200 Jahre Grimms Märchen 2: Brüder Grimm, Leben und Werk

Doppelporträt Wilhelm und Jacob Grimm. Radierung von Ludwig Emil Grimm, 1843. Das berühmte Bild zeigt die beiden Grimms im Profil zu Beginn ihrer Berliner Zeit. Aus: Die Brüder Grimm. Dokumente ihres Lebens und Wirkens. Hg. von Dieter Hennig und Bernhard Lauer. Kassel 1985. Signatur CPMG 126-1.

Zeittafel

nach Hermann Gerstner, Brüder Grimm (CPMG 111), mit Ergänzungen.

1785 4. Januar: Jacob Grimm geboren in Hanau.

1786 24. Februar Wilhelm Grimm geboren in Hanau.

1798 Jacob und Wilhelm Schulbesuch in Kassel.

1802-1805 Jacob studiert Recht an der Universität Marburg, bleibt ohne Abschluss.

1803-1806 Wilhelm studiert ebenfalls Recht in Marburg.
Die Grimms lernen in Marburg den Rechtshistoriker Friedrich Carl von Savigny kennen, der sie mit Vertretern der Deutschen Romantik bekanntmacht, unter anderem mit seinem Schwager Clemens Brentano. Über Savigny beginnen sie sich für philologische Fragen zu interessieren. Sie arbeiten anonym an von Arnims / Brentanos Des Knaben Wunderhorn mit.

Wilhelm Grimm, „ad viv. Göttingen im Herbst 1837“. Aquarell des Bruders Ludwig Emil Grimm. Das Bild zeigt Wilhelm im akademischen Talar. Aus: Die Brüder Grimm. Dokumente ihres Lebens und Wirkens. Hg. von Dieter Hennig und Bernhard Lauer. Kassel 1985. Signatur CPMG 126-1.

1805 Jacob reist zum erstenmal nach Paris.

1806 Wilhelm besteht sein Jura-Examen. Die Brüder beginnen mit dem Sammeln von Sagen und Märchen.

1806-1807 Jacob Sekretär beim hessischen Kriegskollegium.

1808 Jacob wird bei König Jerome in Kassel Bibliothekar.

1809 Jacob wird Auditor beim Staatsrat.

1811 Die ersten Buchveröffentlichungen: Jacob Über den altdeutschen Meistergesang, Wilhelm übersetzt altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen.

1812 Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 1. Band. Aufl. 900 Ex. 475 Seiten, Oktav, kostete 1 Taler 18 Groschen. Enthält 86 Märchen, einige unterteilt, so dass 100 Stücke herauskommen.

1813 Der hessische Kurfürst kehrt nach der Völkerschlacht bei Leipzig nach Kassel zurück, Jacob wird hessischer Legationssekretär.

1814 Jacob als junger Diplomat in Paris und Wien; Wilhelm Bibliothekssekretär in Kassel.

1815 Jacob auf dem Wiener Kongreß und zum drittenmal in Paris; Wilhelm reist an den Rhein. Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 2. Band. Aufl. 1.100 Ex.

1816 Jacob zum Bibliothekar in Kassel ernannt. Brüder Grimm: Deutsche Sagen, 1 Teil.

1818 Brüder Grimm: Deutsche Sagen, 2. Teil.

1819 Jacob Grimm: Deutsche Grammatik, 1. Teil.
Jacob und Wilhelm erhalten von der Marburger Universität die Ehrendoktorwürde.

1822 Jacob Grimm: Deutsche Grammatik, 1. Teil, 2. Aufl.

1823-1826 Erste englische Übersetzung der Kinder- und Hausmärchen erscheint.

1825 Wilhelm heiratet Henriette Dorothea (Dortchen) Wild.

1828 Jacob Grimm: Deutsche Rechtsaltertümer.
Jacob Ehrendoktor der Universität Berlin, Wilhelms Sohn Herman geboren.

1829 Wilhelm Grimm: Die deutsche Heldensage.
Die Brüder verlassen den hessischen Bibliotheksdienst und werden nach Göttingen berufen.

1830 Jacob Bibliothekar und ordentlicher Professor, Wilhelm Bibliothekar in Göttingen.

1831 Wilhelm außerordentlicher Professor.

1835 Wilhelm ordentlicher Professor.
Jacob Grimm: Deutsche Mythologie.

1837 Ernst August II. König von Hannover; gegen seinen Verfassungsbruch protestieren die „Göttinger Sieben“; Entlassung der Brüder Grimm aus dem Staatsdienst; Jacob wird des Landes verwiesen und zieht wieder nach
Kassel.

1838 Jacob reist nach Franken und Sachsen; Wilhelm geht mit seiner Familie ebenfalls nach Kassel zurück; Plan zum Deutschen Wörterbuch.

