Ausstellung

Heinrich von Kleist:

Prinz Friedrich von Homburg

Begleitausstellung zur Inszenierung im Landestheater Detmold
19.11.2010 bis 6.3.2011

Einführung

Der Prinz Friedrich von Homburg, vollendet im Juni 1811, ist Heinrich von Kleists letztes Stück. Der Dichter erschoss sich am 22.11.1811 am Ufer des kleinen Wannsees bei Berlin. Über die Gründe lässt sich nur spekulieren; beigetragen haben mag dazu die Tatsache, dass er als Dichter nicht die Annahme erfuhr, die er sich erhoffte. Zu seinen Lebzeiten wurden nur wenige Dramen aufgeführt; der Zerbrochene Krug fiel beispielsweise bei der Uraufführung 1808 in Weimar (unter Goethe) durch.

Biographische Daten

Einziges bekanntes authentisches Kleist-Porträt, gemalt von Peter Friedel 1801 im Auftrag des Dichters für seine Verlobte Wilhelmine von Zenge, die das Bild für „sehr ähnlich“ hielt – Kleist selbst fand, Friedel hätte ihn „ehrlicher“ malen sollen. Bildquelle: Siebert, S. 104

1777 in Frankfurt/Oder als Sohn einer preußischen Offiziersfamilie, die bis dahin 20 Generäle hervorgebracht hatte.
1792 Eintritt ins preußische Garderegiment in Potsdam als Offiziersanwärter, in der Folge Teilnahme an Kämpfen im Deutsch-Französischen Krieg.
1799-1800 Studium der Rechte in Frankfurt/Oder.
1801 Reise nach Paris, 1802 Reise in die Schweiz.
1802 Die Familie Schroffenstein (Drama) erscheint als erstes Werk – anonym
1804-1806 Anstellung im preußischen Staatsdienst in der Domänenkammer. Kleist hatte die Anstellung wegen Geldmangel erbeten. Er arbeitete zunächst in Berlin, dann in Königsberg.
1806-1807 Kleist wird auf der Reise von Königsberg nach Berlin von Franzosen wegen Spionageverdachts gefangengenommen. Das Lustspiel Amphitryon wird veröffentlicht.
1807-1809 Kleist gibt in Dresden die Zeitschrift Phöbus heraus, dort erscheinen einige Erstveröffentlichungen, z.B. das Drama Penthesilea, die Erzählung Die Marquise von O. und anderes.
1810-1811 Nach Dresden und Prag (Die Hermannsschlacht) geht Kleist wieder nach Berlin, um dort ab Okt. 1810 die Berliner Abendblätter herauszugeben – die erste täglich erscheinende Zeitung Berlins. Das Unternehmen ist anfänglich ein Erfolg, trotz der starken preußischen Zensur.

Kleists geschichtliche Folie: Die Schlacht bei Fehrbellin

Nr. 1: Schlachtfeld bei Fehrbellin

Im Dezember 1674 waren schwedische Truppen in die Mark Brandenburg einmarschiert: ein Ablenkungsmanöver, um Friedrich Wilhelm von Brandenburg zu zwingen, seine Truppen vom Oberrhein abzuziehen und dort die französischen Verbündeten zu entlasten. Der reagierte, indem er seine Truppen ins fränkische Winterquartier schickte, um dann im Sommer 1675 die Schweden in Brandenburg zu stellen. Nach den Gefechten bei Rathenow und Nauen trafen am 28. Juni 1675 bei Fehrbellin die bereits auf dem Rückzug befindlichen Schweden auf die preußischen Truppen. Je nach Darstellung standen 5.600 Preußen den 7.000 (schwedische Militärhistorie) oder 11.000-12.000 Schweden (deutsche Militärhistorie) gegenüber. Die Schweden wurden vernichtend geschlagen. Im Urteil der vaterländischen Militärgeschichtsschreibung ist dies der Beginn des preußischen Aufstiegs.

