Jahr der Bibel 2003

August

Bibel der Grafen Otto und Casimir zur Lippe-Brake

August im Jahr der Bibel: Die Bibel der Grafen Otto und Casimir zur Lippe-Brake von 1606 (Th 83.2°)

Die Lippische Landesbibliothek nimmt das „Jahr der Bibel 2003“ mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Lippe und deutschlandweit zum Anlass, allmonatlich ein herausragendes Exemplar des Buches der Bücher aus ihrer reichhaltigen Bibelsammlung zu präsentieren. Im August zeigt sie die Bibel der Grafen Otto und Casimir zur Lippe-Brake von 1606.

Von Detlev Hellfaier

Zahlreiche Bibeln der Lippischen Landesbibliothek rühren aus dem Besitz ihrer Gründerfamilie, der Grafen und edlen Herren zu Lippe. Überschaubar ist allerdings die Zahl derjenigen, die durch Besitzeinträge, Notizen oder sonstige Arbeits- und Lektürespuren die adligen Vorbesitzer persönliche Konturen gewinnen lassen. Um so willkommener ist daher, dass eine hochdeutsche Lutherbibel im Folioformat, die im Jahre 1606 in Wittenberg von Lorenz Seuberlich gedruckt und von Samuel Selfisch verlegt worden ist, den Weg in die Lippische Landesbibliothek gefunden hat (Signatur Th 83.2°), denn diese Bibel trägt auf unbedruckten Blättern handschriftliche Eintragungen zur Familiengeschichte des Begründers der Linie zu Lippe-Brake, Otto (1589-1657), und seines Sohnes und Nachfolgers Casimir (1627-1700). Bis ins 19. Jahrhundert befand sich darin zudem als Loseblatteinlage die sogenannte „Nachrichtung“, der letzte Wille und Lebenslauf des Grafen Otto, die dieser 1636 eigenhändig niedergelegt und seiner Bibel anvertraut hatte; das private Dokument des Grafen befindet sich heute getrennt von seinem ursprünglich intimen Aufbewahrungsort im Nordrhein-Westfälischen Staatsarchiv Detmold. Ausstattung, handschriftliche Eintragungen, Vermächtnis, Lebensrückschau, Weitervererben und damit Traditionspflege dieser Wittenberger Bibelausgabe erfüllen alle die Kriterien, die eine Familienbibel im besten Sinne auszeichnen.

Schon im 19. Jahrhundert wurde die Bibel neu eingebunden, im Jahre 1982 dann restauriert und mit einem neuen Ledereinband versehen; vom ursprünglichen Einband sind allein die vier mit Kreis- und Blütenornamenten versehenen Beschläge sowie die spiralförmigen Schließen erhalten geblieben; gemeinsam mit dem vergoldeten Blattrandschnitt lassen diese Ornamente einen ehemals recht prächtigen Einband vermuten. Das Titelblatt zeigt in typischer Renaissancemanier einen vielteiligen Rahmenaufbau aus Rollen- und Rankenwerk, dargestellt sind im Einzelnen Sündenfall, Propheten und Evangelisten sowie die Geburt Christi; die in roter und schwarzer Fraktur gedruckte Titelinschrift wird von Moses und Johannes dem Täufer flankiert. Als Motiv für sein Signet wählte der Verleger Selfisch eine Darstellung der Salbung Davids; das Signet kehrt in diesem Bibeldruck mehrfach wieder.

Die Bücher beider Testamente, vorrangig aber des Alten Testaments, sind mit rund 240 prächtigen, zumeist umrahmten Illustrationen versehen. In der Mehrzahl handelt es sich um Holzschnitte, die bereits frühere Drucke der Lutherbibel geschmückt haben, aber auch um bis dahin unbekannte Schnitte sowie Nachschnitte bedeutender Künstler. Namhaft gemacht werden können Lucas Cranach d. Ä., Johann Teufel, Georg Lemberger, Hans Brosamer, Virgil Solis, Lucas Meier, Meister Enderle sowie einige Monogrammisten. Die Holzschnitte, aber auch die Initialen sind nachträglich ebenso liebevoll wie akkurat wohl von Angehörigen der gräflichen Familie mit Wasserfarben ausgemalt worden.

Mit dem Buchhändler, Verleger und Papierhändler Samuel Selfisch (1529-1615), der diese Bibel in sein Verlagsprogramm aufgenommen hatte, begegnet uns die „bedeutendste Verlegerpersönlichkeit, die Wittenberg jemals besessen hat“. Nach Buchhändlerlehre und Geschäftsführertätigkeit bei Wittenberger Verlegern stieg der aus Erfurt gebürtige Selfisch im Jahre 1564 in die Sortiments- und Verlagsbuchhandlung des verstorbenen Verlegers Christoph Schramm d. Ä. ein und bildete gemeinsam mit den Partnern Moritz Goltze und Conrad Rühel das Wittenberger Verlegerkonsortium; gemeinsam mit diesen kam er zugleich in den Genuss des Bibeldruckprivilegs, das Kurfürst August von Sachsen im gleichen Jahr für das Konsortium ausgestellt hatte. Nachdem er darüber hinaus 1574 ein – zunächst befristetes – kurfürstliches Privileg für die Herausgabe von Bibeln im Quartformat (< 35 cm) erhalten hatte, gelang es ihm gegen Ende des 16. Jahrhunderts, den Wittenberger Bibeldruck in weitem Umfange an sich zu ziehen. Nicht nur das Privileg für die Quartbibel wurde verlängert, sondern darüber hinaus auch auf die Herausgabe von Bibeln im Folioformat (> 35 cm) ausgedehnt.
Während der Verleger seine Verlagserzeugnisse zunächst bei den nicht minder berühmten Wittenberger Buchdruckern Hans Lufft, Hans Krafft und Georg Rhau drucken ließ, erwarb er 1596 die Offizin des verstorbenen Druckers Matthäus Welack mit allem Inventar und übernahm sogleich das dort tätige Personal. Die Druckerei ließ er von dem Buchdrucker Lorenz Seuberlich führen; dieser druckte zehn Jahre lang auch die hier vorliegende Foliobibel von 1606. Über diesen Drucker ist vergleichsweise wenig bekannt. Schon 1590 war er in Wittenberg tätig, taucht drei Jahre später in Frankfurt an der Oder auf, um dann von 1597 bis zu seinem Tode 1613 Selfischs Druckerei zu leiten. Während dieser Zeit druckte er alle bei Selfisch herausgegebenen Oktav- und Foliobibeln.

