November im Jahr der Bibel: Die lippische Kupferbibel der Meyerschen Hofbuchhandlung in Lemgo, 1720
Zum lippischen Bibeldruck des 18. Jahrhunderts
Die Lippische Landesbibliothek nimmt das „Jahr der Bibel 2003“ mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Lippe und deutschlandweit zum Anlass, allmonatlich ein herausragendes Exemplar des Buches der Bücher aus ihrer reichhaltigen Bibelsammlung zu präsentieren. Im November zeigt sie die »lippische Kupferbibel« von 1720, den repräsentativsten Bibeldruck der Meyerschen Hofbuchhandlung in Lemgo.
Von Julia Freifrau Hiller von Gaertringen
Privileg für den Bibeldruck 1686
Im Jahr 1664 gründete Albert Meyer († 1690) zusammen mit seinem Bruder Heinrich († 1673) in Lemgo eine Druckerei. Er erhielt 1676 ein Privileg seines Landesherrn für den Druck und Verkauf von Gesangbüchern, Predigten, Kalendern und Schulbüchern, dazu 1686 ein Privileg des lippischen Konsistoriums für den Druck einer hochdeutschen Lutherbibel im Taschenformat. Die Bedingungen dazu sind im Druckprivileg festgehalten: »1. Sol zu dem Druck das allerbeste und sauberste Papier genommen werden, das in dieser Graffschaft gemacht wird, 2. Sol der Druck wol leßbahr und klar seyn, 3. Sol das Buch seyn in der Form einer bequemen und mit sich in die Kirche zu tragen wol füglichen Handbibel, allerdings nach der Form deren zu Wittenberg letzt gedruckten Bibel mit unterscheidlicher Absetzung der Verse, 4. Dafern aber wären, die vorhin einigen Vorschuß zu Erkauffung solcher Bibel etwa 18 oder mehr Groschen thun wollten, denen sol ein Exemplar ungebunden vor 1 Thl., gebunden aber in schwartz Leder mit Spangen vor 1 Thl. 9 gros. gegeben werden«, kurz: für diejenigen, die per Vorschuss den Druck mitfinanzierten, wurde ein fester Preis vereinbart.
Mit dem Bibeldruck wurde in Lemgo offenbar erst nach dem Tod Albert Meyers begonnen. Sein Sohn Henrich Wilhelm Meyer (1658-1722) führte die Druckerei weiter. Für ihn sind enge Geschäftsbeziehungen zu den Franckeschen Stiftungen nach Halle belegt, wohin er 1702 und 1703 ganze Auflagen von Lemgoer Bibeldrucken lieferte, die von dort aus weitervertrieben wurden. In Halle ist auch der früheste Bibeldruck der Meyerschen Druckerei erhalten: ein Neues Testament in Luthers Übersetzung von 1699. Die erste Vollbibel im Oktavformat druckte Meyer im Jahr 1700; ein Exemplar ist in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel erhalten.
Taschenausgaben 1700-1767
»Gebunden aber in schwartz Leder«, nur mit einfachen Streicheisenlinien verziert, präsentieren sich zwei lutherische Gesangbücher aus dem Bestand der Lippischen Landesbibliothek, die 1703 und 1710 von Henrich Wilhelm Meyer gedruckt und verlegt wurden (LD 22 und LD 23). Beide hat Otto Preuß als Direktor der Lippischen Landesbibliothek 1877/78 antiquarisch erworben; sie waren nicht im Bestand der Fürstlichen Bibliothek überliefert. Zusammengebunden sind sie jeweils mit einem Gebetbuch sowie einem Druck des Psalters und des Neuen Testaments nach Luthers Übersetzung. Psalter und Testament haben eigene Titelblätter mit Nennung abweichender Druckjahre, doch haben die Bände sicher schon in dieser kombinierten Form den Lemgoer Verlag verlassen. Das belegt auch ein Gesangbuch von 1714, dessen Titelblatt ausdrücklich vermerkt, dass die geistlichen Lieder »Auch Bey die kleine Hand-Bibel oder dessen Neues Testament können gebunden werden.« (LD 24). Diese für den persönlichen Gebrauch bestimmten kombinierten Ausgaben im Klein-Oktav-Format sind in einer ganz kleinen Nonpareille-Schrift gedruckt und dadurch handlich geblieben. Sie wurden in Lemgo zumindest bis 1767 immer wieder neu aufgelegt und offenbar gut verkauft.