Nr. 3: Friedrich II. „der Große“, Kupferstich von D. Berger

Dies liest sich in Friedrichs II. Mémoires von 1746 so (in der deutschen Übersetzung von 1784):

„Wenig Feldherren haben sich eines Feldzugs, wie der bei Fehrbellin war, rühmen können. Der Kurfürst fass’t ein eben so grosses als kühnes Projekt, und führt es mit erstaunender Schnelligkeit aus. Er hebt ein im Standquartier liegendes Regiment Schweden auf, da Europa ihn noch in Franken glaubte, fliegt auf die Ebnen von Fehrbellin, woselbst sich seine Feinde zusammengezogen hatten, stelt ein mehr mit Mut als Klugheit gewonnenes Treffen wieder her, und schlägt mit einem weit schwächern und durch die Strapazen eines langen Marsches höchst abgematteten Kohre Kavallerie, eine zalreiche und furchtbare Infantrie, die sich durch ihre Tapferkeit das Reich und Polen unterjocht hatte. […] Diese eben so glänzende als tapfre Unternemung verdient’s, daß man Cäsar’s VENI, VIDI, VICI, darauf anwendet. Er war deretwegen von seinen Feinden gelobt, von seinen Unterthanen gesegnet, und seine Nachkommen rechnen von diesem berühmten Tage an die erste Staffel der Hoheit, welche das Haus Brandenburg nachgehends erreicht hat.“

Der Prinz von Homburg, oder: Preußische Mythenbildung

Stoff für Legenden bot die Schlacht genug. So soll Kurfürst Friedrich Wilhelm auf einem Schimmel in die Schlacht geritten sein. Als sein Stallmeister Froben bemerkte, dass dieses auffällige Reittier den Schweden das Zielen auf den Befehlshaber leicht machte, tauschte er unter einem Vorwand das Pferd mit seinem Herrn – um wenig später getroffen zu fallen.

Friedrich II. erzählt, wie der Prinz von Homburg, nachdem der Kurfürst ihm seine Vorhut anvertraut mit dem ausdrücklichen Befehl, keinesfalls anzugreifen, die Schweden in ihrem Feldlager aufspürt und sogleich angreift. Diese Schlacht wäre verloren gewesen, hätte nicht der Kurfürst rechtzeitig seine übrigen Truppen zur Hilfe herbeiführen können. Nach der Schlacht erhält der übereifrige Offizier eine Standpauke:

„[Der Kurfürst] verzieh dem Prinzen von Homburg, so leichtsinnig das Glük des ganzen Staats auf‘s Spiel gesezt zu haben, indem er zu ihm sagte: Solt ich Euch nach der Strenge der Kriegsgeseze richten, so hättet Ihr das Leben verwirkt; doch bewahre mich Gott, den Glanz eines so glüklichen Tages durch das Blut eines Prinzen zu verdunkeln, der eins der Hauptwerkzeuge meines Sieges gewesen ist.“

Auch in Karl Heinrich Krauses dreibändigem „Lesebuch für gebildetere brandenburgisch-preußische Jünglinge“ mit dem Titel „Mein Vaterland unter den hohenzollerischen Regenten“ findet sich im zweiten Band von 1802 eine Darstellung der Schlacht, die Friedrichs II. Darstellung als Quelle verwendet. Krause schmückt, seiner Zielgruppe gemäß, etwas aus. Dort werden die Motive des Landgrafen von Hessen-Homburg angegeben: aus „jugendlicher Hitze“ und „Begierde sich auszuzeichnen“ habe dieser voreilig angegriffen.

Kleist hat Krauses Werk gekannt; er hatte es von Januar bis März 1809 aus der Dresdener Bibliothek entliehen. Auch die „Mémoires“ oder „Denkwürdigkeiten“ Friedrichs II. dürften ihm vorgelegen haben.

„In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!“ oder: Napoleon in Berlin

Nach der Niederlage der Preußen gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt 1806 war „Ruhe die erste Bürgerpflicht“, als Napoleon in Berlin einzog. Im Juli 1807 wurde im Frieden von Tilsit ein Rumpfpreußen bestehen gelassen, alle Gebiet westlich der Elbe gingen verloren. Preußen war nun, gezwungenermaßen, Bündnispartner Napoleons. Erst nach dessen Rückkehr vom Russlandfeldzug 1812 war Preußen stark und Napoleon schwach genug für offenen Widerstand. Kleist – nicht zuletzt durch die Erfahrung seiner französischen Gefangenschaft 1806/7 – zum Patrioten geworden, sah in Napoleons Frankreich den Unterdrücker.

