Jahr der Bibel 2003

Juni

Bibel mit Holzschnitten von Jost Amman

Juni im Jahr der Bibel: Die Bibel mit Holzschnitten von Jost Amman

Frankfurt am Main 1564. Signatur: Th 79.2° Simon

Die Lippische Landesbibliothek nimmt das „Jahr der Bibel 2003“ mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Lippe und deutschlandweit zum Anlass, allmonatlich ein herausragendes Exemplar des Buches der Bücher aus ihrer reichhaltigen Bibelsammlung zu präsentieren. Im Juni zeigt sie die reich illustrierte Bibel mit den Holzuschnitten von Jost Amman aus dem Jahr 1564.

Von Julia Hiller von Gaertringen

Bibel mit Holzschnitten von Jost Amman (Th 79.2° Simon)

Den Wittenberger Bibeldruckern, die seit Luthers Tod 1546 als Hüter und Wahrer des unverfälschten Lutherschen Bibeltextes auftraten, entstand seit 1559 eine ernsthafte Konkurrenz in Frankfurt am Main. Hier war zwar erst verhältnismäßig spät, im Jahr 1530, eine erste Buchdruckerei entstanden, und der Bibeldruck hatte kaum eine Rolle gespielt – jetzt aber begründete Sigmund Feyerabend (1528-1590) ein leistungsfähiges Verlagsunternehmen. Als gelernter Formschneider, also jemand, der Vorzeichnungen für Holzschnitte in den Holzstock zu schneiden verstand, verband er sich mit den Druckern Georg Rab und Weigand Han und war bald als skrupelloser Geschäftsmann berüchtigt. Sein Verlag produzierte theologische und juristische Literatur für den gesamteuropäischen Markt, hatte aber vor allem großen Erfolg mit reich illustrierten Werken für deutsche Leser.

Eines der ersten Verlagserzeugnisse Feyerabends war 1560 ein prächtiger, von Virgil Solis illustrierter Nachdruck der Lutherbibel, von dem Feyerabend fast jährlich Neuauflagen herausbrachte. Offensiv bemühte er sich, Druckprivilegien für seine Bibel in verschiedenen deutschen Territorien zu erlangen und den Wittenberger Bibeldruckern Marktanteile abzujagen. Die allerdings wehrten sich und schafften es, zumindest ihr Privileg im Kurfürstentum Sachsen zu verteidigen; August von Sachsen verbot 1564 sogar den Verkauf der Frankfurter Bibeln auf der Leipziger Buchmesse.

Ab 1564 ließ Feyerabend seine Bibel mit neuen Illustrationen erscheinen. In der Vorrede schreibt er, er habe, was die Abbildungen betreffe, „gantz neuwe, schöne, künstliche (wie denn ein so edel theuwer Werck desselben wohl wehrt) zurichten lassen, durch welche wir sonderlich dem gemeinen Mann, und der lieben Jugend, die Historien desto eigentlicher und verstendiger für die augen stellen und eynbilden haben wöllen.“ Die neuen Holzschnitte stammten von Jost Amman (1539-1591), der in der Folge zum bedeutendsten und beliebtesten Buchillustrator Deutschlands wurde. In den Jahren 1563 bis 1590 lieferte er etwa 2000 Titelblätter und Buchholzschnitte an Feyerabend. Er illustrierte das heute noch berühmte Ständebuch mit 114 Abbildungen verschiedener Berufe, das Turnier- und das Wappenbuch, das Tier-, das Jagd- und das Pferdebuch, das Koch- und das Kartenspielbuch und die populären Trachtenbücher. So besitzt auch die Lippische Landesbibliothek das Turnierbuch und das Frauenzimmer-Trachtenbuch Jost Ammans in Originalausgaben. Zur Bibelausgabe von 1564 trug Amman insgesamt 144 Holzschnitte bei.