Die lippische Kupferbibel
Die älteste Lemgoer Vollbibel im Bestand der Lippischen Landesbibliothek ist die Biblia sacra von 1720, ein Foliodruck in zwei Bänden (Th 86.e.2°). In der Vorrede begründet der Verleger seine Veranlassung zu diesem Druck: er habe seit Anfang des Jahrhunderts bereits vier Bibel-Ausgaben im Taschenformat drucken lassen, die »bey allen rechtschaffenen Evangelischen Christen / und Liebhabern des Worts Gottes gnugsamen Beyfall / Liebe und Gunst gefunden« hätten, jedoch sei »auch von denen alten und bejahreten Christ-glaubigen Seelen seine Bibel in grössern Buchstaben und Format verlanget worden: So hat er weniger nicht auch diesem Verlangen ein Genügen zu thun / die Heilige Schrift in gegenwärtigem grossen Format / durch seinen Verlag und bekannten guten Druck ausgehen lassen.«
Die Bibel von 1720 ist nun aber nicht nur ein lesefreundlicher Großdruck für fehlsichtige Christenmenschen. Sie ist mit Titelkupfern zu den beiden Testamenten und 135 hochwertigen Kupferstich-Tafeln auf besserem Kupfertiefdruckpapier ausgestattet, die den Preis der Bibel sehr gesteigert haben dürften. Gleichwohl handelt es sich, wie das Voranstellen der »Erinnerungs-Puncten Vor Lesung der Heil. Schrift« des Lüneburger Generalsuperintendenten Johann Arndt und des »Unterrichts, die heilige Schrift erbaulich zu lesen« von August Hermann Francke erweist, um eine Bibel für den privaten Hausgebrauch.
Der Kupferstecher Johann Ulrich Krauß (1655-1719) betrieb in Augsburg ein einträgliches Verlagsgeschäft, in dem in den Jahren 1698-1700 eine fünfbändige von Krauß illustrierte Bibel erschienen war. Diese Stiche hat Meyer in seine Lemgoer Bibel übernommen. Die Titelkupfer beeindrucken jeweils mit einer barocken Triumpharchitektur, darin postiert biblische Figuren wie die Erzväter für das Alte und die Apostel für das Neue Testament. Die illustrierenden Tafeln sind formal identisch aufgebaut: die obere Hälfte füllt eine Hauptszene des Bibelgeschehens mit dem zugehörigen Bibelvers als Überschrift und erbaulichen Alexandrinerversen darunter, die untere Hälfte zeigt eine reich geschmückte Vignette mit weiteren Einzelszenen. Krauß’ von französischen Vorbildern beeinflusste Stiche gelten als einer der Höhepunkte der barocken Bibelillustration.
Die Kupfertafel für das Frontispiz gab Meyer bei dem Braunschweiger Johann Georg Bäck (1676-1722) in Auftrag; sie zeigt ein kleines Luther-Portrait inmitten einer weitläufigen Sakralarchitektur und im unteren Teil einen Stich der Stadt Lemgo.
Die Lemgoer Kupferbibel ist in zwei helle, handvergoldete Schweinslederbände gebunden. Sie gehörte – nach einer Eintragung auf dem Vorsatz mit dem Datum 17. April 1732 – Wilhelmine Charlotte von Wendt, der jüngsten Tochter des in hannoverschen Diensten stehenden Freiherrn Johann Franz Dietrich von Wendt. Ihre Lebensdaten sind unbekannt, sie war lutherischer Konfession und heiratete 1743 den hannoverschen Hof- und Kriegsrat August Ulrich von Hardenberg. Die Bibel wurde 1956 antiquarisch für die Lippische Landesbibliothek erworben.