Kriegslied der Deutschen, von Heinrich von Kleist (1809)

Zottelbär und Panterthier
Hat der Pfeil bezwungen;
Nur für Geld, im Drathspalier,
Zeigt man noch die Jungen.

Auf den Wolf, soviel ich weiß,
Ist ein Preis gesetzet;
Wo er immer hungerheiß
Naht, wird er gehetzet.

Reinecke, der Fuchs, der sitzt,
Lichtscheu in der Erden,
Und verzehrt, was er stipitzt,
Ohne fett zu werden.

Aar und Geier nisten nur
Auf der Felsen Rücken,
Wo kein Sterblicher die Spur
In den Sand mag drücken.

Schlangen sieht man gar nicht mehr,
Ottern und dergleichen,
Und der Drachen Gräuelheer,
Mit geschwollnen Bäuchen.

Nur der Franzmann zeigt sich noch
In dem deutschen Reiche;
Brüder, nehmt die Keule doch,
Daß er gleichfalls weiche.

Das Gedicht blieb zu Lebzeiten unveröffentlicht – es wäre ohnehin nicht durch die Zensur gekommen.

„ein todeswürdiges Verbrechen“ – Zeitgenössische Bezüge

Kleist hat die Schlacht bei Fehrbellin in der Landschaft und den Truppenbewegungen nicht den historischen Berichten nachempfunden, sondern der von ihm als Augenzeuge erlebten Schlacht bei Aspern 1809 – als es den Österreichern gelang, Napoleon eine erste Niederlage beizubringen. Seine Hauptrolle, den Prinzen von Homburg, hat Kleist „mit Motiven aus den Insubordinationsfällen zweier Identifikationsfiguren des antinapoleonischen Widerstandes ausgestattet“ (E. Siebert).

Louis Ferdinand von Preußen (1772-1806)

Louis Ferdinand von Preußen, Gemälde von Jean-Laurent Mosnier, 1799

Er war ein Neffe Friedrichs des Großen, begabter Komponist und Soldat. Als Offizier führte er die „Avantgarde“ der Armee des Fürsten Hohenlohe, als Napoleon gegen die Saale vorrückte. Er entschied sich eigenmächtig, die vorrückenden Franzosen anzugreifen, um der Hauptarmee die Überquerung der Saale zu ermöglichen. Er fiel auf dem Rückzug. Theodor Fontane hat ihn in einem Gedicht gerühmt:

Sechs Fuß hoch aufgeschossen,
Ein Kriegsgott anzuschaun,
Der Liebling der Genossen,
Der Abgott schöner Fraun,
Blauäugig, blond, verwegen,
Und in der jungen Hand,
Den alten Preußendegen –
Prinz Louis Ferdinand.

Karl von François (1785-1855)

Nr. 7 Karl von François

François war als Offizier der im Frieden von Tilsit vorgeschriebenen Verkleinerung der preußischen Armee zum Opfer gefallen und entlassen worden. Er wollte sich der Württembergischen Armee anschließen. Eine hitzige Reaktion gegen einen vorgesetzten Offizier wurde ihm als Insubordination ausgelegt und er zum Tode verurteilt. Die Begnadigung (zu Festungshaft) erreicht ihn, nachdem ihm schon die Augenbinde für die Hinrichtung umgelegt worden ist.

Zeitgenössische Bezüge (2): Ferdinand von Schill und sein Freikorps

Ferdinand von Schill war ein preußischer Offizier, der die preußische Niederlage bei Jena und Auerstedt miterlebte und dort durch einen Säbelhieb auf den Kopf schwer verwundet wurde. Nachdem er sich erholt hatte, nahm er den Kampf gegen die Franzosen auf eigene Faust auf, indem er mit Erlaubnis des Königs vom Januar 1807 ein Freikorps anführte. Nach dem Frieden von Tilsit wurde er befördert.