Ein letzter Höhepunkt in Selfischs Tätigkeit als Bibelverleger bedeutete das Jahr 1605, als ihm Kurfürst Christian II. von Sachsen das Privileg für die Herausgabe von Bibeln im Oktav- und im Folioformat mit den Summarien des Wittenberger Theologieprofessors Leonhard Hutter (1563-1616) erteilte. Letzterer gilt als der radikalste Vertreter der lutherischen Orthodoxie, er bekämpfte nicht nur erfolgreich den in Kursachsen populären „Philippismus“ Melanchthons, sondern stellte sich jedem Versuch, die Reinheit des lutherischen Bekenntnisses zu trüben oder gar eine Annäherung der beiden protestantischen Konfessionen anzubahnen, schrill entgegen. Seine Gegnerschaft zum Calvinismus war geradezu sprichwörtlich und brachte ihm den Beinamen „malleus Calvinistarum“ (= Geißel – wörtl. „Hammer“ – der Calvinisten) ein, hingegen verehrten ihn seine Anhänger als „Lutherus redonatus“ (= der wiedergeschenkte Luther). Erstes Ergebnis dieses neuen buchhändlerischen Unternehmens war die 1606 mit den Bildnissen Martin Luthers und der sächsischen Kurfürsten ausgestattete sogenannte „Medianbibel“, von der ein Exemplar über die Grafen zur Lippe-Brake den Weg in die Lippische Landesbibliothek gefunden hat. Laut Verlagskatalog belief sich der Preis seinerzeit für das 297 Bögen umfassende Werk auf drei Gulden, 10 Groschen und 6 Pfennige; der Einband war darin noch nicht enthalten.

Bisher muss offen bleiben, wann und auf welchem Wege die gräfliche Familienbibel in den Besitz des Grafen Otto zur Lippe-Brake gelangt ist. Haben wir in der Aufzeichnung seiner Eheschließung mit Margarete von Nassau am 7. Oktober 1626 eine zeitgleiche Eintragung vor uns, käme dieses Jahr als terminus ante quem in Frage, doch machen die Aufzeichnungen eher den Eindruck, als seien sie später, wenn nicht sogar in einem Zuge niedergeschrieben. Da das Erscheinungsjahr 1606 identisch mit dem Geburtsjahr der Gräfin Margarete ist, ließe sich ebenso ein Taufgeschenk konstruieren und die junge Frau hätte dieses mit in die Ehe gebracht. Wie dem auch sei, eine mit den Kommentaren des kompromisslosen Anticalvinisten Hutter versehene Luther-Bibel als Traditionsträger in hoher Wertschätzung ist sowohl für den lippe-brakischen als auch für den naussauischen Hof, die sich beide nachdrücklich für das reformierte Bekenntnis entschieden hatten, sicher bemerkenswert.

Graf Otto zu Lippe-Brake jedenfalls, der als nachgeborener Sohn Simons VI. gemäß dem 1597 abgefassten Testament seines Vaters die Herrschaft in den lippischen Ämtern Brake, Barntrup, Blomberg und später auch Schieder übernommen hatte und sich zeitlebens nicht mit dem Status eines von der Regierung ausgeschlossenen Erbherrn abfinden konnte, hat in stets wiederkehrendem Formular neben seiner Eheschließung und der Heimführung seiner Braut vor allem Geburt, Taufe, Taufpaten, deren Stellvertreter und Taufgeschenke seiner 12 Kinder – davon sieben Söhne und fünf Töchter – in Gestalt chronikalischer Notizen niedergelegt; zweimal hatte er die traurige Pflicht, das Ableben eines Sohnes und einer Tochter seiner Bibel anzuvertrauen. Dem ältesten Sohn und Nachfolger Casimir blieb es vorbehalten, diese Tradition zunächst weiter zu pflegen. Neben dem Tod von Vater und Mutter vermerkte er vergleichsweise knapp seine Heirat mit Anna Amalia von Sayn-Wittgenstein-Homburg am 28. Mai 1663 sowie die Geburt und Taufe seiner ersten drei Söhne, die noch folgenden sechs Kinder wurden nicht mehr eingetragen und die gräfliche Familienbibel verschwand bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts aus dem Blickfeld; seither ist sie nachgewiesener Bestand der Lippischen Landesbibliothek.