Neuauflage der Foliobibel ohne die Kupfer
Weitere Ausgaben der Lemgoer Lutherbibel im Taschenformat sind für die Jahre 1728, 1731 (Th 885.ab), 1738, 1742, 1744 (Th 885.a) und 1747 belegt, 1752 erschien die dreizehnte von insgesamt 14 Auflagen (Th 885.b). In dieser Zeit führten Henrich Wilhelm Meyers Witwe Margarete Anna Meyer (1663-1742) und sein jüngerer Sohn Johann Henrich Meyer (1702-1754) das Geschäft. Zu einer Neuausgabe der aufwändigen Foliobibel von 1720 kam es erst 1756, als Johann Henrichs Witwe Anna Henriette Meyer mit ihrem Schwiegersohn Christian Friedrich Helwing (1725-1800), dem damaligen Rektor des Lemgoer Gymnasiums, die Firma leitete. Die 1756 gedruckte Bibel ist ausdrücklich als »Zweite verbesserte und mit einer Abhandlung von den jüdischen Alterthümern vermehrte Auflage« bezeichnet. Vergeblich aber sucht man in der Neuauflage die schönen barocken Kupferstiche; das wieder aufgenommene Frontispiz von Johann Georg Bäck mit der Stadtansicht von Lemgo ist der einzige Buchschmuck. Drei Exemplare der neuen Ausgabe besitzt die Landesbibliothek (Th 86.d.2°), eines davon aus dem Nachlass der Fürstin Elisabeth zur Lippe (1833-1896), versehen mit eigenhändigen Anstreichungen und Anmerkungen der Fürstin.
Die Taschenbibel mit stehenden Schriften
Dem Verleger Helwing, der 1757 die alleinige Führung des Unternehmens übernahm, verdankte die Meyersche Hofbuchhandlung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts den Ruf als eines der führenden Verlagsunternehmen. Er verwendete ab 1767 für den Druck der neu eingerichteten Lemgoer Taschenbibel mit einer Vorrede des Celler Generalsuperintendenten Johann Friedrich Jacobi »stehen bleibende Schriften«, d.h. das Satzmaterial zu sämtlichen 1104 Seiten der Bibel blieb nach dem Druck der Erstauflage in den Holzrahmen stehen, die Lettern wurden nicht für andere Drucke verwendet. Nur das Titelblatt und die Vorreden wurden jeweils neu gesetzt. Das senkte die Personalkosten für die Schriftsetzer, band aber langfristig einen großen Teil des Betriebsvermögens. Für Helwing muss es sich gelohnt haben: bis 1832 erschienen 26 Auflagen dieser Lutherbibel – drei davon befinden sich im Besitz der Lippischen Landesbibliothek (Th 885.bb, Th 885.bba, Th 884a). Daneben gab es auch wieder Einzelausgaben des Neuen Testaments, die mit dem separat gedruckten Psalter und einem Gesangbuch zusammengebunden verkauft wurden (Th 3940).
Das griechische Neue Testament von 1787
Aus dem Rahmen fällt der Druck eines griechischen Neuen Testaments für Studienzwecke, das Helwing 1787 unter der Firma »Ex Officina Fratrum Helwing«, also im Verlag der Gebr. Helwing in Detmold und Meinberg erschienen ließ (Th 865a). Vermutlich sind unter dieser Firma Helwings Söhne aufgetreten, denen ihr Vater andernorts Zweiggeschäfte eröffnet hatte. Das griechische Neue Testament ist neben einer am Verlagsort Lemgo publizierten Ausgabe der »Historischen Bibliothek« des Diodorus Siculus von 1795, einem Schulbuch mit dem Titel »Heracliti et Anonymi de incredibilibus libellus« aus dem Jahr 1796, einem Druck der ersten Ode Pindars aus demselben Jahr und einer kommentierten Ausgabe des 2. Korinther-Briefes von 1804 offenbar der einzige Druck der Helwings in griechischen Lettern.