Schill strebte weiter danach, gegen Frankreich zu kämpfen. Er sollte in den geplanten Aufständen 1809 eine führende Rolle spielen; nach der Niederlage Österreichs kamen die Pläne jedoch zum Erliegen. Schill entschied sich, gegen ausdrückliche Order, sein Regiment Anfang Mai 1809 in den Kampf zu führen, in der Hoffnung, dass ihr Beispiel in Deutschland den Funken der Auflehnung entfachen würde. Er fiel schließlich in Stralsund Ende Mai 1809, als seine 2.000 Soldaten gegen eine Armee aus etwa 6.000 Dänen, Niederländer und Franzosen unterlag. Wenige Kampfgenossen konnten sich retten, der Rest fiel oder wurde gefangengenommen; 11 Offiziere wurden nach Wesel verbracht und dort standrechtlich erschossen.

Nr. 8: Weseler Ehrenmal für die 11 hingerichteten Offiziere

Schill als Vorbild

Schill mag für Kleist vorbildhafte Züge gehabt haben: er war impulsiv wie Kleist selbst, nahm sein Schicksal in seine eigenen Hände und warf sein Leben für Preußen in die Waagschale. In seinem Kampf setzte er sich schließlich über die Zurückhaltung der Oberen hinweg – hier begegnet ein weiteres Mal das Moment der Insubordination, als Schill Anfang Mai 1809 die Rückkehr nach Berlin verweigert.

K. Müchler dichtete in Erinnerung an Schill (aus dem Anhang von Ausstellungsstück Nr. 8):

Nicht um mich, ihr theuren Streitgenossen, –
Weint‘ um ein entartetes Geschlecht!
Für das Höchste ist mein Blut geflossen;
Ich starb nicht als ein Tyrannenknecht.
[…]
Meine Brust durchglühten heilige Flammen;
Rächen wollt‘ ich edler Völker Schmach.

Der schwierige Weg des „Prinzen“ an die Bühne

Das Schauspielhaus in Berlin um 1825

Kleist hatte sein Drama der preußischen Königin Luise widmen wollen, der damaligen „Königin der Herzen“ – die starb jedoch 1810, bevor er sein Manuskript beendete. Kurzentschlossen widmet er sein Stück, um günstige Aufnahme bei Hofe bemüht, der Prinzessin Amalie Marie Anna (genannt Marianne), Frau des Prinzen Wilhelm von Preußen (eines jüngeren Bruders des Königs). Die Prinzessin war eine geborene Hessen-Homburg, also Nachfahrin des Landgrafen von Hessen-Homburg, der die historische Folie für Kleists Prinz Friedrich abgab. Doch Marianne hat ihre Schwierigkeiten mit der Darstellung ihres Vorfahren; so notiert der Korrespondent Heinrich Heine des Rheinisch-Westphälischen Anzeigers in seinen Briefen aus Berlin (16. März 1822):

Es ist jetzt bestimmt, daß das Kleistische Schauspiel „Der Prinz von Homburg oder die Schlacht bei Fehrbellin“ nicht auf unserer Bühne erscheinen wird, und zwar, wie ich höre, weil eine edle Dame [Prinzessin Marianne] glaubt, daß ihr Ahnherr in einer unedlen Gestalt darin erscheine. […] Was mich betrifft, so stimme ich dafür, daß es gleichsam vom Genius der Poesie selbst geschrieben ist.

Nr. 9: Erstausgabe, Titelseite der Hinterlassenen Schriften 1821

Zur Uraufführung kommt es erst 1821 in Wien, unter dem Titel „Die Schlacht bei Fehrbellin“ (der Titel war auf Druck der Zensur geändert worden, um von der Hauptfigur abzulenken). Erzherzog Karl missfällt das Stück jedoch, und es wird nach vier Aufführungen abgesetzt.

