März im Jahr der Bibel: Biblia cum glossa ordinaria (Th 69a.2°)
Kommentierte Bibelausgabe. Straßburger Wiegendruck, nicht nach 1480.
Die Lippische Landesbibliothek nimmt das „Jahr der Bibel 2003“ mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Lippe und deutschlandweit zum Anlass, allmonatlich ein herausragendes Exemplar des Buches der Bücher aus ihrer reichhaltigen Bibelsammlung zu präsentieren. Im März zeigt sie die lateinische Bibel des Straßburger Druckers Adolf Rusch, einen Wiegendruck aus den Jahren vor 1480.
Von Detlev Hellfaier
Die bis zum Jahre 1500 einschließlich hergestellten Druckwerke werden gemeinhin „Inkunabel“ (incunabula = Windeln, Wiege) oder Wiegendruck genannt, sind sie doch zu einer Zeit entstanden, als der Buchdruck gleichsam noch „in der Wiege“ oder „in den Windeln“ lag“. Die Buchdruckerkunst, also das Hochdruckverfahren mit Hilfe beweglicher Lettern, die für jedes Druckwerk eigens zusammengesetzt und nach dem Druck wieder auseinandergenommen werden konnten, war erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts erfunden worden.
Die kommentierte Bibel-Edition Biblia cum glossa ordinaria (Signatur Th 69a.2°) wurde nach ihrem Erscheinen spätestens im Jahre 1480 nicht nur von der Fachwelt mit anerkennendem Staunen zur Kenntnis genommen. Wegen der drucktechnischen Meisterleistung erfuhr der Straßburger Papierhändler und Drucker Adolf Rusch höchstes Lob und wurde deshalb sogar von dem Humanisten Rudolf von Langen († 1519) aus Münster mit einem 1486 gedruckten Gedicht gefeiert.
Das Druckwerk war eine Auftragsarbeit für den Nürnberger Verleger Anton Koberger und wurde mit geliehenen Typen des Druckers Johann Amerbach aus Basel ausgeführt. Zwischen den Offizinen Amerbachs und Ruschs bestehende geschäftliche Beziehungen hatten das Ausleihen des Typensatzes ermöglicht. Überhaupt erfreute sich das ebenmäßige Typenalphabet Amerbachs großer Beliebtheit. Und da es noch keinen Patentschutz gab, ließ der Basler Drucker Peter Kolliker den Typensatz kurzerhand 1483 nachschneiden, um damit eigene Schriften herauszugeben; auch Anton Koberger gab 1492 einen Nachschnitt in Auftrag.
Dem großen Werk lag ein neues Konzept der kommentierten Bibelausgabe zugrunde. In den Bibeltext wurden zwei kommentierende Texte eingefügt. Als „Interlinearglosse“ steht der Kommentar zwischen den Zeilen des Grundtextes, als „Marginalglosse“ läuft er zweispaltig außen um ihn herum, kunstvoll drucktechnisch positioniert. Diese Form der Textkommentierung ist kennzeichnend für die Glossa interlinearis et ordinaria, kurz Glossa ordinaria.
Inhaltlich fasst die vorliegende Kommentierung der Bibel die ältere und frühscholastische Exegese zusammen. Als ihre Verfasser werden im Titel der Benediktiner Walahfrid Strabo und der Gelehrte Anselm von Laon genannt. Walahfrid (808/809-849) war Abt im Kloster Reichenau, hatte mit der Abfassung der Glossen aber wohl nichts zu tun. Sein berühmter Name sollte eher für den nötigen Absatz der Bibel sorgen. So muss Anselm von Laon († 1117), Gelehrter, Dichter und Lehrer an der dortigen Kathedralschule, als der eigentliche Autor der wesentlichen Textpassagen gelten.
Für eine vollständige Ausgabe dieses Bibeldruckes musste die stattliche Summe von 18 Gulden bezahlt werden. Die Ausstattung mit Blüten und kunstvollen Initialen, die von Hand eingefügt wurden, schlug noch einmal mit 15 Gulden zu Buche. Und dann fehlte immer noch der Einband, den sich der Käufer je nach Geschmack und Größe des Geldbeutels in einer geeigneten Buchbinderwerkstatt herstellen ließ.
Mit den beiden in der Detmolder Landesbibliothek vorhandenen Bänden ist die Straßburger Bibel leider nicht vollständig. Der erste Band enthält die Genesis bis zum Buch Ruth, der zweite Band reicht vom 1. Buch der Könige bis zu den Psalmen, die übrigen Teile sind verschollen. Nach einem Besitzeintrag aus dem späten 15. oder auch beginnenden 16. Jahrhundert zählte die Bibel ursprünglich zur Büchersammlung eines gewissen Johannes, Geistlicher im Benediktinerinnenkloster Walsrode. Wahrscheinlich ist jener mit dem letzten Propst des Klosters, Johann Wichmann (Propst 1515-1531), identisch. Der Weg der Bibel nach Detmold bleibt bisher im Dunkel.