Die Bibel von Wilhelm Friedrich Hezel 1780-1802
Helwing übernahm 1780 auch den Verlag der zehnbändigen Bibelausgabe »mit vollständig-erklärenden Anmerkungen« von Wilhelm Friedrich Hezel (1754-1824). Dieser, Theologe und Orientalist, lebte seit 1778 als Privatgelehrter in Ilmenau und widmete sich dort der Ausarbeitung eines großen erklärenden Bibelwerkes, 1786 wurde er als Professor für morgenländische und biblische Literatur nach Gießen berufen. Bereits als Sechsundzwanzigjähriger ließ er bei der Meyerschen Hofbuchhandlung den ersten Band seiner Bibelexegese zu den fünf Büchern Mose erscheinen und versicherte in der Vorrede nicht unbescheiden, dass »die christliche, und zwar insonderheit die evangelische Religion, durch meine Anmerkungen eher gewinnen, als verlieren werde« (Th 882). Hezel hatte seine kommentierte Bibel ursprünglich im Selbstverlag herausgeben wollen und über eine Subskribentenliste Käufer geworben. Der zweite Band führt mehr als 550 von ihnen namentlich auf. Unter der Hand geriet ihm das Ganze stetig umfangreicher als geplant; statt das Werk – wie im ersten Band angekündigt – innerhalb von drei Jahren fertig zu stellen, schloss er es erst 1791 mit dem zehnten Band ab und lieferte 1800-1802 noch zwei Bände eines Anhangs zu den Apokryphen.
Gedacht war diese Bibel für »alle Leserklassen«, insbesondere aber für Prediger in den Städten und auf dem Land, die Erklärungsbedürftiges bei Hezel bequem nachschlagen können sollten, statt in der theologischen Fachliteratur suchen zu müssen. Die lippischen Pastoren Führing in Brake, Finke in Detmold, Jülicher in Donop, König, Sasse und Süvern in Lemgo, Radau in Schötmar und die Kandidaten Dreves aus Horn und Plöger aus Detmold haben denn auch das Werk subskribiert. Brauchbar sollte es aber auch für interessierte Laien sein, erwähnt wird gut aufklärerisch der nicht ganz ungebildete »Hausvater«, der über ihm dunkle Bibelstellen die nötige Belehrung erfahren sollte. Damit entsprach Hezels Anliegen auch dem Interesse des Verlegers Helwing, dessen Verlagsprogramm sich hauptsächlich an eine breite Öffentlichkeit mit aufgeklärtem Bildungsinteresse, weniger an ein gelehrtes Zielpublikum richtete. Aber auch den gelehrten Fachkollegen empfahl Hezel seine Bibel mit dem Argument, dass er in seiner Exegese nicht nur »sclavischer Nachbeter anderer« sei, sondern – wie er immer wieder betont – »selbst gedacht« habe, so dass also auch für Fachkreise durchaus noch Gewinn daraus zu ziehen sei. Gedankt wurde ihm diese Spannbreite nicht: nicht erst das Urteil der Nachwelt lautete, Hezel sei zwar sehr fleißig gewesen, aber seine Werke seien doch sehr oberflächlich und flüchtig ausgeführt und genügten streng wissenschaftlichen Ansprüchen nicht.
Hezels Verdienst um die publikumswirksame Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse wird aber nicht bestritten, und so hat des Vielschreibers populärer Bibelkommentar denn auch buchhändlerisch guten Erfolg gehabt. Ab 1786 wurde bereits eine zweite verbesserte Auflage gedruckt und speziell für Laien 1787 sogar noch eine preiswerte Auswahlausgabe veranstaltet, mit der Hezel einen Lehramtsanwärter beauftragt hatte (Th 884). Helwing in Lemgo verlegte auch Hezels Schrift »Über die Quellen der Mosaischen Urgeschichte« (1780), eine von ihm überarbeitete »Hebräische Grammatik für Anfänger« (1782, 2. Aufl. 1785), seine »Kürzere hebräische Sprachlehre für Anfänger« (1787), eine »Anweisung zum Chaldäischen bey Ermanglung alles mündlichen Unterrichts« (1787) und seine »Syrische Sprachlehre« (1788, 2. Aufl. 1789), außerdem Hezels »Carmina Arabica« (1788), »Paradigmen der Syrischen Conjugationen« (1788) und »Vorlesungen über die Federsche Logik und Metaphysik« (1793/94). Er beschäftigte Hezel auch als Vorredenschreiber. Die Verlagsbeziehung endete offenbar erst, als Hezel 1801 eine Professur im baltischen Dorpat übernahm.