Da 1821 auch die erste Veröffentlichung in Kleists Hinterlassenen Schriften, herausgegeben von Ludwig Tieck, geschieht, ist der Weg an die Bühnen jedoch frei, und andere Theater führen das Stück auf. Tieck fragt in seiner Vorrede:

Könnte das neue Theater in Berlin wohl auf eine würdigere Art eröffnet werden, als mit diesem Schauspiel, welches das Land, die Stadt, die Regenten und das Glück des geliebten Fürstenhauses auf so einfache Weise verherrlicht?

Das sah man dort allerdings anders. Tatsächlich wird das Stück erst 1828 in Berlin aufgeführt, und nach der dritten Vorstellung befiehlt König Friedrich Wilhelm III., dass das „gestern aufgeführte Stück niemals wieder gegeben werden soll“. Tiecks Wunsch erfüllt sich erst 1905, als nach dem Umbau der Hofbühne am Schillerplatz das Haus mit Kleists Drama neu eröffnet wurde. In der Freien Deutschen Presse wird am 22.3.1905 berichtet:

Da der Kaiser nicht das Zeichen zum Beifall gab, spielte die Vorstellung sich lautlos, ohne Kundgebungen des Publikums ab. Viel Rühmens ist nicht von ihr zu machen.

Kleists Dramen auf der Bühne des Detmolder Hoftheaters

Kleist hatte es auf den deutschen Bühnen schwer. Am Hoftheater ist, wie andernorts, bei weitem das erfolgreichste Stück sein Käthchen von Heilbronn, allerdings in der recht freien Bearbeitung Franz von Holbeins, in der es im 19. Jahrhundert oft gegeben wurde – der Theaterzettel der Aufführung von 1886 nennt denn auch Holbein als ersten Textdichter. Das Käthchen wird bereits seit 1821 gespielt und findet bis in die 1880er Jahre über 30 Aufführungen an den Spielorten des Hoftheaters. Nächst erfolgreich ist Der Zerbrochene Krug. Die Hermannsschlacht ist eher ein Lieblingsdrama des zwanzigsten Jahrhunderts und vor allem der Nazizeit, doch vermerken die Detmolder Theaterakten immerhin eine Aufführung, wohl eine szenische Lesung, für den 29.8.1839 – 21 Jahre vor der Uraufführung in Breslau. Ein Stück wie Kleists Penthesilea erlebte 1876 seine Uraufführung, sein Amphitryon gar erst 1899; beide Stücke werden erst später in Detmold gespielt.

Detmolds „Prinz Friedrich von Homburg“

Der Prinz Friedrich von Homburg hatte es auf den Bühnen leichter, entsprechend auch am Detmolder Hoftheater. Das Preußen-Drama wird hier zwischen 1837 und 1840 fünfmal gegeben.

Als 1902 das Stück in Detmold wieder aufgeführt wird, urteilt der Rezensent der Lippischen Landeszeitung, es handle sich „nicht um das gewaltigste, aber um das lieblichste Werk“ Kleists. Die Aufführung anlässlich des 100. Todestages am 15.12.1911 zeigt, so ist ebenfalls in der Landeszeitung zu lesen, ein „Meisterwerk der Charakterkunst“. Der Kurfürst sei übrigens „eine der vollendetsten Männergestalten unserer ganzen dramatischen Literatur, der Träger eines großen Staatsgedankens, der Vorkämpfer in sich gefestigter sittlicher Hoheit“. Das Deutungsmuster lautet also: Erziehung durch Läuterung für den Prinzen, von einem überlegenen, wohlwollenden Regenten: aus dieser Deutung spricht das 19. Jahrhundert.

Rezensionen der Detmolder Homburg-Aufführungen vom 14.2.1902 (oben) und vom 15.12.1911 (unten) in den Ausgaben vom 15.2.1902 und vom 18.12.1911 der Lippischen Landeszeitung

„das göttlichste Gedicht“ oder „langwierige Mystifikationen“

Stimmen zum Stück

Julius Eduard Hitzig an Fouqué. Berlin, 18. Juni 1812

Am Abend kömmt ein junger Mensch zu mir, zieht ein Manuskript aus der Tasche und sagt mir, daß er den Auftrag habe, es mir anzubieten. Ich […] fand das göttlichste Gedicht, was je aus Kleists Feder hervorgegangen. Vaterländisch, kräftig, rein, ohne seine Bizarrerie, der Kurfürst, Dörfling, der Prinz, Zeichnungen von der höchsten Wahrheit – kurz, ein Werk, von dem es für Kleists Nachruhm unverantwortlich wäre, wenn es die Zeitgenossen untergehen ließen.

