Jahr der Bibel 2003

Oktober

Kurfürstenbibel

Kurfürstenbibel (Th 84.2°), TitelblattKurfürstenbibel (Th 84.2°), TitelblattKurfürstenbibel (Th 84.2°), Titelblatt
Kurfürstenbibel (Th 84.2°), TitelblattKurfürstenbibel (Th 84.2°), TitelblattKurfürstenbibel (Th 84.2°), Titelblatt

Oktober im Jahr der Bibel: Die „Kurfürstenbibel“ des Wolfgang Endter aus Nürnberg (1649)

Die Lippische Landesbibliothek nimmt das „Jahr der Bibel 2003“ mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Lippe und deutschlandweit zum Anlass, allmonatlich ein herausragendes Exemplar des Buches der Bücher aus ihrer reichhaltigen Bibelsammlung zu präsentieren. Im Oktober zeigt sie die berühmte „Kurfürstenbibel“ in einer Ausgabe von 1649.

Von Detlev Hellfaier

Ihren Namen verdankt diese Bibel im Folioformat (Th 84.2°) den ihr beigegebenen elf Porträtstichen sächsischer Fürsten und Kurfürsten; gebräuchlich war auch ihre Bezeichnung als „Weimarer“ oder „Ernestinische“ Bibel, was sich auf ihren Urheber, Ernst den Frommen, Herzog von Sachsen-Gotha-Altenburg (1601-1675), bezieht, der bis 1640 in Weimar residiert hat. Im Bemühen um den inneren Ausbau seines vom – noch nicht beendeten – Dreißigjährigen Kriege verwüsteten Landes hatte sich der Herzog zum Ziel gesetzt, die sittlichen, kirchlichen und schulischen Verhältnisse grundlegend zu verbessern und zu stabilisieren; in diesen Zusammenhang gehörte das seit 1635 unter der Leitung von Johann Gerhard († 1637) und dessen Nachfolger Salomon Glassius († 1656) mit Unterstützung weiterer Jenaer Theologen vorangetriebene Projekt einer neuen Bibeledition.

Das gelehrte Konsortium erstellte einen revidierten und korrigierten Luthertext und versah diesen mit Glossen. Vornehmlicher Zweck dieser Ausgabe sollte es sein, den gemeinen Mann, der in Kuensten vnd Sprachen nicht erfahren, durch die Glossierung vor Ketzerei und Irrlehren zu schützen; dabei sollten die Erklärungen möglichst knapp gehalten, nicht mehr sachlich geordnet, sondern „dem eigentlichen Wortverstande nach“ erläutert werden.

Um Luthers Text von 1545 in der revidierten Fassung unverändert zu lassen, hob man dessen Wortlaut durch größere Satztype fettgedruckt von den Glossen ab und setzte diese darüber hinaus noch in Klammern. Die biblische Sprache wurde auf diese Weise allerdings ihrer ausdrucksstarken Metaphorik entkleidet, um einer scheinbaren Rationalität Raum zu geben.

Angereichert war die Bibelausgabe u.a. mit Angaben über die biblischen Monate, Maße, Gewichte und Münzen, mit einer Beschreibung Jerusalems, mit den drei Hauptsymbolen und mit einem Bericht über das Augsburger Bekenntnis.

Hoher Anspruch, Umfang und mangelnde Übersichtlichkeit der Glossierung lassen berechtigte Zweifel daran aufkommen, ob die Zielgruppe, der „gemeine Mann“, diese Form der Textpräsentation favorisiert hat und die erwünschte Bestimmung wirklich erreicht worden ist. Tatsache ist jedoch, dass die Kurfürstenbibel ausgesprochen populär wurde, bis zum Jahre 1768 allein 14 Auflagen erfuhr, Übersetzungen ins Französische (1666) sowie ins Italienische (1673) erlebte und damit zur meistverbreiteten Bibelausgabe des 17. und beginnenden 18. Jahrhunderts erwuchs. Dafür allein die reichhaltige Ausstattung, namentlich die aufwändigen Illustrationen ins Feld zu führen, greift sicher zu kurz. Nach dem Willen des Herzogs jedenfalls sollte jede Gemeinde ein Exemplar dieser Ausgabe besitzen, arme Gemeinden erhielten sie sogar ganz oder teilweise geschenkt.

Porträtstiche, Textillustrationen und Titelkupfer sind ein beredtes Zeugnis des fortgeschrittenen künstlerischen graphischen Druckgewerbes des 17. Jahrhunderts. Das prächtige Titelkupfer wurde vom Bildnis- und Landschaftsmaler Christian Richter († 1667), Hofmaler in Weimar, vorgezeichnet, die Umsetzung auf die Kupferplatte verdanken wir dem Augsburger Porträtstecher Johann Dürr († um 1680). Im Zentrum steht der Kurztitel auf der abhängenden Decke eines überdimensionierten Lesepults. Links davon reihen sich die auserwählten Gestalten des Alten Testaments, angefangen von Adam und Eva über Moses, Isaak, Aaron, David und Noah, rechts diejenigen des Neuen Testaments, nämlich Johannes, Petrus, Paulus und Maria Magdalena, aber auch der Zöllner und der Schächer am Kreuz. Gemeinsam mit dem versammelten Gottesvolk blicken sie auf Christus, der die Kelter tritt und den Tod und das Böse besiegt (Jes. 63,3). Darunter wird das heilsgeschichtliche Geschehen in die Lehre umgesetzt, indem Christus auf die aufgeschlagene Schrift weist, die von ihm kündet (Ps. 40,8; Joh. 5,39); er wird umgeben von der sich aus den drei Ständen zusammensetzenden Gemeinde. Von letzterem stammt auch das Ganzporträt des Reformators mit dem Buch.