Die Erstausgabe der Amman-Bibel von 1564, im feierlichen Folio-Format mit großen, gut lesbaren Lettern gedruckt, ist in der Lippischen Landesbibliothek nur mit ihrem zweiten Band erhalten, der den Psalter und das Neue Testament enthält. Der Band stammt aus dem Besitz des Grafen Johann von Waldeck-Landau (1521/22-1567), dessen Initialen IGUEZW (= Johann Graf und Edelherr zu Waldeck) und das Jahr 1566 in den schön verzierten schweinsledernen Renaissanceeinband eingeprägt sind. Johann von Waldeck-Landau war mit Gräfin Anna zur Lippe († 1590) verheiratet, einer Tante des Grafen Simon VI. zur Lippe (1554-1613), in dessen private Bibliothek die Bibel später gelangte.

Johann von Waldeck-Landau hat sich eine kolorierte Ausgabe der Amman-Bibel gegönnt. Besonders reich verziert sind die Titelblätter. Die Rahmenleisten der beiden Titelblätter zu den Prophetenbüchern und zum Neuen Testament sind identisch. Sie zeigen in der Mitte oben die Geburtsszene Jesu mit der Anbetung der Hirten, links oben die Heilung des Lahmen, darunter Christus am Ölberg, rechts oben die Auferstehung und darunter das Pfingstwunder. In der Mitte unten stellt eine Kartusche den Frankfurter Wappenadler dar. Aus den Prophetenbüchern verdient die Illustration zum Propheten Micha besondere Beachtung: was nämlich aussieht wie eine Illustration zur Geburtsgeschichte Jesu im Lukasevangelium, ist eine Abbildung zur Prophezeiung des Micha: Und du Bethlehem Ephrata, die du klein bis unter den Städten in Juda, aus dir soll mir der kommen, der in Israel Herr sei, dessen Ausgang von Anfang und von Ewigkeit her gewesen ist (Micha 5,1).

Während die frühen Lutherbibeln, auf den Reformator selbst zurückgehend, auf eine Illustration der Evangelien verzichteten und mit den Portraits der vier Evangelisten auskamen, enthielten Feyerabends Bibeln erstmals auch Abbildungen zu den Evangelien. Und nicht nur die Offenbarungsbilder haben, wie schon in Luthers Septembertestament von 1522, zeitgeschichtliche Bezüge – auch die Evangelienbilder beziehen drastisch Stellung in dieser Zeit der Gegenreformation und der innerprotestantischen Glaubenskämpfe. So zeigt Ammans Illustration zum Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Luk. 10, 25-37) den Priester, der an dem Überfallenen vorbeigeht, als einen Brevier lesenden Benediktinermönch und den Leviten, der auch nicht hilft, als einen katholischen Prälaten im Talar, den barmherzigen Samariter aber als einen heidnischen Türken. Und der Holzschnitt zum Gleichnis vom guten Hirten und dem Schafstall als Reich Gottes (Joh. 10, 1-30) zeigt unter den Dieben und Räubern, die anders als durch Christus ins Reich Gottes zu kommen trachten, einen Benediktinermönch, der eine Latte aus der Stallwand herausreißt, und einen reformierten Geistlichen, der mit einer Leiter über das Dach hineinzugelangen versucht.

Schon 1565 verlegte Feyerabend eine Neuauflage der Amman-Bibel. Diese besitzt die Lippische Landesbibliothek vollständig. Die Titelblätter und die Illustrationen sind identisch. Der Satzspiegel hingegen ist gedrungener, mit 15,5 cm in der Breite genau an die Breite der Holzschnitte angepasst. Die Drucktype ist kleiner, die Initialen sind einfacher gestaltet. Auch diese Bibel stammt aus dem Besitz des Grafen Simon VI. Sie ist in einen einfachen dunklen Schweinslederband gebunden, der nur mit wenigen Streicheisenlinien verziert ist, dafür aber einen mit Punktstempeln schön verzierten Goldschnitt aufweist.

Die Amman-Bibeln waren für den Verleger Feyerabend ein einträgliches Geschäft, weitere Ausgaben der Folio-Bibel erschienen 1569, 1570, 1577, 1580 und 1583. Schon 1566 ließ er eine lateinische Bibel mit Ammans Holzschnitten drucken, von der es ebenfalls zwei Neuauflagen gab. Bibelausgaben in kleineren Formaten waren mit anderen Holzschnittserien Ammans ausgestattet. Da aber die Holzschnitte auch unabhängig vom Text sehr gesucht waren, gab Feyerabend die beliebten Bildserien schon seit 1564 immer wieder auch separat heraus.