Wilhelm Grimm an Achim von Arnim. Kassel, 5. April 1820

Kleists Prinz von Hessen habe ich mit großem Vergnügen [in den Druckfahnen der Tieckschen Ausgabe] gelesen. Der Gegenstand ist sehr geschickt behandelt und wird auf dem Theater großen Eindruck machen. […] ich habe nirgends schöner die Macht des Gesetzes und die Anerkennung des Höheren, vor dem auch das Gesetz zerfällt, dargestellt gefunden.

Ludwig Robert, Morgenblatt für gebildete Stände, Ausg. 29.-31. Januar 1823

[fiktives Gespräch, ein Kavallerie-Lieutnant:] In einem militärischen Staate, wie Preußen, ist es erstlich ganz unmöglich, einen Offizier auf das Theater zu bringen, der so wenig point d‘honneur im Leibe hat, daß er um sein bißchen Leben bettelt, das würde unseren ganzen Stand ridikülisieren und das geht nicht. Zweitens aber ist die ganze Sache nicht wahr; der Prinz von Homburg war ein sehr tapferer Herr und ist dafür berühmt in der Geschichte. Drittens soll eigentlich gar kein Vorfahre von hohen Häusern auf dem Theater erscheinen, am allerwenigsten aber, wenn ihn der Dichter so verächtlich darstellt. Das hieße wahrhaftig wenig Ehrfurcht haben vor den hohen Anverwandten des berühmten Helden, wenn man verlangen wollte, daß sie dergleichen ruhig aus der Loge mitansehen sollten.

Le Globe, Paris, 6. Sept. 1828

Aber mit seinem romantischen Rahmen liegt das Stück so völlig außerhalb des französischen Geschmackes, daß es fast unmöglich ist, eine ernsthafte Anaylse davon zu geben. Für uns ist das ganze Stücke eine zu langwierige Mystifikation, übersät mit pathetischen Szenen, die nur so lange erschüttern, bis man sich ihrer Grundlosigkeit erinnert, mit hinreißenden Dialogen, heftigem und glänzendem Streitgespräch, aber ohne Ziel. Eine merkwürdige Umkehrung des Lebens lernen wir da kennen; die Träumereien stehen im Vordergrund, und vor dem Traum verschwindet die Realität.

Theodor Fontane, Aufzeichnungen, Juli 1872

Es ist zweierlei, was mich daran verdrießt:

1. Die willkürliche Behandlung des Historischen; das Unechte des Kostüms, der Personen und Situationen.

2. Die Charakterzeichnung des Prinzen, der ein Haselant ist, aber kein Held und kein brandenburgischer Kriegsmann.

Max Grube (Am Hofe der Kunst, 1918)

[1901 im Hause des Generalintendanten der Kgl. Schauspiele, Graf Hochberg; anwesend Kaiser Wilhelm II., Wildenbruch, Matkowsky, Grube u.a.]
Ganz von selbst kam die Rede auf die Darstellung des gereiften Kurfürsten im Prinzen von Homburg. „Das ist ein Lieblingsstück von mir“, meinte der Kaiser, „das müssen Sie uns bald bringen.“ – „Wenn nur die fatale Feigheitsszene nicht wäre“, äußerte einer der inzwischen hereingetretenen Generaladjutanten. Der Kaiser pflichtete bei und fügte hinzu: „Aber dieser Auftritt kann ja einfach gestrichen werden.“

Nachruhm, oder: „Vorbild und Nachbild“

Monolog des Prinzen von Hamburg,
dem der Kurfürst soeben mitgeteilt hat,
er dürfe nicht mehr, wie er wolle