Die Bibel von Georg Wilhelm Rullmann 1790/91
Auch dem Theologen Georg Wilhelm Rullmann (1757-1804), Professor an der Universität Rinteln, gab Helwing Gelegenheit, seine annotierte Neu-Übersetzung des Neuen Testaments im Verlag der Meyerschen Hofbuchhandlung zu veröffentlichen (14.02.1308). Helwing besaß in Rinteln, der zu Lemgo nächstgelegenen Universitätsstadt, die Academische Buchhandlung, und die Rintelner Professoren publizierten häufig in seinem Verlag. Die Universität stand zwar im Ruf intellektueller Mittelmäßigkeit, doch war sie im nordwestdeutschen Raum neben Helmstedt die einzige protestantische Universität überhaupt. Rullmann hatte bereits in Rinteln studiert und akademisch gelehrt, als er 1787 auf eine ordentliche Professur berufen wurde. Seine Bibelübersetzung erschien 1790/91 bei Helwing in drei Bänden. In der Vorrede zum ersten Band teilt der Verfasser mit: »Es würde das ganze Werk auf die Ostermesse gekommen seyn, da die Handschrift schon völlig ausgearbeitet und fertig ist, wenn nicht die Pressen der Verlagshandlung allzu sehr wären beschäftiget gewesen.«
Die Veranlassung zum Druck seiner Übersetzung erklärt Rullmann ausführlich: es hätten nämlich in seinen Vorlesungen die Zuhörer die von ihm vorgetragene moderne Übersetzung immer eifrig mitgeschrieben und darüber seinen exegetischen Ausführungen nicht genug Aufmerksamkeit geschenkt: »Zunächst gieng also meine Absicht auf Studierende, welche hierdurch des Nachschreibens der Uebersetzung überhoben werden und zugleich Gelegenheit bekommen sollten, sich durch dieses Buch auf das im Collegio abzuhandelnde Stück vorzubereiten, und nachher es zu wiederholen.« Diesen Studierenden sollte seine annotierte Ausgabe zugleich den Nichtbesitz eine kritischen Ausgabe des griechischen Urtextes »einigermaaßen ersetzen«. Darüber hinaus sollte sie all jenen nützen, »die das Original nicht lesen können, und sich doch bey Luthers Uebersetzung nicht beruhigen wollen.« Auch denen, die auf der Universität exegetische Vorlesungen versäumt haben und ihre Wissenslücken mit den Mitteln ihrer Privatbibliothek nicht füllen können, sollte sie dienlich sein.
Seltsam nimmt sich Rullmanns Ablehnung der Lutherbibel aus, denn Rinteln war eine lutherische Universität und Rullmann lehrte lutherische Theologie. Er schreibt: »Keiner Anhänglichkeit an Luthern wird man mich beschuldigen können, da ich Luthers Uebersetzung, so sehr ich sie auch schätze, seit meiner Jugend doch fast nie gebraucht, und bey der Arbeit nachgeschlagen habe. Wo ich also mit ihm zusammentreffe, da geschieht es blos von ungefähr.« Hier ist Rullmanns Vorwort ein beredtes Zeugnis für die kritische Beurteilung der Lutherbibel durch die Aufklärungstheologie und stellt seine Unternehmung in den Zusammenhang der neuentstehenden historisch-kritischen Bibelwissenschaft am Ende des 18. Jahrhunderts. Einen Sinn für Luthers sprachschöpferische Leistung entwickelten erst wieder die Goethezeit und die Romantik.