Jahr der Bibel 2003

April

Frühe Lutherbibeln

April im Jahr der Bibel: Das Wort Gottes lebendig in seiner Zeit

Die Bibelübersetzung Martin Luthers im Original

Die Lippische Landesbibliothek nimmt das „Jahr der Bibel 2003“ mit seinen vielfältigen Aktivitäten in Lippe und deutschlandweit zum Anlass, allmonatlich ein herausragendes Exemplar des Buches der Bücher aus ihrer reichhaltigen Bibelsammlung zu präsentieren. Im April zeigt sie die Bibelübersetzung Martin Luthers im Original.

Von Julia Freifrau Hiller von Gaertringen

Im Jahr 1517 hatte Martin Luther seine 95 Thesen zum Ablass veröffentlicht, 1521 auf dem Reichstag zu Worms den Widerruf der Thesen verweigert. Auf dem Rückweg von Worms nach Wittenberg wurde er im Auftrag seines Landesherrn, des Kurfürsten Friedrich von Sachsen, entführt und auf die Wartburg gebracht. Seine Haft dort in den nächsten zehn Monaten bewahrte ihn vor dem Vollzug der Reichsacht, die nun über ihn verhängt war. Luther nutzte die unfreiwillige Arbeitspause für eine eigene Übersetzung des Neuen Testaments. In nur drei Monaten übertrug er es aufgrund der griechisch-lateinischen Ausgabe des Erasmus von Rotterdam aus dem Urtext ins Deutsche – eine kühne Leistung, fehlten ihm doch dafür auf der Wartburg sämtliche wissenschaftlichen Hilfsmittel.

Ein halbes Jahr nach Luthers Rückkehr nach Wittenberg, im September 1522, erschien dort die Übersetzung des Neuen Testaments im Druck. Dieses sogenannte September-Testament, in einer Auflage von 3000 Exemplaren hergestellt, war trotz des hohen Preises (½ Gulden = Preis für ein halbes Kalb) in kürzester Zeit ausverkauft.

Schon im Dezember 1522 ließ Luther eine zweite Auflage drucken, in der er Hunderte Korrekturen und stilistische Veränderungen vorgenommen hatte. Diese Ausgabe ist das sogenannte Dezember-Testament, von dem die Lippische Landesbibliothek ein seltenes, wenngleich stark vom Wurmfraß beeinträchtigtes Exemplar (Th 76.2°) besitzt.

Luther ist nicht als Übersetzer genannt, aber der Drucker Melchior Lotther ist angegeben. Noch 1522 gab es an anderen Druckorten zwölf Nachdrucke von Luthers Neuem Testament. Bis 1533 erschienen insgesamt 85 Ausgaben, sowohl von Luther selbst autorisierte Drucke als auch Nachdrucke.

Wie schon der Erstausgabe sind dem Dezember-Testament eine Vorrede Luthers und erläuternde Randbemerkungen beigegeben, häufig durchaus zeitkritischen Inhalts.

Holzgeschnittene Bildinitialen und 21 ganzseitige Holzschnitte zur Offenbarung nach Zeichnungen Lucas Cranachs d. Ä. und seiner Werkstatt sollten als Bildschmuck den Verkauf befördern. Dabei wurden die apokalyptischen Bilder in reformatorischem Gestus zur Polemik gegen die Papstkirche genutzt. Die antichristlichen Mächte werden als klerikale gezeigt; das Tier aus dem Abgrund (Off. 11,7), das Tier auf dem Thron (Off. 16,10) und die babylonische Hure (Off. 17, 3ff.) tragen die päpstliche Tiara. Im Dezember-Testament ist aus der Papstkrone durch Herausschneiden der beiden oberen Kronreifen aus dem Holzstock jeweils eine einfache Krone geworden und die Polemik entschärft; es wird angenommen, dass dies auf Anordnung des Kurfürsten Friedrich geschah. Spätere Ausgaben bilden die Tiara wieder vollständig ab.