Ebenfalls von Christian Richter und dem Nürnberger Kupferstecher Peter Troschel († nach 1667) rührt das große Ernestinische Vollwappen, das den Porträtstichen vorgeschaltet ist. Danach folgen die Bildnisse der sächsischen Fürsten und Kurfürsten, denen die Bibel ihren herausragenden Bekanntheitsgrad verdankt: die Kurfürsten Friedrich III. (der Weise, 1463-1525), Johann I. (der Beständige, 1467-1532) und Johann Friedrich I. (der Standhafte, 1503-1554), die Herzöge Johann Wilhelm I. (1530-1573), Johann IV. (1570-1605), Johann Ernst (1594-1626), Friedrich IX. (1596-1622), Wilhelm IV. (1598-1662), Albrecht III. (1599-1644), Ernst I. (der Fromme, 1601-1675) und Bernhard I. (1604-1639). Während die Vorlagen wohl alle auf Richter zurückgehen, wechselten bei den Stichen Dürr und Troschel. Letzterer stach auch das anschließende Luther-Epitaph nach einer Zeichnung von Heinrich Osius, die den Reformator in Ganzgestalt mit Buch zeigt.

Der Bildteil enthält 18 gestochene Titel mit biblischen Szenen, ferner Pläne der Stadt Jerusalem, Landkarten von der Gegend des Paradieses, von Kanaan und dem gesamten Mittelmeerraum zur Dokumentation der Reisen des Apostels Paulus, Auf- und Grundrisse der Arche Noah, den Ketzerbaum und ein Bild vom Augsburger Reichstag. Insbesondere die Methode, biblische Szenen auf Titelblättern zusammenzufassen, sollte sich als beispielgebend für zahlreiche Bibeldrucke des 17. und 18. Jahrhunderts erweisen.

Ursprünglich hatte Herzog Ernst beabsichtigt, die Offizin von Johann und Heinrich Stern in Lüneburg, deren Druckerey damahls vor die beste in Teutschland gehalten wurde, mit Druck und Verlag seiner Bibel zu beauftragen, und stand mit diesen in Weimar bereits kurz vor dem Geschäftsabschluss. Nachdem allerdings sowohl die Gebrüder Stern als auch der Buchhändler und -drucker Wolfgang Endter aus Nürnberg sowie der Jenaer Drucker Ernst Steinmann Probeandrucke eingereicht hatten, entschied sich der Landesherr auf Anraten Johann Gerhards für Endter. Der Theologieprofessor aus Jena hatte zu bedenken gegeben, dass der Nürnberger Drucker den Gebrüdern Stern an Papier- und Druckqualität nahe käme, es leichter sei, Manuskripte und Korrekturbögen nach Nürnberg als nach Lüneburg zu schicken, Endter einen sehr tüchtigen Korrektor hätte und überhaupt Nürnberg mitten in Deutschland läge, was dem Vertrieb der Bibel nur förderlich sein könnte. Der Herzog schloss sich diesen gewichtigen Argumenten an und beauftragte am 18. Januar 1638 den Nürnberger mit dem Druck der Kurfürstenbibel.

Mit Wolfgang Endter (1593-1659) hatte er eine zweifellos gute Wahl getroffen, denn der Sohn Georgs d. Ä. († 1630), des Begründers der rührigen Drucker- und Verlegerdynastie, galt als Unternehmer großen Formats, hatte in die kaufmännische Führungsschicht der Reichsstadt eingeheiratet und nach dem Tode seines Vaters das Unternehmen, dem noch eine eigene Papiermühle angegliedert wurde, zu großer Blüte geführt; auf den Messen war er mit umfangreicher Buchproduktion vertreten. Aufgrund seiner verlegerischen Leistungen wurde er 1651 von Kaiser Ferdinand III. in den erblichen Adelsstand erhoben. Seine Söhne und Erben führten den Betrieb weiter und sorgten bis in das Jahr 1768 für Druck und Absatz der stets verbesserten Kurfürstenbibel.

Die Provenienz der Detmolder Ausgabe von 1649 lässt sich nicht feststellen. Besitzvermerke fehlen, und auch der schmucklose Einband aus schwarz-braun eingefärbtem Schweinsleder auf sechs erhabenen Bünden sowie die schlichten Lederschließen mit Metallzungen geben keinen Hinweis auf die Identität eines Vorbesitzers.

Im Buchbestand der Lippischen Landesbibliothek befinden sich mit Drucken von 1670 (Th 85b. 2°) und von 1736 (FP 2) noch zwei weitere Ausgaben der Kurfürstenbibel; das jüngere Exemplar ist eine Prachtausgabe aus der Bibliothek der Fürstin Pauline zur Lippe.