[…] (Keine Wiedergabe aus urheberrechtlichen Gründen)

Aus: Robert Gernhardt, Wörtersee, 1981

Exponate

1.
Bezeichnung, Was zwischen der Königl. Schwedischen Armee und der Chur Brandenbl : Cavallerie den 18 und 19 Julii A. 1675 zwischen den Landwehr bey Linum und dem Paße Fehrbellin auff dem Ländlein Bellin passiret ist
Kupferstich.
Theatri Euopaei Eilffter Teil, Frankfurt / Main, 1682, nach S. 722.
Lippische Landesbibliothek, G 192.2°-11

Das Theatrum Europäum ist ein deutschsprachiges Geschichtswerk, das mit vielen Kupferstichen den Zeitgenossen das geschichtliche Geschehen der letzten Jahre nahebrachte. Der hier präsentierte elfte Band deckt die Zeit von 1672 bis 1679 ab und erschien bereits drei Jahre später. Neben der Tafel enthält das Werk eine ausführliche textliche Beschreibung des Kampfgeschehens.

2.
Friedrich II.: Mémoires pour servir à l‘histoire de la maison de Brandenbourg, S. 128.
Aus: Oeuvres de Frederic II, roi de Prusse … 1. Band, Berlin : Voss, Decker, 1789. (Erstdruck 1746)
Lippische Landesbibliothek, A 712 a.1.3

Aufgeschlagen ist die Seite, auf der Friedrich die „Homburg-Legende“ erzählt.
Das Exemplar der Lippischen Landesbibliothek hat eine echt preußische Herkunft – es stammt aus der Bibliothek des 1. Regiments Herzog Carl von Mecklenburg-Strelitz.

3.
Friedrich II.: Denkwürdigkeiten zum Behuf der Brandenburgischen Geschichte, Titelseite mit Porträt auf dem Frontispiz.
Aus: Des Philosophen von Sanssouci sämtliche Werke. Erster Band. Neu übersezt … Berlin : Wever, 1784
Lippische Landesbibliothek, A 712 a.1.1

4.
Die Schlacht bei Fehrbellin: Der große Kurfürst (Mitte), Derfflinger (links), zwischen beiden , blasser, Prinz Friedrich von Hessen-Homburg
Aus: Georg Hiltl, Der alte Derfflinger und sein Dragoner. 2., verb. Aufl., Leipzig : Spamer, 1877.
Lippische Landesbibliothek, 14.98.84

Der alte Derfflinger und sein Dragoner ist ein zuerst 1872 erschienenes, prominentes Jugendbuch, das Auflagen erlebte bis in die 1930er Jahre. Der vollständige Untertitel lautet: „Lebensbilder aus den Tagen der Franzosenkriege, von Rathenow, Fehrbellin und Stettin. Historische Erzählung für Volk und Heer, insbesondere für die vaterländische Jugend“.

5.
Die Schlacht bei Fehrbellin
Erzählte Darstellung in: Karl Heinrich Krause: Mein Vaterland unter den hohenzollerischen Regenten. Bd. 2, Wesel (Selbstverlag), 1802.
Lippische Landesbibliothek, H 7919-2

Dieses Werk kannte Heinrich von Kleist; dass er es aus der Dresdener Bibliothek ausgeliehen hat, ist noch anhand der Ausleihbücher nachweisbar. In der Darstellung des voreiligen Angriffs folgt Krause Friedrich II. – und schmückt noch um einiges aus.

