9 Lebensende

„Die Alte Welt ist mir zuwider geworden“

Enttäuschte Liebe und erfolgreiche Geschäfte 1855-1856Nr. 190

Aus den Monaten September bis Dezember 1855 stammen 13 Briefe Weerths an Betty Tendering, sämtlich im Besitz der Lippischen Landesbibliothek. Betty Tenderings Briefe an Georg Weerth hat der Bruder Wilhelm 1857 an die Absenderin zurückgeschickt. Sie blieben in Abschriften erhalten. Der Briefwechsel wurde 1972 von Bruno Kaiser in einem kleinen Band publiziert.
„Der praktische Erfolg meiner Tour ist relativ. An verschiedenen Punkten reüssierte ich vollkommen, und meine Freunde in Manchester stehen jetzt mit den damals angeknüpften Verbindungen in lebhaftem und sicherm Verkehr. An andern Orten war ich weniger glücklich, namentlich weil mich politische Unruhen in den südlichen Republiken an Unternehmungen hinderten. Aber es ist eine gute Basis gelegt, und da ich mit meinen Leuten in bestem Einverständnis bin, so glaube ich von der Zukunft Gutes hoffen zu können.“

Kaum in Europa angelangt, meldete Weerth im Juni 1855 nach Detmold, dass er wohl bald wieder in die Tropen zurückkehren werde. Zunächst einmal war eine Menge geschäftlicher Dinge bei Steinthal in Manchester zu erledigen. Mit der Firma kam er überein, sich als ihr Agent ganz in Westindien niederzulassen. In Hamburg ließ er sich von einer weiteren Firma anwerben. Das Einkommen, das ihm diese Tätigkeiten im Im- und Export versprachen, war enorm. Weerth hoffte, nach einigen Jahren nach Deutschland zurückkehren und dort von seinen Rücklagen leben zu können. Dann besuchte er seine Familie in Detmold. Als ihm jedoch seine Cousine Lina Duncker, mit der er im Briefwechsel stand, mitteilte, dass ihre Schwester Betty in Köln sei, eilte er sofort dorthin.

Schon im Mai 1852 hatte Weerth in Leipzig die zwanzigjährige Betty Tendering kennen gelernt. Sie hatte tiefen Eindruck auf ihn gemacht, und der Gedanke an sie hatte ihn seither unablässig verfolgt. Lina Duncker wusste das und schürte mehrmals brieflich seine Hoffnungen durch die Mitteilung, dass Betty immer noch unverlobt sei. Weerth schrieb ihr im Juni 1854: „Du weißt, liebe Lina, daß ich mich für Deine Schwester lebendig interessiere. Ich höre daher gern, daß sie nicht die Frau des bernburgischen Agamemnons geworden ist, denn das wäre in der Tat zu spaßhaft gewesen. Aber weshalb horstet sie jetzt auf dem einsamen Ahr? Sie sollte lieber mit mir die Reise um die Welt machen; ich will fest versprechen, ihr mit jeder Liebeserklärung vom Halse zu bleiben.“

Beim Wiedersehen im September 1855 gelang ihm das aber nicht. Von seinen neu entflammten Gefühlen überwältigt, machte er der völlig Überraschten einen Heiratsantrag. Sie wies ihn zurück. Zwar warb er in seinen Briefen an Betty weiterhin verzweifelt um sie. Sie aber war überzeugt, dass er ein falsches Bild von ihr hatte, und wehrte ihn ab. Auch in Paris, wo beide im Oktober 1855 die Weltausstellung besuchten, kam es nicht zu einer Annäherung. Weerth kehrte nach England zurück, stürzte sich in die Arbeit. Am 17. November 1855 reiste er wieder nach Westindien ab. Er hatte gehofft, zu wissen, wofür. Jetzt war ihm Ziel und Zweck seiner Geschäftigkeit abhanden gekommen. Die Absicht einer späteren Rückkehr nach Europa gab er auf.

190
Betty Tendering (1831-1902)
Reproduktion einer Daguerreotypie
F 5/9 W

191
„Sie wissen, daß ich sie liebhabe, Fräulein Betty …“
Georg Weerth an Betty Tendering
[Elberfeld, Ende September 1855]
25 x 20 cm
A 13 W

Diesen ersten, undatierten Brief schrieb Weerth unmittelbar nach dem Fiasko seiner Liebeserklärung, bei dem Betty ihn zurückgewiesen hatte. Er versucht, seine Unbeholfenheit zu erklären, und gesteht, dass er drei Jahre lang unentwegt an sie gedacht habe und deswegen befangen gewesen sei: „Aber die Liebe, die ich heraufbeschwor, ich werde sie nicht so leicht wieder los.“

