Die Graphische Sammlung der Lippischen Landesbibliothek
von Christine Rühling. Druckfassung in: Heimatland Lippe (2022) 4, 34-36.
Von Dürer bis Kollwitz, von Achenbach bis Menne… Die Lippische Landesbibliothek besitzt mit ihrer rund 1100 Blätter umfassenden Graphischen Sammlung bemerkenswerte Kunstwerke, von denen die frühsten aus dem 16. Jahrhundert stammen. Die bisher weitgehend unbekannte Sammlung wird nun konservatorisch bearbeitet und elektronisch erfasst, um sie für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Besondere und einzigartige Stücke können Sie schon jetzt in der neuen Bilddatenbank der Bibliothek entdecken (https://bilder.llb-detmold.de ).
Die Entstehung der Graphischen Sammlung im 19. Jahrhundert
Wer die Schubladen der Graphikschränke in den Magazinen der Bibliothek öffnet, staunt nicht schlecht: Dort liegen Holzschnitte und Kupferstiche neben Radierungen, Bleistiftzeichnungen, Aquarellen und Handzeichnungen. Unweigerlich fragt man sich: Kunst in der Bibliothek? Für eine „alte“ Institution wie die Lippische Landesbibliothek ist das Vorhandensein einer solchen Sammlung nicht ungewöhnlich. Aus ihren Anfängen in der Renaissance, der Zeit der Kunst- und Wunderkammern, sind jedoch nur einzelne Stücke überliefert. Das aktive Sammeln von graphischen Blättern begann hier deutlich später: Bis Ende des 19. Jahrhunderts besaß die Bibliothek – von einigen Büsten und Kupferstichen abgesehen – keine umfangreiche Kunstsammlung. Erst das Geschenk einer großzügigen Lipperin sollte dies ändern. Am 5. Juli 1884 veröffentlichte der Leiter der Fürstlich Öffentlichen Bibliothek (so der damals offizielle Name der Lippischen Landesbibliothek) Otto Preuß in der Landeszeitung einen Beitrag über die „Kunstsammlung der öffentlichen Bibliothek“. Dort konnte er dem kunstinteressierten Publikum eine bemerkenswerte Mitteilung machen:
Der bereits vorhandene „Vorrat von Kunstsachen hat nun vor Kurzem einen sehr erfreulichen Zuwachs erhalten, indem eine Detmolderin, die verst. Witwe des Hofjägermeisters von Donop in patriotischer Gesinnung sich veranlaßt gefunden hat, neben der Bibliothek des Letzteren auch die von demselben während einer langen Reihe von Jahren gesammelten artistischen Schätze letztwillig der öffentlichen Bibliothek zu überweisen.“
Diese „patriotische Gesinnung“ veranlasste die Witwe von Donop, ihr Vermögen im Land zu verteilen: Ein Großteil ging an die Stadt Detmold und verschiedene Einrichtungen (den Donopbrunnen auf dem Detmolder Markt zu bauen, war eine mit dem Testament verknüpfte Auflage), die Bibliothek erhielt 18 Ölgemälde, Bilder der Glasmalerei, Original-Handzeichnungen und Aquarelle neuerer Meister, über 100 Kupferstiche sowie kostbare illustrierte Werke und Kunstbücher. Ihr wurde außerdem die Donop’sche Büchersammlung vermacht, die ungefähr 2000 Bücher umfasste.
Diese Schenkung, das Donop’sche Legat, ist für sich ein bemerkenswertes Zeugnis einer privaten (bürgerlichen) Sammelkultur und gibt Einblicke, für welche Künstler und Stücke der solvente Kunstsammler des 19. Jahrhunderts bereit war, eine nicht unbeträchtliche Menge Zeit und Geld zu investieren: Zunächst sind dabei Holzschnitte, Radierungen und Kupferstiche „älterer Meister“ (so der Name der Rubrik im Katalog, den Preuß vom Donop’schen Legat anlegte) zu nennen – darunter klingende Namen wie Dürer oder van Dyck. Unikate wie die Ölgemälde, die 1897 an den Vorläufer des Lippischen Landesmuseums abgegeben wurden, und Aquarelle und Zeichnungen stammen hingegen überwiegend von Künstlern des 19. Jahrhunderts, etwa von Vertretern der Düsseldorfer Malerschule wie Andreas Achenbach und von Malern mit lippischem Bezug wie Carl Rötteken, Ludwig Menke oder Emil Zeiß. Auch der Erwerbungsschwerpunkt bei den übrigen gedruckten Blättern lag im weitesten Sinne auf zeitgenössischen Kunstschaffenden.