1840 Jacob Grimm: Weistümer 1. und 2. Teil.
Die Brüder Grimm erhalten einen Ruf nach Berlin.

1841 Jacob und Wilhelm ziehen nach Berlin; dort halten sie an der Universität ihre ersten Vorlesungen.

1842 Jacob erhält den Orden Pour le mérite.

1846 Jacob leitet in Frankfurt a. M. die erste Germanistenversammlung.

1847 Jacob leitet in Lübeck die zweite Germanistenversammlung.

1848 Jacob Grimm: Geschichte der Deutschen Sprache.
Revolutionskämpfe. Jacob wird Abgeordneter im Frankfurter Parlament.
Er zieht sich von der Lehre zurück, um nur noch der Forschung zu leben.

1852 Auch Wilhelm gibt die Tätigkeit als Dozent auf und arbeitet wie Jacob nur noch als Forscher.

1854 Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch, 1. Band: A – Biermolke.

1859 16. Dezember. Wilhelm stirbt in Berlin.

1860 Deutsches Wörterbuch, 2. Band.

1862 Deutsches Wörterbuch, 3. Band.

1863 20. September. Jacob stirbt in Berlin.

Werke

Ihre Publikationstätigkeit begannen die Brüder Grimm zeitgleich im Jahr 1811. Jacob Grimm veröffentlichte seine „polemische Abhandlung“ (so der Verfasser in der Vorrede) Ueber den altdeutschen Meistergesang, Wilhelm Grimm seine Übersetzung Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen. Wilhelm Grimm verweist mit seiner Widmung an die Wunderhorn-Herausgeber Clemens Brentano und Achim von Arnim auf die romantische Bewegung und stellt damit sein Werk in deren Kontext, in dem auch die Märchen- und Sagensammeltätigkeit zu sehen ist. Jacob Grimms Abhandlung zeugt von seiner Auseinandersetzung mit der mittelhochdeutschen Literatur, die 1822 in seine Formulierung der „Ersten Lautverschiebung“ führte – in angelsächsischen Ländern heute noch als „Grimm‘s Law“ bezeichnet.

13
Ueber den altdeutschen Meistergesang, von Jacob Grimm. Göttingen: Dieterich, 1811.
Signatur: Lg 355

14
Altdänische Heldenlieder, Balladen und Märchen, übersetzt von Carl Wilhelm Grimm, Heidelberg: Mohr und Zimmer, 1811.
Signatur: F 1277

Der Märchen-Sammlung ließen die Grimms eine Sammlung Deutsche Sagen direkt folgen, der erste Band erschien 1816, der zweite 1818. In der Vorrede definierten die Sammler, die Sage sei „historischer“ als das Märchen, sie habe „noch das Besondere, daß sie an etwas Bekanntem und Bewußtem hafte, an einem Ort oder einem durch die Geschichte gesicherten Namen. Aus dieser ihrer Gebundenheit folgt, daß sie nicht, gleich dem Märchen, überall zu Hause sein könne“. Das mag auch erklären, warum die Sammlung zu Lebzeiten nicht wieder aufgelegt wurde – das Werk eignete sich nicht zum Volks- und Hausbuch, sondern blieb wissenschaftlich. Lesern wird der dokumentarische Charakter der Sammlung an den Quellenangaben zu Beginn jeden Texts angezeigt.

15
Deutsche Sagen. Herausgegeben von den Brüdern Grimm. Berlin: Nicolai, Bd. 1, 1816, Bd. 2, 1818.
Signatur: D 134

Nr. 16
Die „Deutschen Rechtsalterthümer“ schrieb Jacob Grimm, um sich „von der langen grammatischen Arbeit“ zu erholen, wie es in der Vorrede 1828 heißt. Das Werk ist eine „antiquarische“, an historischen Quellen orientierte, systematische Zusammenstellung überlieferter Rechtsgebräuche und -ordnungen. Jacobs Interesse ist nicht nur rechtshistorischer, sondern auch volkskundlicher und sprachhistorischer Natur. Die Sitten und Gebräuche geben implizit Auskunft über Weltbilder und Leitvorstellungen, ihre sprachliche Ausformung ist ein Zeugnis historischen Sprachgebrauchs. Als er in Göttingen Professor wurde, las Jacob über das Thema; der Detmolder Otto Preuß, späterer geheimer Justizrat und, im Nebenamt, Direktor der Fürstlich öffentlichen Bibliothek zu Detmold, besuchte die Vorlesung 1837.