192
„Es ist nicht so leicht, auf das Liebste, was man im Leben hat, zu verzichten.“
Georg Weerth an Betty Tendering
[Paris, 26.10.1855]
21 x 13,5 cm
A 17 W

Am Ende der gemeinsamen Pariser Tage hatte Betty Tendering noch einmal in einem Brief mitgeteilt, dass sie ihn nicht lieben könne. Weerth verabschiedet sich daraufhin mit diesem kurzen Schreiben nach England. Es folgten noch einige Briefe voller quälender Missverständnisse. Den letzten Brief an Betty Tendering schrieb Weerth Anfang Januar 1856.Nr. 193

Im März 1856 verlegte Weerth sein Standquartier von St. Thomas nach Havanna, dessen Verkehrsverbindungen sich deutlich verbessert hatten. Er erkundete die Insel, handelte mit Zucker, Tabak, Kaffee und Baumwolle. Auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise nach Santo Domingo durchquerte er im Juli 1856 Haiti, mitten in der Regenzeit und von Mücken geplagt. Als er wieder in Havanna eintraf, hatte er bereits hohes Fieber. Er war desorientiert, verlor das Bewusstsein. Eine Woche später, am 30. Juli 1856, starb er im Alter von 34 Jahren an einer gefährlichen Fom der zerebralen Malaria. Er hinterließ seiner Familie das beträchtliche Vermögen von 9212 Talern. Das entsprach etwa dem Zwanzigfachen eines Jahresgehalts seiner beiden in Fürstlich lippischen Diensten beschäftigten Brüder.

193
Havanna. Hafen-Ansicht
Stahlstich
Hildburghausen: Bibliographisches Institut, o.J.
15,5 x 23 cm
B 8/24 W

194
Havanna. Plaza de las Armas
Stahlstich
Hildburghausen: Bibliographisches Institut, o.J.
15,5 x 23 cm
B 8/25 W

„Rio de Janeiro, Lima und Havanna sind jedenfalls die schönsten Städte, die ich in Amerika sah, aber Havanna ist doch die Krone von den dreien.“ Weerth kannte die Stadt schon von einem ersten Kuba-Besuch im August/September 1853. Er hatte von dem besonderen Reichtum und Luxus der spanischen Oberschicht berichtet. Im März 1856, gleich nach Ankunft in der Stadt, sandte er seiner Mutter einen Stahlstich mit Stadt- und Hafenpanorama.

195
Geschichte der Insel Hayti
von Heinrich Handelmann
Kiel: Schwers, 1856
H 9208-1,2

Zwischen dem Kaiserreich Haiti und der Dominikanischen Republik, welche sich 1844 von Haiti getrennt hatte, herrschte ein latenter Kriegszustand. Der Grenzübertritt aus Santo Domingo nach Haiti war verboten. Weerth bediente sich einer Täuschung, um die Einreise zu bewerkstelligen. Von Cap Haïtien aus durchquerte er innerhalb von 14 Tagen die Insel bis Port-au-Prince.Nr. 197 Nr. 198 Nr. 199

196
„ich erfülle eine traurige und mir sehr schmerzliche Pflicht“
Henry Steinthal an Carl Weerth
Manchester, 26.8.1856
28 x 23 cm
A 38 W

Henry Steinthal teilt der Familie aus Manchester mit, dass er durch Konsul Büsing in Havanna von Georg Weerths Tod erfahren habe.

197
„Ein harter Schlag hat uns betroffen“
Carl Weerth an Wilhelm Weerth
Detmold, 28.8.1856
23 x 13,5 cm
A 497 W

Der älteste Bruder Karl teilt dem Bruder Wilhelm in Oerlinghausen den Tod Georg Weerths mit.

198
Quittung der Friedhofsverwaltung über Bestattungskosten
Havanna, 30.7.1856
17 x 22 cm
A 40 W

Friedrich Büsing, bremischer Konsul in Havanna, sorgte für Weerths Bestattung auf dem Cementerio General in Havanna. Die Friedhofsverwaltung stellte dazu eine Quittung über 33 Pesos aus.

199
Quittierte Rechnung des Beerdigungsinstitutes Barbosa
Havanna, 31.7.1856
33 x 22 cm
A 43 W

200
Todesanzeige der Familie im Fürstlich Lippischen Regierungs- und Anzeigeblatt
vom 6.9.1856, S. 574
LZ 32-1856

Weerths Tod fiel in die Zeit einer Gelbfieber-Epidemie in Westindien. Die Todesanzeige im Fürstlich Lippischen Regierungs- und Anzeigeblatt gab dies denn auch als Todesursache an.Nr. 200