So stellt das Donop’sche Legat den Kern der Graphischen Sammlung dar und weckte bei nachfolgenden Bibliothekaren ein durchaus reges Interesse, die Sammlung zu ergänzen. Bis in die 1990er Jahre wurden immer wieder Objekte angekauft. Zum Teil folgte man bei der Kaufentscheidung inhaltlichen Kriterien, etwa wenn es sich um lippische Künstler handelt, zum Teil war der Zugang jedoch an den Interessen der leitenden Bibliothekare orientiert; hinzu kommen Erwerbungen, die sich am ehesten als Gelegenheitskäufe fassen lassen. Ein Beispiel für ein solches „Sammlungsinteresse“ ist der Ankauf von Käthe-Kollwitz-Blättern für die Landesbibliothek: Alfred Bergmann, Gründer des Grabbe-Archivs, Bibliothekar und kommissarischer Bibliotheksleiter in den Jahren 1945 bis 1946, scheint ein Bewunderer des Expressionismus und der Kunst der Moderne gewesen zu sein. Er besaß selbst eine Kollwitz-Sammlung, die er 1946 im Detmolder Palais in einer Doppelausstellung zu Käthe Kollwitz und Gerhard Hauptmann präsentierte. Auch in der Graphischen Sammlung findet sich eine Gruppe von Käthe-Kollwitz-Radierungen. Es hat einiger detektivischer Recherchen bedurft, um ihre Herkunft zu ermitteln. Doch schließlich gab der Nachlass Bergmanns, der ebenfalls in der Landesbibliothek liegt, Auskunft darüber, dass dieser – seinen eigenen Neigungen folgend – auch Kunstblätter für die Bibliothek erwarb: Der Briefwechsel mit Alexander von der Becke (Slg 12, 74) ist in dieser Beziehung aufschlussreich. Von der Becke eröffnete 1931 den Verlag des graphischen Werks von Käthe Kollwitz in Berlin. Nachdem sein Geschäft 1941 von der Gestapo geschlossen worden war, nahm er seine Tätigkeit nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf. Aus der Konkursmasse der Galerie Emil Richter in Dresden hatte von der Becke nicht nur Graphiken, sondern auch Druckplatten von Kollwitz übernommen. Nach dem Krieg verkaufte er aus diesem Bestand und veröffentlichte posthum hergestellte Abzüge von diesen Platten. Die in der Landesbibliothek vorhandenen KolIwitz-Radierungen stammen aus dem Verlag von der Becke. Einträge im Inventarbuch von 1946 belegen den Kauf, und so lässt sich nachvollziehen, wie diese Blätter ins Haus kamen.
Weitere Provenienzrecherche – also Forschung nach der Herkunft von Beständen – wäre nötig, um einen genaueren Einblick in die Geschichte der Graphischen Sammlung zu erhalten – ein nicht geringes Unterfangen, immerhin umfasst sie mittlerweile ungefähr 1100 Blätter.
Bewahrung und Präsentation der Graphischen Sammlung
Das von Preuß in der Vergangenheit eingeführte System der Sortierung und Aufbewahrung der graphischen Blätter in großen, bis zur Fassungsgrenze gefüllten Sammelmappen wurde aus Platzmangel bis ins 21. Jahrhundert beibehalten. Darunter hat der Bestand gelitten und die Landesbibliothek muss nun einigen Arbeits- und Ressourcenaufwand betreiben, um die Sammlung zu erhalten. Eine Aufbewahrung nach heutigen Standards setzt eine klimatisch kontrollierte Lagerung (50% Luftfeuchtigkeit, ca. 19°C), genügend Raum sowie eine ausreichende Zahl an säurefreien, alterungsbeständigen Hüllen voraus. Erst das 2013 eröffnete neue Magazin macht eine sachgerechte Unterbringung räumlich möglich, und mit finanzieller Unterstützung des Fördervereins „Gesellschaft der Freunde und Förderer der Lippischen Landesbibliothek“ konnten eine Neuverpackung und Lagerung der Bestände in großen Kartenschränken umgesetzt werden, die eine weitere Schädigung der Stücke verhindern.
Damit die Graphische Sammlung sichtbar wird und die Bestände recherchiert werden können, arbeitet die Bibliothek an ihrer elektronischen Erfassung. Darüber hinaus werden Stücke aus der Sammlung, wenn es ihr Erhaltungszustand zulässt, digitalisiert und in die neue Bilddatenbank der Landesbibliothek eingepflegt. Diese präsentiert Bildbestände aus allen historischen Sammlungen der Bibliothek. Auf diese Weise erfüllt die Landesbibliothek ihren zentralen Auftrag, kulturelles Erbe der Allgemeinheit zugänglich zu machen.