Nr. 17, Titelseite

Nr. 17, Beginn der Mitschrift
16
Deutsche Rechtsalterthümer. Von Jacob Grimm. Göttingen: Dieterich, 1828.
Signatur: R 2583 (1828)

17
Deutsche Rechtsalterthümer. Vorgetragen vom Hofrath J. Grimm, nachgeschrieben von OPreuss, stud. jur. Göttingen, Wintersemester 1836/37.
Signatur: Autogr. 41

Der Grimm: Das Deutsche Wörterbuch

Das Deutsche Wörterbuch erschien in von 1852 (erste Lieferungen) bis 1961. Die Vorarbeiten begannen nach der Entlassung der Grimms in Göttingen 1838 auf Initiative der Verleger Karl August Reimer und Salomon Hirzel, die damit zugleich den einkommenslosen Grimms einen Lebensunterhalt boten. Schon im November 1838 hatten die Grimms 30 Mitarbeiter und Zuträger gewonnen; als Ziel formulierten sie, das Wörterbuch solle „von Luther bis auf Goethe den unendlichen Reichtum unserer vaterländischen Sprache, den noch niemand übersehen und ermessen hat, in sich begreifen.“ Das Neue an ihrer Konzeption war, jede verzeichnete Wortverwendung und -bedeutung durch Beispiele mit Belegen anzugeben.

Ursprünglich war ein Umfang von 4-7 Bänden und eine Bearbeitungszeit von ca. 8 Jahren vorgesehen. Aber erst 14 Jahre nach Aufnahme der Arbeiten konnten die ersten Lieferungen des ersten Bandes angekündigt werden. Die Veröffentlichung zielte nicht nur auf Gelehrte, sondern auch auf die Gebildeten. Die erste Auflage der ersten Lieferung (A – Allverein) betrug 5.000 Exemplare; weitere 5.000 wurden zu Werbezwecken gedruckt. Die achte, letzte Lieferungen des ersten Bandes erschienen 1854, der zweite Band „Biermörder – D“ 1860; der dritte „E – Forsche“ 1862. Bis zu seinem Tode 1863 arbeitete Jacob am Buchstaben F.

Das Erscheinungstempo ließ sich nach dem Tod der Grimms nicht beibehalten, und auch die Belege nahmen an Umfang zu. Im Auftrag des Verlages bearbeiteten einzelne Wissenschaftler meist nebenberuflich einzelne Buchstabenabschnitte. 1908 waren die Arbeiten bis zum Buchstaben S gediehen, als die Preußische Akademie der Wissenschaften in Berlin die Leitung übernahm. In Göttingen wurde eine Zentralsammelstelle für Belege eingerichtet. 1930-1960 arbeiteten dann hauptamtlich tätige Wissenschaftler, nach der deutschen Teilung in gemeinsamer Arbeit aus Ost und West, an der Fertigstellung. Der Umfang betrug schließlich 16 Bände in 32 Teilbänden.
Mit dem Erscheinen der Taschenbuchausgabe bei DTV (1984) und der CD-ROM bzw. frei zugänglichen Internet-Ausgabe ist „der Grimm“ nun den Interessierten jederzeit greifbar.

Seit 1965 wurde an einer Neubearbeitung gearbeitet. Diese zweite, partielle Neubearbeitung wird derzeit nicht weitergeführt; die bisher erschienenen Lieferungen sind in der Bibliothek benutzbar. Gegenwärtig wird daran gearbeitet, auch die zweite Bearbeitung im Internet zugänglich zu machen.

18
Deutsches Wörterbuch. Von Jacob und Wilhelm Grimm. Bd. 1 (1854) und 2 (1860).
Leipzig, Hirzel.
Signatur: Ph 343.4°

„Dies inconsequente verfahren ist unterträglich“: Grimmsche Rechtschreibung

Die konkreten Äußerungen über Fragen der Rechtschreibung stammen von Jacob Grimm. Das Deutsche Wörterbuch ist allerdings ein Gemeinschaftswerk, so dass man auch bei Wilhelm Grimm eine gewissen Nähe zu den Überlegungen seines Bruders vermuten dürfen wird. (Darstellung nach G. Michaelis)

In der Folgezeit beschäftigte sich Jacob, beeinflusst von seinen sprachgeschichtlichen Erkenntnissen, auch mit der unterschiedlichen Schreibweise gleichklingender Laute. Insbesondere ging es ihm um die Schreibung der gedehnten Vokale. Zur bestehenden Praxis heißt es im Deutschen Wörterbuch I, LV: „Dies inconsequente verfahren ist unerträglich“. Jacob diagnostizierte ebenda: „Das gebrechen ligt in unbefugter regellos schwankender häufung der vocale wie consonanten, wodurch die deutsche schrift einen breiten, steifen und schleppenden eindruck macht“.