6.
Napoleon. Kaiser der Franzosen
Kupferstich zu Beginn des zweiten Bandes von Jean J. Aders „Napoleon vor seinen Zeitgenossen“, Darmstadt, Leske, 1828.
Lippische Landesbibliothek, H 8282

7.
Karl von François: Die Memoiren des Karl von François aus der Zeit der Befreiungskriege (1808-1814). München: Kösel, 1965.
Lippische Landesbibliothek, Lgz 4(3)

Aufgeschlagen: Frontispiz mit historischem Kupferstich und faksimilierter Unterschrift. Die erste Ausgabe erschien 1873, herausgegeben von einer Nachfahrin des Autors (Kleist könnte den Stoff also nur aus Erzählungen gekannt haben). François beschreibt die Begnadigung in letzter Minute (S. 32):

Nun trat ich sechs Schritte vor meine Todesschützen.
„Kameraden, erzeigt mir den letzten Freundschafts-dienst, trefft gut! – Herr Major, kommandieren Sie Feuer!“
„Lassen Sie sich erst die Augen verbinden!“
Ein Unteroffizier trat vor und überreichte mir ein weißes Tuch.
Ich wollte mich weigern.
„Verzeihen Sie“, sagte der Major, ich bin im Dienste des Königs und muß darauf sehen, daß jedes Zeremoniell beobachtet werde.“
Ich nahm das Tuch und band es um die Augen.
„Knien Sie nieder.“
Mein Kaskett abnehmend, ließ ich mich nieder auf ein Knie.
Schnell gab er ein Zeichen, die Schützen machten ihre Gewehre fertig, ich glaubte den Tod zu empfangen, als – „Pardon, Pardon“ und tausendstimmiges „Pardon“ erschallte.

8.
Ehrenmal für die 11 hingerichteten Offiziere des Schillschen Corps.
Aus: Die Verurtheilung und Hinrichtung der elf Preußischen Offiziere vom Schill‘schen Corps durch die Franzosen bei Wesel den 16. September 1809 …
von Franz Fiedler. Wesel 1835.
Lippische Landesbibliothek, H 13022

9.
Prinz Friedrich von Homburg, 1. Akt, 1. Szene
In: Heinrich von Kleists hinterlassene Schriften, herausgegeben von L[udiwg] Tieck. Berlin : Reimer, 1821.
Lippische Landesbibliothek, A 777 d.1.1

Das ist der Erstdruck des Schauspiels. Indem das Stück im Druck erscheint, ist es für Theater zugänglich und kann aufgeführt werden – Lizenzen brauchten für eine Aufführung noch nicht eingeholt zu werden.

10.
Heinrich von Kleist: Der Prinz von Homburg
Sämtliche Werke (Berliner Ausgabe), hg. von Roland Reuß und Peter Stängle. Berlin, Frankfurt/Main : Stroemfeld. Bd. I/8. 2006
Lippische Landesbibliothek, CNOA 102-1,8

Die Kritische Ausgabe der Werke bietet alle Texte mit Faksimile der Quelle. Aufgeschlagen ist hier die Widmung an Prinzessin Marianne, die im Erstdruck nicht mehr begegnet. Die Handschrift stammt von einem beauftragten Schreiber, nicht von Kleist selbst. Sie ist heute im Besitz der UB Heidelberg.

11.
Theaterzettel Fürstliches Theater in Detmold
Das Kätchen von Heilbronn. 9. Mai 1859
Lippische Landesbibliothek, Tz 214

12.
Theaterzettel Fürstliches Theater in Detmold
Das Käthchen von Heilbronn. 5. März 1886
Lippische Landesbibliothek, Tz 342

Das „Käthchen“ ist auf der Bühne des Hoftheaters Kleists meistgespieltes Stück – wie im 19. Jahrhundert häufig in der geglätteten Bearbeitung von Franz von Holbein.

13.-15.
Rollenhefte, Prinz Friedrich von Homburg
Lippische Landesbibliothek, T 353

Aufgeschlagen sind die Rollen:

  • Hohenzollern. Umschlag
  • Prinz Friedrich Arthur von Homburg. 3. Akt, 5. Szene
    Aufgeschlagen die Todesfurcht-Szene:
    „Gottes Welt, o Mutter, ist so schön!
    Laß mich nicht, fleh‘ ich, eh‘ die Stunde schlägt,
    Zu jenem schwarzen Schatten niedersteigen!“
  • Kurfürstin, letzte Seite.
    Zu sehen ist auf der leeren Seite die Bleistiftzeichnung eines behelmten Mannes – möglicherweise eine Skizze der Schauspielerin von einem Mitspieler im Kostüm.