, Lefèvre, Mandel u. A. Spärlicher sind die Blätter aus älterer Zeit, aus der der sogenannten peintres-graveurs, wo Maler und Stecher noch in einer Person vereinigt waren, doch hat auch hier die Sammlung einige Radierungen Dürer’s, Rembrandt’s, Rubens’, van Dyck’s, Ruysdael’s etc. aufzuweisen, darunter sind freilich mehrere Blätter, hinsichtlich derer die Echtheit zweifelhaft, oder Abdruck und Erhaltung minder gut ist. Aus dem vorigen Jahrhundert ist Ridinger durch zahlreiche Jagdstücke, Wille nur durch einige Blätter mittelmäßigen Abdrucks vertreten.

Auch von photographischen Nachbildungen einzelner älterer und neuerer Gemälde ist ein ziemlicher Vorrat vorhanden, so wie ferner eine Mappe mit zahlreichen Porträts.

Aus diesen einzelnen Blättern enthält aber unser Legat auch noch eine große Reihe, zum Teil kostbarer illustrierter Werke und Kunstbücher. Zu den ersteren zählen manche der Reise- und Länderbeschreibungen „in Wort und Bild“ wie die Neuzeit sie uns gebracht, zu den Kunstbüchern, in denen der Text, wo er überhaupt vorhanden, nur Nebensache bildet, gehören das große König-Ludwigs-Album, Stieler’s Münchener Schönheitensammlung, Scheuren’s große Rheinbilder, die Dresdener Galerie in Hanfstängel’s großen Photographien, die Kunstbücher von Genelli, Rethel, Schwind, Ludwig Richter und viele andere Bände und Hefte, in denen die verschiedenen Arten der reproduzierenden Kunst gleichmäßige Anwendung gefunden haben.

Es ergiebt sich schon aus diesem, nur Einiges des Wichtigeren herorzuhebenden Ueberblicke, daß die Bibliothek allen Anlaß hat, zu dem von Donop’schen Vermächtnisse sich Glück zu wünschen. Zu bedauern ist dabei nur das Eine, daß die beschränkten Räume derselben die Aufstellung des neuen Erwerbs in einer dem kunstsinnigen Publikum genügend zu Statten kommenden Art so schwierig machen. Da die Erweiterung des bisherigen Lokals unthunlich ist und auf die Herstellung eines besonderen Bibliotheksgebäudes noch wol fürs Erste keine Aussicht sein wird, so hat die Bibliotheksverwaltung einstweilen sich bemühet, doch auch so schon wenigstens das Beste der Kunstsachen den Besuchern der Bibliothek vor Augen zu führen. Die Ölgemälde haben vorläufig an den Wänden des Treppenhauses einen erträglichen Platz gefunden, wenn auch die Beleuchtungsverhältnisse hier Einiges zu wünschen übrig lassen. Von den eingerahmten Kupferstichen für die kein freier Wandraum zur Verfügung stand, ist ein Dutzend der schönsten auf Staffeleien aufgestellt, vor denen der Beschauer um so besser den seinem Auge gerechten Standpunkt wählen kann und so beim Betrachten einiger Perlen der Kupferstecherkunst in Linienmanier Gelegenheit hat, sich zu überzeugen, wie mit solchen Meisterwerken des Grabstichels mit vollendeter Technik keine andere Art der vervielfältigenden Kunst sich zu messen vermag – weder mittelmäßige Ölkopien, und nur für solche reichen ja gewöhnliche Mittel aus, noch Öldrucke, Schwarzkunstblätter, Steindrucke und Photographien sind geeignet, dem Freunde der Kunst den Anblick des Originals in gleicher Weise zu ersetzen, wie derartige Stiche, in denen der Meister in selbständiger künstlerischer Leistung, nicht bloß die Formen, die Zeichnung, sondern auch das Kolorit, den malerischen Eindruck des Gemäldes in den Bereich der Aufgabe des Grabstichels ziehend, die Leistungen der höheren Kunst wiederzugeben gewußt hat.

Was die nicht eingerahmten einzelnen Kunstblätter anlangt, so bleibt es hinsichtlich ihrer für eine öffentliche Sammlung immer am schwierigsten, hier die Rücksicht auf die Erhaltung der Blätter – nirgends gilt ja mehr wie bei ihnen das oculis, non manibus – mit dem Anspruche des kunstsinnigen Publikums darauf zu vereinigen, daß auch diese Schätze nicht in den Mappen vergraben werden, sondern der allgemeinen Anschauung zu Teil werden. Die Bibliotheksverwaltung hat dieser zwiefachen Rücksicht durch Aufstellung einer Reihe von flachen Holzkästen mit Glasscheiben zu genügen gesucht, in denen schon jetzt eine Anzahl der schönsten Aquarelle und Kupferstiche dem Auge der Besucher zugänglich gemacht ist. Durch einen von Zeit zu Zeit vorzunehmenden Wechsel dieser Blätter, bei dem auch die ältere Kupferstichsammlung und der Inhalt des antiquarischen Albums herangezogen werden können, ist die Möglichkeit gegeben, wenigstens das Beste der Sammlungen successiv dem Kunstfreunde zur Anschauung zu bringen. Vielleicht ist es thunlich, die Zahl dieser Behälter demnächst noch zu vermehren und dann beim Wechsel der darin auszustellenden Blätter eine einigermaßen systematische, dem Gange der Kunstentwicklung nachgehende Reihenfolge eintreten zu lassen, um dadurch die Erweckung und Bildung des Sinnes für Kunst auch in weiterem Kreise förderlich zu werden.

Wünschenswert wäre es allerdings bei alle dem, wenn das, was von Kunstsachen in der Bibliothek bereits vorhanden ist, aus der jetzigen Zerstreuung zwischen den Bücherrepositorien gesondert und zu einem Kunstkabinette, zu dem ja nun schon ein bescheidener Grund gelegt ist, vereinigt werden könnte. Darauf wird jedoch wol erst künftig einmal bei der hoffentlich in nicht mehr allzu ferner Zeit bevorstehenden Herstellung eines eigenen Bibliotheksgebäudes Bedacht genommen werden können, sei es, daß man ein solches Kabinett auch ferner als eine Abteilung der Bibliothek bestehen ließe, sei es, daß man bei der Errichtung eines auschließlich die Pflege des Kunstsinnes bezweckenden selbständigen kleinen Museums ins Auge fassen und in dieses das inzwischen in der Bibliothek Gesammelte überführen wollte.

Freilich werden auf alle Fälle für ein solches nicht gerade realen Bedürfnissen dienendes, sonder mehr idealen Zielen gewidmetes Institut nach unsern Verhältnissen die öffentlichen Mittel immer nur spärlich fließen, und dasselbe würde, selbst wenn es auf die Anschaffung von Originalkunstwerken verzichtete und mit gutem Nachbildungen sich begnügte, auch so für seinen Zuwachs darauf angewiesen bleiben, daß ihm ferner seitens heimischer Besitzer von Kunstschätzen in ähnlicher Weise Liberalitäten zu Teil werden, wie jetzt durch eine solche eine schöne Reihe derartiger Schätze den Wechselfällen des Privatbesitzes entzogen, vor Zersplitterung bewahrt und dem Kunstgenusse in so viel erweitertem Kreise zugänglich gemacht ist.

Anmerkung des Jahres 2017:

Die dort genannten 18 Gemälde sind laut dem Eingangsbuch des Landesmuseums 1897 in dessen Sammlung übergegangen ebenso wie Lessings Zeichnung „Huß vor dem Scheiterhaufen“.