Seit seinem Wartburg-Aufenthalt plante Luther, auch das Alte Testament ins Deutsche zu übertragen. Ab 1523 veröffentlichte er bei Wittenberger Druckern zahlreiche Einzeldrucke und Teilausgaben. Um eine philologisch korrekte und zugleich sprachlich optimale Übersetzung aus dem hebräischen Urtext leisten zu können, scharte er eine Arbeitsgruppe kompetenter Gelehrter um sich, das Collegium biblicum, zu dem unter anderen Philipp Melanchthon gehörte. Die erste Ausgabe der vollständigen Bibelübersetzung Luthers erschien 1534 in Wittenberg bei Hans Lufft. Luther und seine Mitarbeiter überarbeiteten ihre Übersetzung immer wieder neu; zuletzt unterzogen sie in den Jahren 1539 bis 1541 noch einmal die ganze Bibel einer Revision. Die letzte, von Luther eigenhändig redigierte Ausgabe kam 1545 heraus.

Die Lippische Landesbibliothek besitzt als älteste hochdeutsche Lutherbibel (Th 78.2°) eine Ausgabe der Offizin des Hans Lufft aus dem Jahr 1555; der zweite Teil kommt aus der Druckerei von Georg Rhau, mit dem sich die Lufftsche Druckerei wegen Arbeitsüberlastung den Auftrag teilte. Diese Bibel gehörte einstmals dem Grafen Simon VI. zur Lippe. Zwischen und neben das zweispaltig Gedruckte ist in den Luthertext überall lateinischer und griechischer Text eingetragen: die Bibel war das Arbeitsexemplar eines Gelehrten, der sich gründlich mit Luthers Übersetzung beschäftigte. Vermutlich war dies der reformierte Theologe Christoph Pezel, mit dem Simon VI. in Verbindung stand und der den lippischen Landesherrn in seiner Kirchenpolitik maßgeblich beeinflusst hat. Der Graf hat Pezels Sohn in seinen Dienst gestellt, und mit dessen Buchbesitz gelangte 1634 auch die Bibliothek seines Vaters Christoph in den Altbestand der Lippischen Landesbibliothek.

Der Bilderschmuck der Ausgabe von 1555 nach Illustrationen von Georg Lemberger und Hans Brosamer ist sehr reichhaltig; auf dem kolorierten Titelblatt sieht man die vier Evangelistensymbole und unter dem Kreuz kniend Kurfürst Friedrich von Sachsen und den Reformator selbst. Der schöne zeitgenössische Renaissance-Einband ist mit Rollen- und Plattenstempeln versehen und zeigt Szenen aus dem Neuen Testament.

In Norddeutschland herrschte im 16. Jahrhundert das Niederdeutsche auch als Schriftsprache noch so sehr vor, dass sich die Luther-Bibel hauptsächlich in einer niederdeutschen Übertragung verbreitete.

Die älteste niederdeutsche Lutherbibel der Lippischen Landesbibliothek ist eine noch von Luther selbst autorisierte Ausgabe seines Bibeldruckers Hans Lufft aus dem Jahr 1541 (Th 77.2°). Sie ist zugleich die einzige zu Lebzeiten Luthers in Wittenberg gedruckte niederdeutsche Vollbibel. Ihr Text beruht auf der 1539/1541 durchgeführten Komplettrevision der Lutherbibel; im Anhang finden sich Auslegungen des Übersetzers Johannes Bugenhagen und Summarien des Luther-Mitarbeiters Veit Dietrich.

Das Titelblatt, die Baum-Allegorie von Sündenfall und Erlösung, geht auf einen Entwurf von Lucas Cranach d. J. zurück. Das Detmolder Exemplar der niederdeutschen Lutherbibel stammt aus der Blomberger Kirchenbibliothek und ist in deren Katalog von 1678 auch aufgeführt. Es ist leider unvollständig; die prophetischen Bücher und das Neue Testament fehlen, auch der alte Einband ist nicht erhalten.

Von den früheren Bibelübersetzungen ins Deutsche unterschied sich Luthers Version nicht nur darin, dass sie statt des kanonisierten lateinischen Bibeltextes der Vulgata den hebräischen und griechischen Urtext zu Grunde legte. Der Absicht, den Bibeltext der Denk- und Redeweise seines zeitgenössischen Publikums anzueignen, Gottes Wort in „gutem Deutsch“ allgemeinverständlich auszudrücken, entsprach das Verfahren einer weniger wort- als sinngetreuen Verdolmetschung. In ihrer Sprachmächtigkeit, Einprägsamkeit und Treffsicherheit ist die Lutherbibel bis heute maßgeblich geblieben.